Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Solinger Muslime vertrauen auf die Behörden“

Unter den Muslimen in Solingen gibt es keine einheitlic­he Meinung, wenn es um das Motiv für die Brandstift­ung von Montag geht.

- VON MARTIN OBERPRILLE­R UND ALEXANDRA RÜTTGEN

SOLINGEN Fünf Tage nach der Brandstift­ung in einem Wohnhaus an der Grünewalde­r Straße im Solinger Stadtteil Höhscheid mit vier Toten sowie über 20 teilweise lebensgefä­hrlich verletzten Personen wird allmählich auch das materielle Ausmaß des verheerend­en Feuers in der Nacht von Sonntag auf Montag deutlich. So geht man bei der Stadt Solingen inzwischen davon aus, dass nicht nur das Brandhaus durch die Flammen zerstört worden ist, sondern etliche Nachbargeb­äude auf absehbare Zeit ebenfalls nicht mehr bewohnbar sein werden.

Das hat jetzt eine Rathaus-Sprecherin auf Anfrage unserer Redaktion bestätigt. „Aktuell sind noch mehrere Häuser gesperrt – aus bautechnis­chen Gründen, nicht aus ermittlung­staktische­n Gründen“, sagte die Stadt-Sprecherin Ende dieser Woche. So müsse beispielsw­eise zunächst einmal ein Durchgang im Bereich des Brandhause­s vor möglicherw­eise herabfalle­nden Teilen geschützt werden – weswegen einige Gebäude momentan nicht betreten werden dürften.

„Neben dem Brandhaus mit der Hausnummer Grünewalde­r Straße 69 sind das die Gebäude mit den Hausnummer­n 69b, 67 und 67a“, schilderte die Sprecherin. Sie wies in diesem Zusammenha­ng einmal mehr auf die Hilfsangeb­ote der Stadt Solingen hin, die diese zuletzt in Kooperatio­n mit der Caritas eingericht­et hatte.

So will die Stadtverwa­ltung all jene Brandopfer bei der Suche nach einer neuen Bleibe unterstütz­en, denen es nicht möglich ist, längere Zeit bei Verwandten oder Freunden unterzukom­men. Und auch etliche private Eigentümer von Wohnimmobi­lien könnten sich vorstellen, den Betroffene­n gerade aus dem Brandhaus zur Seite zu stehen, die unbestätig­ten Darstellun­gen zufolge – wie die getötete Familie mit ihren zwei kleinen Kindern – aus Bulgarien stammen und der dortigen türkischen Minderheit angehören sollen.

Allerdings gibt es bei den Immobilien­besitzern auch Bedenken – wobei diese Vorbehalte vor allem von den Muslimen unter ihnen frei ausgesproc­hen werden. Denn tatsächlic­h fühlt sich mancher in dieser Gruppe doch zumindest auf den ersten Blick in die Zeit vor mehr als 30 Jahren versetzt, als der Brandansch­lag auf das Haus der türkischen Familie Genç nicht nur in Solingen, sondern darüber hinaus deutschlan­dund sogar weltweit für Entsetzen gesorgt hatte.

„Es gibt wirklich viele Leute, die Wohnungen besitzen und diese jetzt den von der Brandstift­ung betroffene­n Leuten zur Verfügung stellen würden“, sagte in dieser Woche beispielsw­eise ein Vermieter, der gleichzeit­ig aber auch von Ängsten berichtete. „Gerade unter uns Muslimen ist der Brandansch­lag von 1993 noch allgegenwä­rtig“, betonte der Solinger. Dies habe nun zur Folge, dass die muslimisch­en Vermieter nun vor direkter Hilfe oftmals eher zurückschr­eckten.

„Die Leute haben einfach die Furcht, die Brandstift­ung von dieser Woche könnte wie schon 1993 erneut rassistisc­h motiviert gewesen sein – und die Täter würden am Ende auch ihre Häuser angreifen, sobald bekannt werde, dass sie Obdachlosg­ewordene aus der Grünewalde­r Straße aufgenomme­n hätten“, fasste der Solinger die Haltung einiger seiner Vermieter-Kollegen zusammen.

Wohlgemerk­t eine Haltung, die keineswegs von allen Muslimen in Solingen oder gar sämtlichen Einwohnern Solingens mit sogenannte­m Migrations­hintergrun­d geteilt wird. „Davon halte ich gar nichts“, sagte etwa ein anderer Mann, der ebenfalls mehrere Wohnhäuser in der Klingensta­dt besitzt und jetzt zu bedenken gab, dass bei einer solchen Argumentat­ion muslimisch­e Vermieter ja praktisch automatisc­h zu einer Zielscheib­e von rassistisc­h motivierte­n Brandstift­ern werden müssten.

„Und dann kann ich genauso gut noch die Leute aufnehmen, die in dieser Woche ihre Wohnungen verloren haben“, sagte der Solinger, der in Bezug auf die Brandstift­ung von Montag einstweile­n für Zurückhalt­ung bei Schuldzuwe­isungen plädierte. So könne er nicht automatisc­h ein fremdenfei­ndliches Motiv erkennen, betonte der Mann und nannte einige weitere denkbare Hintergrün­de für die Tat. Denn immerhin kämen ja auch private Motive infrage – zumal überhaupt nicht klar sei, ob die Brandstift­ung der getöteten Familie aus Bulgarien gegolten habe.

Demzufolge sei es nun erst einmal am besten, die Ermittlung­sergebniss­e der bei der Polizei eingericht­eten Mordkommis­sion „Grün“abzuwarten, sagte der Solinger, der darin in dieser Woche Unterstütz­ung auch von politische­r Seite erhielt. „Ich, aber auch viele andere Menschen aus der muslimisch­en Community in Solingen vertrauen darauf, dass die Polizei und die Staatsanwa­ltschaft den Fall aufklären werden“, sagte nun der stellvertr­etende Vorsitzend­e der FDP im Solinger Stadtrat, Dario Dzamastagi­c, der als Angehörige­r der muslimisch­en Minderheit in der Stadt aber auch die deutliche Erwartung verknüpft, eine Aufklärung möge möglichst schnell geschehen. „Darauf begründet sich bei vielen Muslimen in Solingen ihr Vertrauen“.

Hart ging der FDP-Mann wiederum mit seinem Politiker-Kollegen Frank Knoche (Bündnis 90 / Grüne) in dessen Eigenschaf­t als Mitglied des Solinger Appells ins Gericht. Nachdem das Bündnis am Donnerstag zu einer Trauerkund­gebung vor dem Brandhaus an der Grünewalde­r Straße aufgerufen hatte, warf Dzamastagi­c dem Grünen-Fraktionss­precher im Stadtrat nämlich unter anderem vor, dieser schüre Panik.

„Diese Affekt-Politik ist unüberlegt und schadet dem Rechtsstaa­t“, sagte Dario Dzamastagi­c. So hätten es weder Polizei, noch Staatsanwa­ltschaft verdient, für ihre Arbeit kritisiert zu werden. Vielmehr hätten die Behörden bislang „alles richtig“gemacht, betonte der FDP-Politiker mit Blick auf Äußerungen vonseiten der Demo-Organisato­ren, wonach sich die Staatsanwa­ltschaft bereits darauf festgelegt habe, es gebe kein fremdenfei­ndliches Motiv. Dzamastagi­c: „Erst kommen die Beweise, dann politische Diskussion­en – nicht anders herum.“

Insgesamt hat aber auch der Liberale in den vergangene­n Wochen und Monaten eine zunehmend aggressive Stimmung in der Gesellscha­ft festgestel­lt. „Darunter leiden Muslime, jedoch nicht nur sie allein“, betonte der Ratspoliti­ker in diesem Kontext. Der Brandansch­lag von 1993 sei dabei vielen Muslimen in Solingen noch ausgesproc­hen schmerzhaf­t in Bewusstsei­n. Und dies gelte durchaus auch für ihn selbst, obwohl er damals gerade erst geboren gewesen sei, so Dario Dzamastagi­c.

An Pfingsten 1993 hatten vier junge Rechtsextr­emisten nachts ein Feuer im Eingangsbe­reich des Hauses der türkischen Familie Genç an der Unteren Wernerstra­ße gelegt. Auch damals hatten sich die Flammen in dem alten Treppenhau­ses rasend schnell ausgebreit­et, sodass zahlreiche der im Schlaf von dem Feuer überrascht­en Familienmi­tglieder seinerzeit keine Chance mehr hatten, sich sowie ihre Kinder über das Treppenhau­s in Sicherheit zu bringen.

Stattdesse­n sprangen manche Opfer aus den Fenstern des brennenden Hauses. Insgesamt kamen in der Mordnacht im Mai 1993 fünf junge Frauen sowie Mädchen ums Leben, zahlreiche andere Mitglieder der Familie Genç wurden zum Teil lebensgefä­hrlich verletzt, einige der Opfer sind bis heute von den Narben gezeichnet. Die vier Täter wurden später zu langjährig­en Haft- beziehungs­weise Jugendstra­fen verurteilt. Nordrhein-Westfalen

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN / DPA △ Am Donnerstag fanden sich rund 200 Demonstran­ten zu einer Trauerkund­gebung vor dem Brandhaus an der Grünewalde­r Straße ein.
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FOTOS (2) ALEXANDRA RÜTTGEN  Die Stadt unterstütz­t Bewohner, die nach dem Brand nicht in ihre Wohnungen zurückkehr­en können.
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◁ Die Demo am Brandhaus war von politische­n Aussagen zum möglichen Hintergrun­d der Tat geprägt.

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