Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Möchte nicht enden wie Helmut Kohl“
Horst Gabriel (66) ist nach 23 Jahren verabschiedet worden. Ein Gespräch über Wirtschaft und Begegnungen.
Herr Gabriel, in welchem Zustand ist die Solinger Wirtschaft?
HORST GABRIEL Sie wissen ja: Das höchste Lob des Solingers ist, nicht zu meckern. Wir haben böse Zeiten bei den Schneidwarenfirmen erlebt, und die Automotive-Branche steckt teils noch immer in einer schwierigen Phase. Die Firmen, die gut aufgestellt sind, überstehen schlechte Zeiten. Um die Industrie sorge ich mich nicht. Beim Handwerk habe ich nur Bedenken, dass in Zukunft zu wenige Menschen in den Betrieben arbeiten möchten. Dabei gibt es so viel zu tun.
Wie hat sich die Wirtschaft in Ihren Jahren als Unternehmer und Arbeitgeberpräsident verändert?
GABRIEL Sehr. Das, was man Transformation nennt, ist in vielen Bereichen gut umgesetzt worden. Die Firmen, die heute wirklich gut funktionieren, haben sich von einem eher dörflichen Charakter in moderne, IT-basierte Unternehmen gewandelt. Da gibt es absolutes Hightech, etwa im Bereich der Galvanik oder bei den Klingen.
„Ich habe Mirko Novakovic für verrückt gehalten. Aber er hatte recht“Horst Gabriel
Was fällt Ihnen da spontan ein?
GABRIEL Was die Püttbachs aus Bia gemacht haben, ist fantastisch. Oder Jan Coblenz bei Brangs und Heinrich. Wirklich gute Geschäftsideen werden neu erfunden. Und das immer wieder. Dazu kamen komplett neue Ideen und Firmen wie Codecentric und Instana von Mirko Novakovic. Er hatte mir damals erzählt, wie er seine Firma führen will. Ich habe ihn für verrückt gehalten (lacht). Aber er hatte recht. Oder nehmen Sie Fourtexx, das Unternehmen von IHK-Präsident Henner Pasch. Das sind sensationelle Erfolge. Und das alles hier in Solingen.
Welches Ihrer zahlreichen Ämter hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
GABRIEL Ich habe den Fachausschuss Industrie und Forschung bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer vier Jahre lang geleitet. Und das als kleiner Mittelständler. Ich habe mich bei der Wahl einstimmig gegen einen Unternehmer und alten Hasen aus der Politik mit mehreren Hundert Mitarbeitern durchgesetzt. Das lag sicher auch daran, dass ich den Forschungsleitern erzählen konnte, wie es so in der Praxis läuft. Die leben teilweise in ihrer eigenen Welt und haben den Bezug zur Realität verloren. Meine klaren Worte kamen da immer sehr gut an. Ich war im Ausschuss mit all den Experten gefühlt der Dümmste von allen (lacht). Aber ich bin mit Standing Ovations verabschiedet worden. Das waren die vier besten Jahre, was das Ehrenamt betrifft. Auch Tarifverhandlungen habe ich sehr genossen.
Wie das? Das müssen Sie bitte erklären.
GABRIEL Das war immer eine tolle Atmosphäre. Gerade Arndt Kirchhoff (Präsident von Metall NRW und Laudator bei Gabriels Abschied, Anm. d. Red.) schaffte immer den notwendigen Spagat zwischen klaren Ansagen und dem richtigen Ton. Hart im Inhalt. Aber immer menschlich und klar in der Sache. Wichtig war immer, dass beide Seiten am Ende ein wenig verärgert sind. Nur dann ist es ein guter Kompromiss. Das haben wir geschafft.
Erinnern Sie sich an besondere Begegnungen?
GABRIEL Das Schöne war: Alles, was Rang und Namen hat, hat sich mit uns getroffen. Ich bin mehreren Bundeskanzlern begegnet und habe viele spannende Persönlichkeiten kennengelernt. Damit schließt sich der Kreis dessen, was ich so gerne mache: Ich habe den Mikrokosmos Familie und Firma genossen, aber eben auch die große Welt kennengelernt.
Was haben Sie dabei gelernt?
GABRIEL Ich erinnere mich an ein Treffen bei Helmut Kohl im Kanzleramt in Bonn. Er hatte da offenbar schon ein wenig den Bezug zur Realität verloren und angekündigt, dass er ganz sicher wieder kandidiert und der einzig richtige Kanzler ist. Da war seine lange Amtszeit in den letzten Zügen. Es wurde ein offizielles Foto gemacht, mit mir als damaligem Landeschef der Wirtschaftsjunioren. Das gucke ich mir oft an. Es ist mir eine Warnung, dass ich nie so enden möchte wie Kohl. Ich wollte und will nie der sein, den sie aus den Ämtern raustragen müssen. Deshalb ziehe ich mich Schritt für Schritt zurück.
Welche Ämter behalten Sie – und sei es nur vorerst?
GABRIEL Noch bin ich offiziell Solinger Arbeitgeberpräsident. Der Bergische Arbeitgeberverband, in den der Solinger Verband durch einstimmiges Votum aller Mitglieder fusioniert wurde, steht kurz vor der Eintragung. Wenn es ihn dann auch formal gibt, werde ich weiterhin Delegierter der Solinger für den Aufsichtsrat der Wirtschaftsförderung sein. Vorsitzender des Aufsichtsrats bleibe ich bis zum Ende der Legislaturperiode – auch wenn das Amt mit Blick auf die SchleuserRazzia gerade alles andere als vergnügungssteuerpflichtig ist.
Und dann?
GABRIEL Ich kann mir gut vorstellen, noch einmal für den Rat der Stadt Solingen zu kandidieren. Ich habe jetzt mehr Zeit, mich einzubringen, da ich auch nicht mehr unternehmerisch tätig bin. Ich habe zum Beispiel den Solinger Haushalt gelesen. Alle 800 Seiten. Mein Vater Hans-Werner Gabriel war ja lange CDU-Politiker und Bezirksbürgermeister in Wald. Interessant
ist, dass er seinerzeit zur CDU kam, weil er meine Schwester und mich immer von Veranstaltungen der Jungen Union abgeholt hat. Dabei ist er ins Gespräch gekommen mit Protagonisten wie Bernd Krebs und Bernd Wilz, die damals die Junge Union geführt haben. Während mein Vater kontinuierlich weitergemacht hat, speziell im Kulturbereich und in seinem Stadtteil Wald, bin ich aus der Jungen Union rausgeflogen.
Wie ist das passiert?
GABRIEL Ich hatte damals für die Schülerzeitung am Humboldtgymnasium über Musik geschrieben. Die Jusos, die Jugendorganisation der SPD, hat den Artikel ohne mein Wissen unter meinem Namen in ihrer Zeitschrift nachgedruckt. Da sah man keine andere Möglichkeit, als mich rauszuwerfen bei der Jungen Union. Ich habe viel später mit Jochen Daams von den Grünen an Themen wie der Gewerbesteuer gearbeitet, ohne dort Mitglied zu sein. Das hat aufgrund der wissenschaftlichen Arbeit Spaß gemacht, aber mir waren einige Führungskräfte der Grünen zu ideologisch. Deshalb bin ich dann zur CDU zurückgekehrt. Richtig politisch aktiv wurde ich erst wieder mit meiner Kandidatur zum Stadtrat 2020.
Und in der Freizeit?
GABRIEL Genieße ich die Zeit mit der Familie und gehe meinem Hobby nach, dem Trackday-Fahren (freies Fahren auf offiziellen Rennstrecken, Anm. d. Red.). Ich hoffe, das jetzt öfter machen zu können. Ich bin 66 Jahre alt. Bei einem guten Motor würde man sagen: Gerade frisch eingefahren (lacht).
„Ich bin 66 Jahre alt. Bei einem guten Motor würde man sagen: Gerade frisch eingefahren“Horst Gabriel
BJÖRN BOCH FÜHRTE DAS GESPRÄCH