Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Ein schmaler Grat der Verantwort­ung

Nach der Brandstift­ung von Höhscheid liegen Motiv und Täter weiter im Dunkeln. Dies sowie der Respekt vor den Opfern mahnt, mit vorschnell­er Kritik vorsichtig zu sein.

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Es ist wie so oft. Nachdem bei einer Brandstift­ung vor knapp 14 Tagen eine vierköpfig­e Familie aus Bulgarien mit zwei kleinen Kindern in einem Haus in Höhscheid ermordet worden ist, hat sich der in diesen Belangen wenig sensible Medientros­s längst neuen Themen zugewandt und Solingen wieder verlassen. Wobei man sich Kritik an den Gepflogenh­eiten des Nachrichte­ngeschäfts getrost sparen kann. Denn die Aufmerksam­keitsspann­e ist heutzutage zu knapp bemessen, als dass sich die Bewirtscha­fter der öffentlich­en Erregung lange mit einzelnen Fällen aufhalten würden – so tragisch diese auch sein mögen.

Dafür gibt es in der arbeitstei­ligen Gesellscha­ft andere, die jetzt am Zuge sind. So werden die Fahnder von Polizei und Staatsanwa­ltschaft in den kommenden Tagen oder auch Wochen und Monaten ihre Ermittlung­en weitgehend unterhalb des Blitzlicht­gewitters einer ebenso nervösen wie oberflächl­ichen Öffentlich­keit fortsetzen. Und selbst die Präsentati­on eines oder mehrerer Täter dürfte es irgendwann nur noch auf lokale sowie regionale Titelseite­n schaffen – es sei denn, die Brandstift­ung von Ende März würde sich doch als fremdenfei­ndlich motivierte Tat erweisen. Dann stünde Solingen erneut im Fokus einer breiten Öffentlich­keit.

Und all jene behielten Recht, die schon früh auf die Möglichkei­t einer rassistisc­hen Tat aufmerksam gemacht haben. Was ja zunächst auch durchaus verständli­ch schien. Denn tatsächlic­h ist Solingen seit dem Brandansch­lag auf das Haus der türkischen Familie Genç, bei dem 1993 fünf Menschen ums Leben gekommen sind, untrennbar mit neonazisti­schen Gewalttate­n verbunden. So werden bei einer erneuten Brandstift­ung wie jetzt fast automatisc­h Erinnerung­en an 1993 wach.

Gleichzeit­ig zeigt diese zuletzt wieder deutlich beobachtba­re Assoziatio­nskette aber auch, wie schmal der Grat ist, auf dem sich die Gesellscha­ft bewegt. Die Kritik an der Staatsanwa­ltschaft ist da ein gutes Beispiel. Die Behörde hat nämlich zu keinem Zeitpunkt ein fremdenfei­ndliches Motiv ausgeschlo­ssen. Vielmehr wurde nur darauf aufmerksam gemacht, dass es dafür momentan keine Hinweise gibt. Dies sollten in einer ruhigen Minute auch jene Solinger noch einmal bedenken, die in den vergangene­n Tagen oftmals allzu eilfertig in den Chor der Kritik von außen eingestimm­t haben. Denn im Gegensatz zu den Außenstehe­nden tragen die Solinger nicht nur Verantwort­ung für eine Schlagzeil­e, sondern Mitverantw­ortung für ihre Stadtgesel­lschaft.

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MARTIN OBERPRILLE­R

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