Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Karlsruhe soll Ermittlung übernehmen“
Knapp 14 Tage nach der Brandstiftung mit vier Toten gibt es weiter keine konkreten Anhaltspunkte. Es werden erste Rufe laut, die Bundesanwaltschaft solle sich einschalten. Die Staatsanwaltschaft verweist auf laufende Ermittlungen.
SOLINGEN / WUPPERTAL Knapp zwei Wochen nach der Brandstiftung in einem Wohnhaus im Solinger Stadtteil Höhscheid, bei der eine vierköpfige Familie aus Bulgarien mit zwei kleinen Kindern zu Tode gekommen ist und mehr als 20 weitere Bewohner des Gebäudes zum Teil schwerstverletzt worden sind, laufen die Ermittlungen nach wie vor auf Hochtouren. Dies hat Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt von der zuständigen Staatsanwaltschaft Wuppertal auf Anfrage bekannt gegeben – wobei mittlerweile erste Forderungen laut werden, der Generalbundesanwalt in Karlsruhe solle die Wuppertaler Behörde von dem Fall abziehen und stattdessen die Federführung bei der Aufklärung des Verbrechens unverzüglich selbst übernehmen.
So hat der Hannoveraner Rechtsanwalt Adnan Menderes Erdal am Freitagmittag gegenüber unserer Redaktion angekündigt, er werde bereits in Kürze einen entsprechenden Antrag bei der Bundesanwaltschaft stellen. „Die Staatsanwaltschaft in Wuppertal hat gleich zu Beginn der Ermittlungen einen Fehler begangen. Die Aussage, es würden keine Hinweise auf ein fremdenfeindliches Motiv vorliegen, war voreilig und hat in Teilen der Bevölkerung das Vertrauen in den Rechtsstaat zumindest beschädigt“, sagte der Jurist, der nach eigener Aussage zuletzt von sechs der insgesamt über 20 Opfer der Brandstiftung gebeten worden war, ihre Interessen zu vertreten.
Aus diesem Grund wird Rechtsanwalt Erdal an diesem Wochenende nach Solingen reisen, um mit den Betroffenen persönlich zu sprechen und sich gegebenenfalls die für eine anwaltliche Vertretung notwendigen Vollmachten unterschreiben zu lassen. Denn erst danach wäre der erfahrene Strafverteidiger in der Lage, die nächsten Schritte in die Wege zu leiten und einen Antrag auf Übernahme des Falls durch den Generalbundesanwalt zu stellen.
„Es gilt zunächst, das zumindest partiell beschädigte Vertrauen der
Opfer in den deutschen Rechtsstaat wieder herzustellen. Das gilt auch dem Frieden in Solingen“, betonte Jurist Erdal. Der Rechtsanwalt hatte – zusammen mit einem Kollegen – nach dem Solinger Brandanschlag von 1993 schon die Interessen der Opferfamilie Genç im Verfahren gegen die schließlich zu hohen Strafen verurteilten Mörder vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wahrgenommen und war später auch im NSU-Verfahren gegen die neonazistische Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Widerstand“in München als Opfer-Rechtsanwalt aufgetreten.
Im aktuellen Fall wirft Adnan Menderes Erdal der Wuppertaler Staatsanwaltschaft vor, sie habe es nach der nächtlichen Brandstiftung an der Grünewalder Straße an der gebotenen Sensibilität fehlen gelassen – wobei jedem habe klar sein müssen, dass der Fall speziell in Solingen
schlimme Erinnerungen an den Brandanschlag von 1993 wachrufen werde.
Damals hatten – ebenfalls nachts – vier rechtsextreme Täter an dem Haus der türkischen Familie Genç an der Unteren Wernerstraße ein Feuer gelegt. Fünf Frauen und Mädchen starben. Zahlreiche andere Familienmitglieder trugen schwere Verletzungen davon, unter denen die Betroffenen teilweise bis heute leiden. Trotzdem habe die Staatsanwaltschaft nach der neuen Brandstiftung in Höhscheid zuerst erklärt, es gebe keine Hinweise auf ein rassistisches Motiv. Eine Korrektur, man ermittle in alle Richtungen, sei erst einen Tag darauf erfolgt, kritisierte Rechtsanwalt Erdal am Freitag.
Die Staatsanwaltschaft selbst blieb vor dem Wochenende hingegen bei ihren Aussagen zum Motiv: „Wir haben zurzeit keine neuen Erkenntnisse, die auf ein fremdenfeindliches Motiv schließen lassen“, sagte Staatsanwalt Kaune-Gebhardt. Auch Hinweise zu anderen Motiven oder zur Täterschaft lägen augenblicklich nicht vor.
So sei ebenfalls noch offen, ob die Brandstiftung einer konkreten Person oder Gruppe gegolten habe. Die Ermittlungen der Mordkommission „Grün“gingen deshalb unvermindert weiter. Dabei würden sämtliche Möglichkeiten geprüft, versicherte die Staatsanwaltschaft am Freitag.