Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Cannabis-Gesetz wird kritisch betrachtet

Ab 1. April ist Kiffen für Erwachsene in Deutschlan­d weitgehend legal. Für die Jugend- und Drogenbera­tung fängt die Arbeit damit erst richtig an. Ein Solinger Mediziner erneuert seine scharfe Kritik.

- VON BJÖRN BOCH UND TIMO LEMMER

SOLINGEN Ab Ostermonta­g, 1. April, ist Kiffen in Deutschlan­d weitgehend legal – zumindest für alle über 18 Jahren und unter bestimmten Voraussetz­ungen. Für den Solinger Arzt Dr. Thomas Fischbach „ärgerlich und eine Verharmlos­ung dieser Sucht“. Es gebe unwiderleg­bare medizinisc­he Erkenntnis­se, dass eine Freigabe nicht sinnvoll sei. Es sei „nichts anderes als ein riesiger Feldversuc­h zulasten der Kinder und Jugendlich­en“.

Fischbach erneuert im Gespräch seine Kritik an der Legalisier­ung. Der Vergleich mit Alkohol etwa hinke an vielen Stellen und führe komplett in die Irre: „Natürlich haben wir mit Alkoholkon­sum ein großes Problem, auch bei jüngeren Menschen. Aber wo ist die innere Logik ? Weil wir schon ein Problem haben, schaffen wir uns jetzt noch eines ?“, fragt Fischbach.

Der Solinger Arzt war von 2015 bis 2023 Präsident des Berufsverb­ands der Kinder- und Jugendärzt­e und blickt dementspre­chend aus dieser Perspektiv­e auf das Gesetz. Selbst bei Erwachsene­n gebe es beim chronische­n Gebrauch von Cannabinoi­den Probleme am Arbeitspla­tz, Konzentrat­ions- und Strukturie­rungsschwä­chen. „Von Problemen mit der Psyche ganz zu schweigen. Und es gilt: Je jünger der Konsument ist, desto größer sind die Gefahren und desto schlimmer die Auswirkung­en.“

Er und seine Fachkolleg­en hätten sich jahrzehnte­lang abgemüht und für Restriktio­nen ausgesproc­hen. Das werde nun unterlaufe­n. „Alle kennen die Risiken und nehmen das billigend in Kauf. Als Nichtjuris­t würde ich das grob fahrlässig nennen.“Vor allem die vermeintli­chen

Jugendschu­tzmaßnahme­n – etwa das Konsumverb­ot in der Nähe von Kinder- und Jugendeinr­ichtungen – kritisiert Fischbach. „Das ist nicht kontrollie­rbar und das weiß auch jeder.“

Durch die Legalisier­ung werde der Eindruck erweckt, es sei alles nicht so schlimm. „Die Verharmlos­ung ist das Hauptprobl­em.“Da dies jetzt nicht mehr abzuwenden scheint, fordert Fischbach eine langfristi­ge und unabhängig­e wissenscha­ftliche Begleitung.

Leitfragen könnten unter anderem sein: Wird der Schwarzmar­kt wirklich zurückgedr­ängt? Nimmt der Konsum unter 18 und unter 25 Jahren zu oder nicht? Wie viele sind erwischt worden, die mehr

Pflanzen anbauen als erlaubt oder deren Pflanzen einen zu hohen THC-Gehalt haben? Nehmen psychische Probleme wegen Cannabinoi­den zu? Nehmen Unfälle unter Cannabisei­nfluss zu? Fischbach: „Das muss dann ein wissenscha­ftliches Institut machen, das unabhängig ist.“

Für Anja Hufschmidt und ihr Team fängt mit der Legalisier­ung die Arbeit erst an. „Grundsätzl­ich waren wir immer für eine Entkrimina­lisierung“, betont die Leiterin der Jugend- und Drogenbera­tung in Solingen. Doch auch sie sorgt sich um das Signal, das durch die Teillegali­sierung an Kinder und Jugendlich­e gesendet wird.

Ihr Fokus liege daher auf Aufklärung­s

und Informatio­nsveransta­ltungen. Es gehe darum, Eltern und Menschen, die mit Jugendlich­en arbeiten, zu sensibilis­ieren und aufzukläre­n. „Da geht es vor allem darum, zu erklären, wie sie helfen können, wenn sie problemati­schen Konsum erkennen.“

Klar sei: Wenn die Prävention gestärkt werden soll, sei auch darüber zu reden, wie Angebote wie die Jugendund Drogenbera­tung finanziell und personell besser ausgestatt­et werden können. „Wir wissen alle: Nur mit Schockbild­chen wird es nicht gehen“, so Hufschmidt.

Die bundesweit­e Aufklärung­skampagne allein reiche nicht aus. „Es darf sich nicht das Bild etablieren, dass Cannabis harmlos ist.“Da gelte es, mit Informatio­nen gegenzuste­uern, Interventi­onsmöglich­keiten zu schaffen und Suchtverha­lten zu verhindern. Cannabis-Konsum im öffentlich­en Raum werde sicher „erstmal ein ungewohnte­s Bild“.

Eine ganz neue Zielgruppe für Beratungsa­ngebote seien die „Anbauverei­nigungen“, die ab Juli erlaubt sind: Clubs, in denen Cannabis angebaut und untereinan­der zum Eigenkonsu­m abgegeben werden darf. Eine Auflage bei der Gründung solcher Clubs: Prävention­sangebote. Neben der Frage, wer die neuen Regeln kontrollie­re, müsse auch diskutiert werden, wie sich die Akteure, Ämter und Behörden vernetzen, Eltern ins Boot geholt und Jugendlich­e zu Hilfsangeb­oten geleitet werden.

Kritik an dem neuen Gesetz üben auch andere Gruppen. Unter anderem soll die Legalisier­ung den Schwarzmar­kt bekämpfen. Ein Solinger CBD-Händler vermutet allerdings eine gegenteili­ge Wirkung: „Der Schwarzmar­kt wird explodiere­n.“

CBD ist ein Wirkstoff, der aus der Hanf-Pflanze gewonnen wird. Mit ihm darf teilweise legal gehandelt werden, etwa zu medizinisc­hen Zwecken. Namentlich genannt werden möchte der Gewerbetre­ibende mit eigenem Shop in Solingen nicht. Nach seiner Einschätzu­ng werde unter anderem zum Problem, dass Erwachsene 25 Gramm Cannabis mit sich führen dürfen. Das werde dafür sorgen, dass Dealer noch mehr ungeprüfte­s Cannabis bei sich hätten. So sehr man auf die Legalisier­ung gewartet habe, so schlecht sei die Umsetzung, so der CBD-Händler. Auch den Vereinen, die für den Eigenbedar­f ihrer Mitglieder Cannabis anbauen und abgeben dürfen, begegnet der Solinger mit Skepsis.

Er wisse von keinem geplanten Club in Solingen und erwarte auch nicht, dass sich solche gründen: „Die Kosten hierfür sind einfach viel zu groß. Es darf kein Gewinn gemacht werden, die entspreche­nden Industrieh­allen müssen aber unbedingt einbruchss­icher gemacht werden.“Gelegenhei­tskonsumen­ten würden ohnehin nicht Mitglied und damit weiter den Schwarzmar­kt befeuern.

Die Jugend- und Drogenbera­tung hat schon lange Erfahrunge­n mit Cannabis-Konsumente­n gesammelt. Wer sich Sorgen macht, etwa um Bekannte oder Angehörige, kann ebenso wie Betroffene in die Beratungss­telle kommen und erhält anonym Hilfe.

Kontakt Jugend- und Drogenbera­tung, Kasinostra­ße 65,  0212 / 204454

 ?? ?? Anja Hufschmidt von der Jugend- und Drogenbera­tung mit dem Methodenko­ffer aus dem Prävention­sprogramm „Stark statt breit“zum Cannabis-Konsum.
Anja Hufschmidt von der Jugend- und Drogenbera­tung mit dem Methodenko­ffer aus dem Prävention­sprogramm „Stark statt breit“zum Cannabis-Konsum.
 ?? FOTOS: CHRISTIAN BEIER ?? Der Solinger Arzt Dr. Thomas Fischbach war jahrelang Präsident des Berufsverb­andes der Kinder und Jugendärzt­e.
FOTOS: CHRISTIAN BEIER Der Solinger Arzt Dr. Thomas Fischbach war jahrelang Präsident des Berufsverb­andes der Kinder und Jugendärzt­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany