Kompakte Filmprofis
Videoreportagen mit Christopher Pattberg
Seit dem Aufkommen der ersten Spiegelreflexkameras mit Videofunktion erfreuen sich kleine Kameras im Filmbereich größter Beliebtheit. Mit Vollformatsensoren in Systemkameras bietet die A7-Reihe von Sony aber noch mehr Kompaktheit – und damit besonders im Bereich der Videoreportagen zahlreiche Vorteile.
Zeitlich etwas versetzt zum Fotobereich ist die digitale Revolution inzwischen auch im Filmbereich angekommen. Einer der enormen Vorteile hierbei ist die geringe Größe der Systemkameras im Vergleich zu Filmkameras. Diese haben bei großen Filmproduktionen gewisse Vorteile, doch im Reportagebereich ist Kompaktheit immer zu bevorzugen: Wer Situationen einfangen möchte, ohne sie dabei durch seine Anwesenheit zu sehr zu beeinflussen oder zu verfälschen, für den bieten gerade die Systemkameras mit Vollformatsensoren Möglichkeiten, die es bisher so schlicht nicht gab.
Geringe Größe ohne Kompromisse
Normalerweise würde man erwarten, dass der Vorteil der Kompaktheit durch einen Nachteil in einem anderen Bereich erkauft werden muss. Bis vor Kurzem war das beispielsweise die Limitierung auf APS- C-Sensoren im Bereich der Systemkameras. Mit der A7-Reihe ist dies aber Geschichte: Obwohl die Gehäuse kaum größer sind als vergleichbare Kameras mit Cropsensor, verfügt die komplette A7-Reihe sowie die A9 über Vollformatsensoren. Besonders sticht hier die A7S II heraus, deren Sensor zugunsten der Filmqualität auf eine hohe Pixel-Anzahl verzichtet. Was auf den ersten Blick in Zeiten der Megapixel-Boliden verwunderlich klingt, führt zu großen Vorteilen beispielsweise im High-ISOBereich. Hier kommt man mit deutlich weniger Licht aus, und je weniger man selbst beleuchten muss, umso authentischer und unverfälschter werden die eingefangenen Momente.
Sollte man trotz allem häufiger einen Bedarf für hohe Auflösungen haben, kann man auf die Sony A7R II zurückgreifen, deren 42-MP-Sensor nach wie vor an der oberen Grenze der Auflösungsleistung im Vollformatbereich angesiedelt ist. Auch die A7R II bietet Video-Enthusiasten die 4K-Auflösung in voller Sensorgröße und alternativ die Option, im APS- C- Crop zu arbeiten. Bei der Nutzung des vollen Sensors greift Sony hier allerdings auf Pixel-Binning zurück.
Ein weiterer Aspekt, der gerade im Filmbereich dem Wunsch nach Kompaktheit normalerweise entgegenläuft, ist die Stabilisierung der Kamera. Immerhin muss das Bild hier nicht nur für beispielsweise 1/250 Sekunde stabilsiert werden, sondern für komplette, längere Sequenzen. Dementsprechend groß sind die Gerätschaften, die im Filmbereich normalerweise zur Stabilisierung eingesetzt werden. Im Reportagebereich muss das Bild zwar nicht ganz so perfekt stillstehen, wie Sie das aus den typischen Hollywood-Blockbustern kennen. Unkontrollierte, ruckelige Bewegungen möchte man aber natürlich trotzdem vermeiden. Die stabilisierten Sensoren in den A7-Kameras sind hierbei ein guter Kompromiss für leichte Bewegung im Bild, die sich nicht störend bemerkbar macht. Die A7-Reihe nutzt einen Fünf-Achsen-Stabilisator. Wer sich jetzt fragt, wo genau sich im dreidimensionalen Raum denn diese fünf Achsen verbergen, dem empfehle ich einen Blick auf den Infokasten auf der letzten Seite des Artikels – und dann kann man sich dort gleichzeitig noch einen Tipp dazu abholen, wie man alleine mit einem normalen Fotostativ für etwas zusätzliche Stabilität bei Filmaufnahmen sorgen kann.
All diese Punkte verfolgen den Ansatz, mit möglichst wenig Aufwand ein möglichst hochwertiges Endergebnis zu erzielen. Auf den ersten Blick mag man in diesem Kontext nicht unbedingt an den Punkt 4K-Auflösung denken, diese macht sich allerdings spätestens im Schnitt positiv bemerkbar. Das liegt daran, dass auch heute noch ein absoluter Großteil der Filme auf Endgeräten angeschaut wird, die maximal eine FullHD-Auflösung darstellen können. Da eine Ausgabe des fertigen Films in 4K-Auflösung also selten nötig ist, können wir das Mehr an Auflösung nutzen, um das Full-HD-Bild zu optimieren – oder uns bestimmte Schnittoptionen zu ermöglichen: Wer beispielsweise bei Video-Interviews keine Möglichkeit hat, eine zweite Kamera zu nutzen, kann durch die Auflösungsreserven einfach für eine zweite, deutlich nähere Perspek- tive auf bis zu 200 % ins Bild hineinzoomen. Was auf den ersten Blick an Digitalzoom erinnert, wird durch die Beschränkung auf die FullHD-Ausgabe wieder relativiert: Ein 200%- Crop aus 4K-Daten entspricht in Full-HD-Auflösung einem 100%-Ausschnitt des Bildes.
Natürlich kann man den Auflösungsvorteil auch dafür nutzen, um typische Bildfehler wie einen schiefen Horizont oder stürzende Linien zu korrigieren. Auch ein nicht ausreichend stabilisiertes Bild lässt sich im Schnitt deutlich einfacher und mit besserer Endqualität stabilisieren, wenn die Aufnahmen in höherer Auflösung vorliegen, als es für die Ausgabegröße eigentlich nötig wäre. Die meisten Stabilisierungs-Plugins oder Effekte beschneiden das Bild näm- lich etwas, und bei starker Bearbeitung kann eine Aufnahme die „nur“in Full-HD erzeugt wurde dann schnell so wirken, als läge sie nur in 720p-Auflösung vor.
Rauschvorteil
Auch wenn gerade die A7S II mit der Kombination aus ihrem besonders lichtempfindlichen Sensor und der internen Stabilisierung schon beste Voraussetzungen für Aufnahmen bei wenig Licht liefert, lässt sich natürlich auch hier wieder der Auflösungsvorteil ausnutzen: Ein in 4K aufgenommenes und im Schnittprogramm entrauschtes Bild wird in der Full-HD-Ausgabe nochmals rauschfreier wirken. Grundsätzlich erreichen wir also immer eine Verbesserung der Qua-
Besonders sticht hier die A7S II heraus, deren Sensor zugunsten der Filmqualität auf eine hohe PixelAnzahl verzichtet. Christopher Pattberg
lität, wenn die Aufnahmeauflösung höher ist als die Ausgabeauflösung. Selbst dann, wenn in der Nachbearbeitung oder im Schnitt keine großen Bildkorrekturen erfolgen sollten, macht eine 4K-Aufnahme fast immer Sinn, da das herunterskalierte Bild (übrigens genau so wie im Fotobereich) eine höhere Qualität aufweist.
Stichpunkt Bedienbarkeit
Bisher haben wir uns primär mit den internen Features der Kamera selbst beschäftigt. Während dies natürlich wichtig ist, gibt es aber einen Aspekt, der bei der Benutzung einer jeden Kamera mindestens genauso wichtig ist, nämlich die Bedienbarkeit. Die kleinste, unauffälligste Kamera der Welt bringt uns in der Praxis wenig, wenn sie sich nicht vernünftig bedienen lässt. Eine reine Liste der technischen Features einer Kamera sagt daher nur sehr wenig darüber aus, wie sie sich in der Hand anfühlt und wie gut sie sich benutzen lässt.
Wichtig ist hierbei nicht nur die Möglichkeit, schnell und unkompliziert die wichtigsten Aufnahmeparameter anpassen zu können. Auch eine einfache Kontrolle des Bildes über das Klappdisplay und einen gelungenen internen Sucher ist unerlässlich. Eine gute Kamera steht nicht zwischen dem Benutzer und seinem Motiv, und manchmal sind es dann die auf den ersten Blick kleinen Dinge, welche die Arbeit deutlich vereinfachen. So liefert Sony beispielsweise einen Adapter mit, der bei den USB- und HDMI-Anschlüssen verhindert, dass die Kabel ungewollt herausgezogen werden können – nicht umsonst gibt es im klassischen Filmbereich Menschen am Set, die primär dafür zuständig sind, die Kabel zu sichern.
Der USB-Anschluss bietet ab der zweiten Generation der A7-Reihe übrigens auch noch den überaus willkommenen Zusatznutzen, dass Sie den Akku in der Kamera über eine Powerbank laden können, während die Kamera gleichzeitig weiterhin benutzbar ist. Somit erspart man sich das lästige Unterbrechen von Aufnahmen, was ansonsten schnell zu verpassten Situationen führen oder bei Video-Interviews Ihren Gesprächspartner aus dem Konzept bringen kann.
Mehr Flexibilität durch Adapter
Wer aus dem Fotobereich kommt und erste Schritte im Filmbereich wagen möchte, der wird irgendwann über Optiken stolpern, die primär für das Filmen konzipiert wurden. Auf den ersten Blick mag es vielleicht wundern, dass hier überhaupt Unterschiede vorhanden sind. Dies wird aber klarer, wenn man die besonderen Ansprüche an Foto- und Film- Objektive vergleicht: Bei einem Zoomobjektiv im Fotobereich ist es beispielsweise wenig relevant, ob die Optik nach dem Fokussieren am kurzen Ende des Zoombereichs beim Heranzoomen neu fokussiert werden muss, weil sich durch das Zoomen der Fokuspunkt verschoben hat. Ein solcher Fokus-Shift würde während einer entsprechenden Filmaufnahme wiederum deutlich stören beziehungsweise ein fortlaufendes Fokussieren während des Zoomens erfordern.
Ein weiteres Beispiel ist die inzwischen überwiegend genutzte Fokussierung über einen Motor („focus by wire“). Das führt dazu, dass der Fokusring keinen festen Anschlag beim Fokussieren auf Unendlich oder auf die Naheinstellgrenze hat. Außerdem fehlt meist die Möglichkeit, die Blende über einen Blendenring an der Optik direkt zu verändern. Selbst dann, wenn dies möglich sein sollte, ist man immer noch auf festgelegte Blendenschritte limitiert, bei denen das Objektiv die Blende einrastet. Man kann also nicht stufenlos Auf- oder Abblenden. Im Fotobereich stört das wenig, denn hier lässt sich ja einfach die Verschlusszeit entsprechend anpassen. Dies ist im Filmbereich normalerweise nicht der Fall, außerdem lässt sich so auch nicht während der Aufnahme stufenlos die Helligkeit anpassen. Glücklicherweise führte die Kons truktion der A7-Serie als Systemkamera dazu, dass die Kameras über ein extrem kurzes Auflagemaß verfügen. Das Auflagemaß bezeichnet den Abstand zwischen Sensor und Bajonett. Da so gut wie alle Objektive auf dem Markt (unabhängig davon, ob sie für den Foto- oder Filmbereich gedacht sind), für ein längeres Auflagemaß konstruiert wurden, lassen sich diese an Kameras mit geringem Auflagemaß per Adapter nutzen. Inzwischen gibt es eine Fülle von Adaptern am Markt, mit deren Hilfe sich fast jedes erdenkliche Objektiv an E-Mount-Kameras anschließen lässt.
Spezielle Filmoptiken sind in der Anschaffung zwar teuer, lassen sich aber in allen größeren Städten kostengünstig bei Filmverleihen besorgen. Des Weiteren sind inzwischen viele Hersteller, die eigentlich eher für Foto- Optiken bekannt sind, auf den relativ neuen Markt der Filmer aufmerksam geworden und bieten gute,
Viele Alt- Optiken bieten einen Look, der sich drastisch von den heutigen Hochleistungsoptiken unterscheidet. Christopher Pattberg
Alternativen. Diese Optiken sind in vielen Fällen bereits so konstruiert, dass sich die Blende stufenlos verstellen lässt. Außerdem verfügen sie über einen festen Anschlag am Anfang und Ende des Fokusbereichs.
Klassische Looks
Fast noch spannender (und deutlich günstiger) ist die Möglichkeit, per Adapter alte Foto- Optiken aus der Zeit vor Einführung des Autofokus einzusetzen. Diese Optiken besitzen natürlich immer eine manuelle Fokussierung mit hartem Anschlag, außerdem lassen sie sich meist relativ einfach so umbauen, dass sich die Blende stufenlos verstellen lässt. Viele dieser Alt- Optiken bieten einen Look, der sich drastisch von heutigen Hochleistungsoptiken unterscheidet. Gerade leichte Überstrahlungen und andere Bildfehler, die vor allem bei Offenblende auftreten, führen zu mehr Charakter der Aufnahmen und bieten eine schöne Alternative zum manchmal sehr glatten, cleanen Look heutiger Optiken, die fast frei von Abbildungsfehlern sind.
Eine große Hilfe bei der Nutzung dieser Optiken ist das sogenannte Fokus-Peaking: Hierbei werden Kontrastkanten im Bild, die im Fokusbereich liegen, mit einer farbigen Hervorhebung angezeigt. Mit etwas Eingewöhnungszeit lässt sich so relativ schnell manuell fokussieren, auch ohne zwangsläufig jedes Mal zur Kontrolle hineinzoomen zu müssen. Um eine gute Sichtbarkeit dieses Features bei unterschiedlichen Lichtsituationen und Motiven zu gewährleisten, lassen sich die Farbe und die Dicke der Linien verändern.
Reduktion auf das Wesentliche
Was wir bei all diesen technischen Themen natürlich nicht vergessen sollten, ist der eigentliche Inhalt der Filme. Wir haben uns diesem Thema nun von der technischen Seite angenähert, denn wenn all diese Punkte an einer Kamera stimmen, führt dies dazu, dass sie uns beim Arbeiten nicht im Weg steht und im Ideal- fall unsichtbar wird. Das Mehr an technischen Möglichkeiten führt dazu, dass man am Set von vielen Themen befreit wird, für die man ansonsten ein Mehr an Licht, Technik oder Menschen benötigt. Paradoxerweise erlaubt uns also gerade das Mehr an Features in der Kamera eine Reduktion auf das Wesentliche beim Arbeiten.
Man sollte bei all diesen Möglichkeiten allerdings auch im Auge behalten, dass ein maßvoller Umgang meist besser wirkt als ein komplettes Ausreizen des Machbaren. Gerade die extreme Lichtempfindlichkeit des Sensors der A7S II lässt in der Anwendung schnell vergessen, dass die Kamera in vielen Fällen mehr sehen kann als selbst das menschliche Auge. Solange dieses Feature überlegt eingesetzt wird, erlaubt es Aufnahmen, die kaum mit anderen Kameras machbar sind. Wenn Sie es aber übertreiben oder einsetzen, ohne dass dies durch Ihre Story motiviert ist, kann es schnell negative Auswirkungen haben. Wir sind eine solche Art des Sehens einfach nicht gewohnt. Es gilt also auch hier: Oft ist weniger mehr. Auch in anderen Bereichen sollten Sie genau überlegen, wie weit Sie die Grenzen der Kamera ausreizen. Während es in manchen Situationen hilfreich sein mag, mit wenig Licht überhaupt ein verwendbares Bild produzieren zu können, sollte dies nicht dazu führen, dem Thema Licht keine Beachtung mehr zu
schenken. Immerhin geht es bei Licht nicht nur um die Intensität, sondern mindestens genauso sehr um die Qualität.
Fortschritt als Luxusproblem
Letztendlich sind aber all das natürlich Luxusprobleme, die durch den Fortschritt in der Kameratechnik überhaupt erst entstehen. Es ist wichtig, sie im Hinterkopf zu behalten – schafft man das, dann sind die neuen Systemkameras mit Vollformatsensor aus meiner Sicht die perfekten Werkzeuge, um unauffällig und mit wenig Aufwand tolle Ergebnisse zu erreichen. ■