Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Solinger Muslime vertrauen auf die Behörden“
Unter den Muslimen in Solingen gibt es keine einheitliche Meinung, wenn es um das Motiv für die Brandstiftung von Montag geht.
SOLINGEN Fünf Tage nach der Brandstiftung in einem Wohnhaus an der Grünewalder Straße im Solinger Stadtteil Höhscheid mit vier Toten sowie über 20 teilweise lebensgefährlich verletzten Personen wird allmählich auch das materielle Ausmaß des verheerenden Feuers in der Nacht von Sonntag auf Montag deutlich. So geht man bei der Stadt Solingen inzwischen davon aus, dass nicht nur das Brandhaus durch die Flammen zerstört worden ist, sondern etliche Nachbargebäude auf absehbare Zeit ebenfalls nicht mehr bewohnbar sein werden.
Das hat jetzt eine Rathaus-Sprecherin auf Anfrage unserer Redaktion bestätigt. „Aktuell sind noch mehrere Häuser gesperrt – aus bautechnischen Gründen, nicht aus ermittlungstaktischen Gründen“, sagte die Stadt-Sprecherin Ende dieser Woche. So müsse beispielsweise zunächst einmal ein Durchgang im Bereich des Brandhauses vor möglicherweise herabfallenden Teilen geschützt werden – weswegen einige Gebäude momentan nicht betreten werden dürften.
„Neben dem Brandhaus mit der Hausnummer Grünewalder Straße 69 sind das die Gebäude mit den Hausnummern 69b, 67 und 67a“, schilderte die Sprecherin. Sie wies in diesem Zusammenhang einmal mehr auf die Hilfsangebote der Stadt Solingen hin, die diese zuletzt in Kooperation mit der Caritas eingerichtet hatte.
So will die Stadtverwaltung all jene Brandopfer bei der Suche nach einer neuen Bleibe unterstützen, denen es nicht möglich ist, längere Zeit bei Verwandten oder Freunden unterzukommen. Und auch etliche private Eigentümer von Wohnimmobilien könnten sich vorstellen, den Betroffenen gerade aus dem Brandhaus zur Seite zu stehen, die unbestätigten Darstellungen zufolge – wie die getötete Familie mit ihren zwei kleinen Kindern – aus Bulgarien stammen und der dortigen türkischen Minderheit angehören sollen.
Allerdings gibt es bei den Immobilienbesitzern auch Bedenken – wobei diese Vorbehalte vor allem von den Muslimen unter ihnen frei ausgesprochen werden. Denn tatsächlich fühlt sich mancher in dieser Gruppe doch zumindest auf den ersten Blick in die Zeit vor mehr als 30 Jahren versetzt, als der Brandanschlag auf das Haus der türkischen Familie Genç nicht nur in Solingen, sondern darüber hinaus deutschlandund sogar weltweit für Entsetzen gesorgt hatte.
„Es gibt wirklich viele Leute, die Wohnungen besitzen und diese jetzt den von der Brandstiftung betroffenen Leuten zur Verfügung stellen würden“, sagte in dieser Woche beispielsweise ein Vermieter, der gleichzeitig aber auch von Ängsten berichtete. „Gerade unter uns Muslimen ist der Brandanschlag von 1993 noch allgegenwärtig“, betonte der Solinger. Dies habe nun zur Folge, dass die muslimischen Vermieter nun vor direkter Hilfe oftmals eher zurückschreckten.
„Die Leute haben einfach die Furcht, die Brandstiftung von dieser Woche könnte wie schon 1993 erneut rassistisch motiviert gewesen sein – und die Täter würden am Ende auch ihre Häuser angreifen, sobald bekannt werde, dass sie Obdachlosgewordene aus der Grünewalder Straße aufgenommen hätten“, fasste der Solinger die Haltung einiger seiner Vermieter-Kollegen zusammen.
Wohlgemerkt eine Haltung, die keineswegs von allen Muslimen in Solingen oder gar sämtlichen Einwohnern Solingens mit sogenanntem Migrationshintergrund geteilt wird. „Davon halte ich gar nichts“, sagte etwa ein anderer Mann, der ebenfalls mehrere Wohnhäuser in der Klingenstadt besitzt und jetzt zu bedenken gab, dass bei einer solchen Argumentation muslimische Vermieter ja praktisch automatisch zu einer Zielscheibe von rassistisch motivierten Brandstiftern werden müssten.
„Und dann kann ich genauso gut noch die Leute aufnehmen, die in dieser Woche ihre Wohnungen verloren haben“, sagte der Solinger, der in Bezug auf die Brandstiftung von Montag einstweilen für Zurückhaltung bei Schuldzuweisungen plädierte. So könne er nicht automatisch ein fremdenfeindliches Motiv erkennen, betonte der Mann und nannte einige weitere denkbare Hintergründe für die Tat. Denn immerhin kämen ja auch private Motive infrage – zumal überhaupt nicht klar sei, ob die Brandstiftung der getöteten Familie aus Bulgarien gegolten habe.
Demzufolge sei es nun erst einmal am besten, die Ermittlungsergebnisse der bei der Polizei eingerichteten Mordkommission „Grün“abzuwarten, sagte der Solinger, der darin in dieser Woche Unterstützung auch von politischer Seite erhielt. „Ich, aber auch viele andere Menschen aus der muslimischen Community in Solingen vertrauen darauf, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft den Fall aufklären werden“, sagte nun der stellvertretende Vorsitzende der FDP im Solinger Stadtrat, Dario Dzamastagic, der als Angehöriger der muslimischen Minderheit in der Stadt aber auch die deutliche Erwartung verknüpft, eine Aufklärung möge möglichst schnell geschehen. „Darauf begründet sich bei vielen Muslimen in Solingen ihr Vertrauen“.
Hart ging der FDP-Mann wiederum mit seinem Politiker-Kollegen Frank Knoche (Bündnis 90 / Grüne) in dessen Eigenschaft als Mitglied des Solinger Appells ins Gericht. Nachdem das Bündnis am Donnerstag zu einer Trauerkundgebung vor dem Brandhaus an der Grünewalder Straße aufgerufen hatte, warf Dzamastagic dem Grünen-Fraktionssprecher im Stadtrat nämlich unter anderem vor, dieser schüre Panik.
„Diese Affekt-Politik ist unüberlegt und schadet dem Rechtsstaat“, sagte Dario Dzamastagic. So hätten es weder Polizei, noch Staatsanwaltschaft verdient, für ihre Arbeit kritisiert zu werden. Vielmehr hätten die Behörden bislang „alles richtig“gemacht, betonte der FDP-Politiker mit Blick auf Äußerungen vonseiten der Demo-Organisatoren, wonach sich die Staatsanwaltschaft bereits darauf festgelegt habe, es gebe kein fremdenfeindliches Motiv. Dzamastagic: „Erst kommen die Beweise, dann politische Diskussionen – nicht anders herum.“
Insgesamt hat aber auch der Liberale in den vergangenen Wochen und Monaten eine zunehmend aggressive Stimmung in der Gesellschaft festgestellt. „Darunter leiden Muslime, jedoch nicht nur sie allein“, betonte der Ratspolitiker in diesem Kontext. Der Brandanschlag von 1993 sei dabei vielen Muslimen in Solingen noch ausgesprochen schmerzhaft in Bewusstsein. Und dies gelte durchaus auch für ihn selbst, obwohl er damals gerade erst geboren gewesen sei, so Dario Dzamastagic.
An Pfingsten 1993 hatten vier junge Rechtsextremisten nachts ein Feuer im Eingangsbereich des Hauses der türkischen Familie Genç an der Unteren Wernerstraße gelegt. Auch damals hatten sich die Flammen in dem alten Treppenhauses rasend schnell ausgebreitet, sodass zahlreiche der im Schlaf von dem Feuer überraschten Familienmitglieder seinerzeit keine Chance mehr hatten, sich sowie ihre Kinder über das Treppenhaus in Sicherheit zu bringen.
Stattdessen sprangen manche Opfer aus den Fenstern des brennenden Hauses. Insgesamt kamen in der Mordnacht im Mai 1993 fünf junge Frauen sowie Mädchen ums Leben, zahlreiche andere Mitglieder der Familie Genç wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt, einige der Opfer sind bis heute von den Narben gezeichnet. Die vier Täter wurden später zu langjährigen Haft- beziehungsweise Jugendstrafen verurteilt. Nordrhein-Westfalen