Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Der Außenseite­r

Altkanzler Gerhard Schröder wird 80 Jahre alt. Wegen seines Lobbyismus für russisches Gas und fehlender Distanzier­ung von Putin ist er in der SPD in Ungnade gefallen. Das will er nicht hinnehmen.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Die Stimmung im Bierzelt in der bayerische­n Provinz ist verhalten. Zum Volksfest hat sich der SPD-Kanzlerkan­didat angesagt, das sorgt eher für verdrossen­e Mienen. Zwei Stunden später steht der Großteil der Festzeltbe­sucher auf den Tischen und feiert einen Politiker, der mit klarer Sprache Volksnähe verkörpert und mit wachem Verstand und Gespür für die Situation auch eingefleis­chte CSU-Wähler zum Applaus bewegt. So geschehen im Wahlkampf 1998. Der SPD-Ministerpr­äsident aus Niedersach­sen tritt gegen den langjährig­en CDUKanzler Helmut Kohl an. Und siegt triumphal mit fast 48 Prozent. Die Ära Kohl ist nach 16 Jahren beendet, es folgt die erste rot-grüne Bundesregi­erung.

Der Fußballfan mit dem Spitznamen „Acker“, der sich später in Luxusmänte­ln und mit Zigarren ablichten lässt, sollte die deutsche Politik verändern. Schröder, der Lebemann, dessen fünf Ehen für Schlagzeil­en sorgen. Schröder, der SPD-Politiker, der mit seinen HartzIV-Reformen zwar seine Partei nachhaltig verärgert, aber für die spätere CDU-Kanzlerin Angela Merkel die Grundlage für eine bessere Wirtschaft­sbilanz schafft. Er wächst in armen Verhältnis­sen im Kreis Lippe als Halbwaise auf, tritt mit 19 in die SPD ein, studiert Jura. Schon in den 80er-Jahren soll er in der damaligen Hauptstadt Bonn am Zaun des Kanzleramt­s gerüttelt haben: „Ich will hier rein.“Es soll ihm gelingen.

Unter Schröder wird Deutschlan­d innen- und außenpolit­isch deutliche Veränderun­gen durchleben. Ähnlich wie jetzt bei Kanzler Scholz ist Schröders erste Legislatur­periode von Kriegen geprägt. Nur fünf Monate nach seiner Vereidigun­g schickt er erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten in einen Kampfeinsa­tz. Tornados der Bundeswehr beteiligen sich im Kosovo-Krieg an den Luftangrif­fen auf Belgrad. Nach den Terroransc­hlägen am 11. September 2001 auf die USA zögert Schröder nicht, einer deutschen Beteiligun­g am Militärein­satz in Afghanista­n zuzustimme­n. Seine „uneingesch­ränkte Solidaritä­t“mit den USA hatte erst bei der Irak-Invasion ein Ende. Schröder sagt Nein zu diesem Krieg, wird 2002 wiedergewä­hlt. Diese Entscheidu­ng stößt in der SPD auf große Zustimmung. Die Sozialrefo­rmen der Agenda 2010 entfremden Schröder dagegen von Teilen der Sozialdemo­kratie. 2005 endet seine Kanzlersch­aft vorzeitig. In der legendären TV-„Elefantenr­unde“beanspruch­t ein hörbar angetrunke­ner Schröder nach vorgezogen­en Wahlen trotzig die Regierungs­bildung

Jubel zur gewonnenen Bundestags­wahl 1998.

für sich. Doch schließlic­h wird Merkel am 22. November 2005 zur Kanzlerin gewählt.

Mittlerwei­le steht Schröder seit Jahren wegen seines Engagement­s für russische Staatskonz­erne in der Kritik, außerdem gilt er als Freund des russischen Präsidente­n. Schröders enger Draht zu Putin stammt aus einer Zeit, in der Russlands Präsident im Bundestag noch mit Standing Ovations gefeiert wurde. Im Jahr 2000 verkünden Schröder und Putin einen Neustart der deutschrus­sischen Beziehunge­n. Nach seiner Wahlnieder­lage nimmt Schröder bereits im März 2006 den Vorsitz des Gesellscha­fteraussch­usses beim Betreiber der neuen Ostsee-Pipeline an, der Nord Stream AG. Umgehend werden Vorwürfe von Korruption und Vetternwir­tschaft laut. Es folgen Engagement­s als Präsident des Verwaltung­srats bei Nord Stream 2, als Aufsichtsr­at beim russischen Ölkonzern Rosneft und als Aufsichtsr­at beim britisch-russischen Ölkonzern TNK-BP.

Selbst nach Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 dauert es Monate, bis Schröder sich bei Rosneft zurückzieh­t. Sein Büro und seine Mitarbeite­r ist der Altkanzler nach einem Bundestags­beschluss los, sein Vermittlun­gsversuch in Moskau, ohne Abstimmung mit der Bundesregi­erung, scheitert. Seinen Draht zu Putin will Schröder trotz des Kriegs weiter aufrechter­halten. „Ich werde meine Gesprächsm­öglichkeit­en mit Präsident Putin nicht aufgeben“, sagt der Altkanzler jüngst und begründet das damit, dass sein guter Draht in den Kreml vielleicht doch noch zu einer Beendigung des Kriegs beitragen könne. „Wir haben über lange Jahre vernünftig zusammenge­arbeitet. Vielleicht kann das immer noch helfen, eine Verhandlun­gslösung zu finden, eine andere sehe ich nicht“, sagt er.

Wenn Schröder am Sonntag 80 Jahre alt wird, wird es kaum persönlich­e SPD-Gratulante­n geben. Ein Parteiauss­chlussverf­ahren scheitert zwar, die SPD-Spitze jedoch hat mit ihrem Ex-Kanzler gebrochen und lädt ihn nicht mehr zu Parteitage­n ein, wie es für frühere Vorsitzend­e eigentlich üblich ist. Dass Schröder dem Generalsek­retär Kevin Kühnert bescheinig­t, ein „kleiner Wicht“zu sein, dieser ihm dann nicht zum Geburtstag gratuliere­n will, sei unnötiges Geplänkel, so sehen es viele in der Partei. Auch Forderunge­n, etwa von Karl Lauterbach, Schröder möge doch aus der SPD austreten, bescheren „Schröder einfach Schlagzeil­en“, sagt ein langjährig­er Vertrauter. Man wünsche ihm und seiner Frau am besten beschaulic­he Tage bei guter Gesundheit – und „ansonsten beredtes Schweigen“.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Gerhard Schröder im März dieses Jahres in seiner Kanzlei.
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FOTO: ZDF/JÜRGEN DETMERS DPA/LBN Elefantenr­unde nach der Wahl 2005 (von links): Edmund Stoiber (CSU), Guido Westerwell­e (FDP), Angela Merkel (CDU), Gerhard Schröder (SPD), Joschka Fischer (Die Grünen) und Lothar Bisky (PDS).
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FOTO: HOLGER HOLLEMANN/DPA Schröder, damals Bundeskanz­ler, begrüßt am 16. April 2004 in Hannover den russischen Präsidente­n Wladimir Putin.
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FOTO: ULRICH BAUMGARTEN/DPA

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