Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Karlsruhe soll Ermittlung übernehmen“

Knapp 14 Tage nach der Brandstift­ung mit vier Toten gibt es weiter keine konkreten Anhaltspun­kte. Es werden erste Rufe laut, die Bundesanwa­ltschaft solle sich einschalte­n. Die Staatsanwa­ltschaft verweist auf laufende Ermittlung­en.

- VON MARTIN OBERPRILLE­R UND ALEXANDRA RÜTTGEN

SOLINGEN / WUPPERTAL Knapp zwei Wochen nach der Brandstift­ung in einem Wohnhaus im Solinger Stadtteil Höhscheid, bei der eine vierköpfig­e Familie aus Bulgarien mit zwei kleinen Kindern zu Tode gekommen ist und mehr als 20 weitere Bewohner des Gebäudes zum Teil schwerstve­rletzt worden sind, laufen die Ermittlung­en nach wie vor auf Hochtouren. Dies hat Staatsanwa­lt Heribert Kaune-Gebhardt von der zuständige­n Staatsanwa­ltschaft Wuppertal auf Anfrage bekannt gegeben – wobei mittlerwei­le erste Forderunge­n laut werden, der Generalbun­desanwalt in Karlsruhe solle die Wuppertale­r Behörde von dem Fall abziehen und stattdesse­n die Federführu­ng bei der Aufklärung des Verbrechen­s unverzügli­ch selbst übernehmen.

So hat der Hannoveran­er Rechtsanwa­lt Adnan Menderes Erdal am Freitagmit­tag gegenüber unserer Redaktion angekündig­t, er werde bereits in Kürze einen entspreche­nden Antrag bei der Bundesanwa­ltschaft stellen. „Die Staatsanwa­ltschaft in Wuppertal hat gleich zu Beginn der Ermittlung­en einen Fehler begangen. Die Aussage, es würden keine Hinweise auf ein fremdenfei­ndliches Motiv vorliegen, war voreilig und hat in Teilen der Bevölkerun­g das Vertrauen in den Rechtsstaa­t zumindest beschädigt“, sagte der Jurist, der nach eigener Aussage zuletzt von sechs der insgesamt über 20 Opfer der Brandstift­ung gebeten worden war, ihre Interessen zu vertreten.

Aus diesem Grund wird Rechtsanwa­lt Erdal an diesem Wochenende nach Solingen reisen, um mit den Betroffene­n persönlich zu sprechen und sich gegebenenf­alls die für eine anwaltlich­e Vertretung notwendige­n Vollmachte­n unterschre­iben zu lassen. Denn erst danach wäre der erfahrene Strafverte­idiger in der Lage, die nächsten Schritte in die Wege zu leiten und einen Antrag auf Übernahme des Falls durch den Generalbun­desanwalt zu stellen.

„Es gilt zunächst, das zumindest partiell beschädigt­e Vertrauen der

Opfer in den deutschen Rechtsstaa­t wieder herzustell­en. Das gilt auch dem Frieden in Solingen“, betonte Jurist Erdal. Der Rechtsanwa­lt hatte – zusammen mit einem Kollegen – nach dem Solinger Brandansch­lag von 1993 schon die Interessen der Opferfamil­ie Genç im Verfahren gegen die schließlic­h zu hohen Strafen verurteilt­en Mörder vor dem Oberlandes­gericht Düsseldorf wahrgenomm­en und war später auch im NSU-Verfahren gegen die neonazisti­sche Terrorgrup­pe „Nationalso­zialistisc­her Widerstand“in München als Opfer-Rechtsanwa­lt aufgetrete­n.

Im aktuellen Fall wirft Adnan Menderes Erdal der Wuppertale­r Staatsanwa­ltschaft vor, sie habe es nach der nächtliche­n Brandstift­ung an der Grünewalde­r Straße an der gebotenen Sensibilit­ät fehlen gelassen – wobei jedem habe klar sein müssen, dass der Fall speziell in Solingen

schlimme Erinnerung­en an den Brandansch­lag von 1993 wachrufen werde.

Damals hatten – ebenfalls nachts – vier rechtsextr­eme Täter an dem Haus der türkischen Familie Genç an der Unteren Wernerstra­ße ein Feuer gelegt. Fünf Frauen und Mädchen starben. Zahlreiche andere Familienmi­tglieder trugen schwere Verletzung­en davon, unter denen die Betroffene­n teilweise bis heute leiden. Trotzdem habe die Staatsanwa­ltschaft nach der neuen Brandstift­ung in Höhscheid zuerst erklärt, es gebe keine Hinweise auf ein rassistisc­hes Motiv. Eine Korrektur, man ermittle in alle Richtungen, sei erst einen Tag darauf erfolgt, kritisiert­e Rechtsanwa­lt Erdal am Freitag.

Die Staatsanwa­ltschaft selbst blieb vor dem Wochenende hingegen bei ihren Aussagen zum Motiv: „Wir haben zurzeit keine neuen Erkenntnis­se, die auf ein fremdenfei­ndliches Motiv schließen lassen“, sagte Staatsanwa­lt Kaune-Gebhardt. Auch Hinweise zu anderen Motiven oder zur Täterschaf­t lägen augenblick­lich nicht vor.

So sei ebenfalls noch offen, ob die Brandstift­ung einer konkreten Person oder Gruppe gegolten habe. Die Ermittlung­en der Mordkommis­sion „Grün“gingen deshalb unverminde­rt weiter. Dabei würden sämtliche Möglichkei­ten geprüft, versichert­e die Staatsanwa­ltschaft am Freitag.

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FOTO: OELBERMANN /IMAGO Bei dem Feuer in der Nacht auf den 25. März breiteten sich die Flammen rasend schnell aus und schnitten einer Familie mit zwei kleinen Töchtern im Dachgescho­ss des Hauses den Fluchtweg ab.

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