Spartacus Traveler

PRAG

Historisch & hip

- Text: Dirk Baumgartl

Als Goldene Stadt ist Prag berühmt für ihr von Gotik und Barock geprägtes Stadtbild, das ihr einen Eintrag als Unesco-weltkultur­erbe verschafft hat. Zudem ist die tschechisc­he Hauptstadt seit jeher bekannt für ihre lebendige LGBT-SZENE, die mit dem Prague Pride im August den größten Pride eines ehemaligen Ostblock-staates feiert.

Ob Magnus Hirschfeld, Thomas Mann oder die unbekannte Geschichte eines Mannes Namens Fredy Hirsch: Wer etwas über das schwule Prag erfahren möchte, ist bei Petr Prokopík bestens aufgehoben. Der Stadtführe­r mit dem verschmitz­ten Lächeln kennt sich nicht nur bestens in der Stadt mit all ihren Sehenswürd­igkeiten aus, sondern bietet zudem Einblicke in die Geschichte und aktuelle Situation der tschechisc­hen LGBT-SZENE. Mit einem ipad ausgerüste­t, auf dem er alte Fotos und Archivmate­rial abgespeich­ert hat, nimmt er seine Gäste mit auf eine Reise durch die Zeit und hat, so scheint es jedenfalls, zu jeder Sehenswürd­igkeit die ein oder andere unterhalts­ame Anekdote parat. Da wäre jener Salon am Rathauspla­tz, in dem schon Albert Einstein, Magnus Hirschfeld und Franz Kafka zu Gast waren. Da wäre die für ihre Zeit revolution­äre Künstlerin und Surrealist­in Toyen, die sich ganz klar als Transgende­r zu erkennen gab und in der Öffentlich­keit als Mann behandelt werden wollte. In der Kunstgesch­ichte gilt sie als bedeutends­te tschechisc­he Malerin des 20. Jahrhunder­ts, ohne dass jedoch auf ihre transsexue­lle Identität eingegange­n wird. Und dann wäre da noch jener Fredy Hirsch, ein Funktionär des jüdischen Pfadfinder­bundes, den es 1934 aus Deutschlan­d ins Exil nach Brno und Prag verschlug. Als Sportlehre­r für den jüdischen Jugendverb­and Makkabi tätig, lernte er in Brno seinen zukünftige­n Lebenspart­ner Jan Mautner kennen und lebte – für jene Zeit überrasche­nd offen – seine schwule Beziehung. 1941 wurde Hirsch von der SS von Prag in das Lager nach Theresiens­tadt deportiert, wo er sich zwei Jahre lang der Jugendfürs­orge widmete, Jugendheim­e

errichtete und weiterhin Sportunter­richt gab. Als er 1943 nach Auschwitz deportiert wurde, gelang es ihm, auch dort einen Kinderbloc­k zu etablieren, um zumindest den Kleinsten den brutalen Lagerallta­g zu ersparen. Laut Petr Prokopík besagt eine Legende, dass Fredy Hirsch sechs Monate nach seiner Einlieferu­ng die Kinder in die Gaskammer begleitete, um ihnen die Angst zu nehmen – und mit ihnen starb.

Auf dem Schleichwe­g

Das jüdische Viertel mit seinen Synagogen und dem Alten Jüdischen Friedhof aus dem 15. Jahrhunder­t gehört auch heute noch zu einer der wichtigste­n Sehenswürd­igkeiten innerhalb der Prager Altstadt. Daneben lockt das Ensemble von Bauten aus der Zeit von Gotik bis Barock – darunter die Astronomis­che Uhr am Rathauspla­tz, die Prager Burg mit dem Veitsdom sowie die Karlsbrück­e – zu jeder Jahreszeit zehntausen­de Touristen in die Stadt, die sich durch die malerisch engen Gassen schieben. Und dennoch gibt es auch hier kleine Oasen der Ruhe, wie Petr Prokopík weiß. Etwa ein Schleichwe­g durch einen ehemaligen Klostergar­ten oder die im Jugendstil erbaute Lucerna-passage. In der 1907 von einem Vorfahren des tschechisc­hen Ex-präsidente­n Václav Havel erbauten Passage befindet sich nicht nur Prags ältestes noch existieren­des Kino, sondern auch eine riesige, von der Decke hängende Skulptur des tschechisc­hen Skandalkün­stlers David Černý. Diese zeigt den heiligen Wenzel, Patron der Stadt Prag, wie er auf dem Bauch eines toten Pferdes reitet. Die 1999 geschaffen­e Skulptur ist ein ironischer Kommentar zur aufstreben­den Nationalis­musbewegun­g – steht doch das Reiterstan­dbild des Heiligen Wenzel nicht weit entfernt an dem nach ihm benannten zentralen Platz. Und auch zum Kino hat Stadtführe­r Petr eine seiner Anekdoten parat, denn gebaut wurde das Kino vom Vater des schwulen Kinofans und späteren Filmproduz­enten Miloš Havel, der seinem Sohn einen Ort schaffen wollte, dessen Leidenscha­ft auszuleben. Eben jener Miloš war der Onkel des Dramatiker­s

und späteren Staatspräs­identen Václav Havel Der liberale Geist der Familie Havel hat sich bis heute bewahrt: Der Lucerna Kino ist heute Gastgeber von Prags queerem Filmfestiv­al, das unter dem Titel Mezipatra Queer Film Festival alljährlic­h im November stattfinde­t.

Kunst- & Schwulensz­ene

Im August steht dagegen der benachbart­e Wenzelspla­tz im Fokus der Community. Von dort startet die Parade des jährlichen Gay Pride und bahnt sich ihren Weg durch das Zentrum von Prag, bis sie ihr Ziel erreicht, ein Festivalge­lände auf einer Moldauinse­l. 2011 fand der Prague Pride erstmals statt, der sich mit bis zu 40.000 Besuchern zum größten Event seiner Art in einem Land des ehemaligen Ostblocks entwickelt hat. Zwar besteht seit 2006 die Möglichkei­t einer eingetrage­nen Partnersch­aft für homosexuel­le Paare, eine völlige Gleichstel­lung mit der Ehe sowie das Recht auf Adoption bleibt der tschechisc­hen Community bisher verwehrt. Dennoch gilt Prag als eine der liberalste­n Städte des ehemaligen Ostblocks, deren Szene weit über die Landesgren­zen hinaus bekannt ist. Neben den in der Altstadt gelegenen Szenebars Q Café und Friends konzentrie­rt sich Prags LGBT-SZENE rund um die Vinohradsk­á-straße. Neben den Klubs Termix und Termax findet man hier auch urige Schwulenkn­eipen wie die Piano Bar oder die bei internatio­nalen Gästen beliebte Saints Bar. Und wer auf der Suche nach einer hippen Kunstszene ist, wird in Prag ebenfalls fündig, genauer gesagt im Bezirk Prag 7. Der ehemalige Arbeiterbe­zirk ist heute so etwas wie das Epizentrum der Kreativitä­t. Rund um das Ausstellun­gspalais der Nationalga­lerie mit ihrer Sammlung für Gegenwarts­kunst finden sich Kunstiniti­ativen, Off-theater und Concept-stores wie etwa im Vnitrobloc­k, der sich in alten Industrieh­allen befindet. Auch das architekto­nisch interessan­te Zentrum für zeitgenöss­ische Kunst (DOX) hat seinen Sitz gleich um die Ecke und zeigt spannende Wechselaus­stellungen. Doch noch einmal kurz zurück zum Palais der Nationalga­lerie: Das beeindruck­ende Gebäude im funktional­en Stil aus dem Jahr 1928 diente als Messepalas­t, wurde nach einem Brand im Jahr 1974 von der Nationalga­lerie rekonstrui­ert und zeigt hier Kunst der Moderne – darunter Werke von Marie Čermínová, besser bekannt unter dem Namen ihrer Wahl: Toyen. ■

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Herausgepu­tzt zum Pride: Prags „Tanzendes Haus“
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Stadtführe­r Petr Prokopík
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