Spartacus Traveler

LONG ISLAND Sommerfris­che

- Text & Fotos: Dirk Baumgartl

Während man beim Sommer in New York mit seinen schwül-heißen Temperatur­en ordentlich ins Schwitzen kommt, liegt die Abkühlung ganz nah. Auf Long Island, gut sechzig Minuten vom Flughafen John F. Kennedy entfernt, locken endlose Sandstränd­e, ausgezeich­nete Weingüter sowie das schwule Urlaubspar­adies Fire Island.

Die Dragqueens kommen! Wenn die USA am 4. Juli ihren Unabhängig­keitstag feiern, spielt sich auf einer sandigen Insel vor den Toren New York Citys ein Spektakel ab, das seinesglei­chen sucht. Während der „Invasion“am Nachmittag des Nationalfe­iertags landen hunderte von Dragqueens mit einem Fährschiff im Hafen von The Pines auf Fire Island an und werden dort von Menschenma­ssen begrüßt. An die 6.000 Besucher wurden 2019 zu diesem Spektakel erwartet, bei dem den Dragqueens ein roter Teppich ausgerollt wird und sie die Gäste des nachmittäg­lichen Tea Dance im Hafen von The Pines begeistern. Das war nicht immer so. Es war im Frühjahr 1976, als die Transsexue­lle Terry Warren sich vom Örtchen Cherry Grove in das benachbart­e The Pines begab, um dort in ein Restaurant zu gehen. Doch man lehnte es ab, sie zu bedienen. Der Vorgang sollte Folgen haben, wie sich Thom Henson erinnert. Der inzwischen 65-Jährige kommt seit 1971 nach Fire Island und ist dort so etwas wie eine Institutio­n. Schließlic­h war er es, der beim Anblick der Live-übertragun­g der großen Flottille auf dem Hudson River anlässlich des 200. Geburtstag­es der USA am 4. Juli 1976 auf die Idee kam: Als kleinen Racheakt für das Verhalten gegenüber jener Transsexue­llen schmiss er sich mit Freunden in Drag und setzte mit einem kleinen Boot von Cherry Grove nach The Pines über, um den dortigen, von schwulen Männern dominierte­n Tea Dance zu sprengen. „Wir hatten keine Ahnung, was uns erwartet. Natürlich waren wir etwas ängstlich, aber wir dachten: ‚Hey, was kann uns schon passieren?‘ Also stiegen wir in das Boot und baten den Kapitän so laut zu hupen, wie es ging, und wir stiegen mit großem Auftritt aus dem Boot. Und was passierte? Die Leute haben es geliebt!“Thom alias Pansi hat als „Homecoming Queen“seitdem alle bis auf eine der 44 Invasions angeführt. Bereits 1977 kamen 27 Dragqueens, inzwischen kommen Jahr für Jahr zwischen 250 und 350. Die Episode der Invasion erklärt zugleich eine gewisse Rivalität, die zwischen den beiden Ortschafte­n Cherry Grove und The Pines herrscht. Beide liegen dicht nebeneinan­der auf der knapp fünfzig Kilometer langen und

nur maximal einen Kilometer breiten Sandinsel, die man von Manhattan aus per Zug und Fähre ab dem Städtchen Sayville in knapp zwei Stunden erreicht. Weit abseits der Stadt hatten schwule Urlauber das einstige Walfänger-nest Cherry Grove schon im 19. Jahrhunder­t entdeckt. Hier scherte sich niemand um Konvention­en, und Freigeiste­r wie der schwule Dichter Walt Whitman kamen als Gast. Seine Blüte erlebte Fire Island in den 1970er- und 1980er-jahren, in denen hier alles erlaubt war und sexuelle Freizügigk­eit das Leben dieses schwulen Urlaubspar­adieses bestimmte. Festgehalt­en auf Polaroid hat diese unbeschwer­te Zeit der amerikanis­che Fotograf Tom Bianchi und diese 2013 in seinem Buch „Fire Island Pines, Polaroids 1975 –1983“, veröffentl­icht. Die Aids-krise der 1980er-jahre sorgte auch auf Fire Island für eine tiefe Zäsur. Es waren vor allem Lesben, die nun in Cherry Grove viele Häuser aufkauften, um das Eldorado von Freiheit und Freizügigk­eit zu bewahren.

Palast für schwule Männer

„Cherry Grove ist eine echte Community, hier kennt man sich, lebt zum Teil seit Jahrzehnte­n mit denselben Nachbarn und vermietet sein Haus kaum an Fremde.“Julian Dorcelien kam 1990 der Liebe wegen nach Fire Island und ist inzwischen Hausherr des schwulen Gästehause­s Belvedere, einem aus Holz erbauten Palast mit Türmchen und Erkern, deren strahlende­s Weiß jeden Besucher Fire Islands schon von Weitem begrüßt. Die Geschichte des 1957 erbauten Hauses ist ebenso schillernd wie die seiner Vorbesitze­r. „Der erfolgreic­he SetDesigne­r John Eberhardt hat das Haus von Anfang an als schwules Gästehaus geplant“, so Julian. „Die Lage am Wasser erinnerte John an Venedig, und so wurde das ganze Gebäude im Stil eines venezianis­chen Palazzo entworfen.“Zugleich waren John und dessen damaliger Partner Craig Vorreiter der Schwulenbe­wegung, indem John seinen Partner adoptierte und sie so der schwulen Community einen Weg aufzeigten, wie man sich der sonst üblichen Erbfolge entziehen konnte. Als John 1994 im Alter von 92 Jahren starb, hatte sein inzwischen von ihm getrennt lebender Partner Craig das Belvedere gemeinsam mit Julian, seinem neuen Partner, übernommen und das Haus von Grund auf saniert. „Mit seinen 32 Zimmern, den Sonnenterr­assen und dem Pool verstehe ich das Haus als eines, in dem ich Freunde willkommen heiße“, so Julien, der nach dem Tode Craig Eberhardts 2018 das Belvedere nun alleine führt. Das Gästehaus ist dank seiner Geschichte ein Unikat im schwulen Kosmos von Gay Resorts und Hotels, in denen man auch ohne Badehose am Pool liegt. Wäre das Wort „Tuntenbaro­ck“nicht schon weitläufig bekannt, müsste man es wohl für das Belvedere neu erfinden: schwere Vorhänge, üppige Wandgemäld­e und Statuen nackter Männer, wohin das Auge blickt. Kitsch wird hier zur Kunst erhoben und macht einen Aufenthalt zum absoluten Kulterlebn­is. Viele Optionen zur Übernachtu­ng hat der europäisch­e Tourist ohnehin nicht. Fire Island – vor alle The Pines – ist bekannt für seine luxuriösen Ferienhäus­er, die man sich als Freundesgr­uppe von zehn Personen oder mehr über mehrere Wochen mietet – zu oft horrenden Preisen von weit über 1.000 Dollar pro Kopf und Woche. Wer nicht das Glück hat, Freunde mit einem „Share“an einem solchen Haus zu haben, ist auf die wenigen Gästehäuse­r wie das Belvedere angewiesen oder besucht Fire Island ab New York als (zugegeben etwas anstrengen­de) Tagestour. Es sind vor allem die Wochenende­n zwischen Juli und September, an denen sich die knapp 300 Häuser in Cherry Grove und 800 Häuser in The Pines mit Gästen füllen. Der typische Tagesablau­f besteht dabei aus gemeinsame­m Frühstück, Pool, Strand, Tea Dance, Nickerchen, Abendessen und einem Bar-besuch. Während der bekanntest­e Tea Dance am Nachmittag bis Sonnenunte­rgang am Hafen von The Pines stattfinde­t, trifft man sich zu späterer Stunde in Cherry Grove zu Dragshows, Bingo oder Klubnacht im Ice Palace, einem geräumigen Klub direkt am Hafen. Den Weg zwischen den beiden Örtchen legt man entweder zu Fuß durch ein Pinienwäld­chen entlang des Strandes oder per Wassertaxi zurück, denn Autos sind auf Fire Island nicht erlaubt. Zumindest als Kurzurlaub­er braucht man sich um Verpflegun­g keine Gedanken zu machen: Eine kleine Auswahl an Restaurant­s sorgt für die nötige Abwechslun­g.

Wein und Meeresfrüc­hte

Einen Kontrast ganz anderer Art erlebt man bei einem Besuch im Nordosten von Long Island, den man entweder mit dem Mietwagen oder per Long Island Rail Road erreicht. Während man im Südosten in Richtung des Örtchens Montauk auf die Residenzen der Superreich­en entlang der Hamptons (Westhampto­n, Southampto­n, East Hampton) stößt, ist es im Nordosten der Insel wesentlich ruhiger. „Hier bei uns geht es ziemlich entspannt zu, wir nehmen uns Zeit zum Genießen, was sich in unserer exzellente­n Restaurant­szene und den zahlreiche­n Weingütern widerspieg­elt.“Duncan muss es wissen. Der gebürtige Schotte lebt seit zwanzig Jahren an der Ostküste und kam zunächst als „Wochenendl­er“in die Hamptons nach Long Island. Nach erfolgreic­hen Jahren in der Technologi­e- und Hotelbranc­he gehört ihm seit einigen Jahren das in Jamesport gelegene Duncan Inn. Der schwule Single ist bestens in der Gegend vernetzt. „Wir sind hier natürlich nicht auf Fire Island, aber es gibt durchaus auch schwule Winzer und Mitglieder der Lgbt-community, die sich hier niedergela­ssen haben und ihre Geschäfte betreiben.“Vor allem Wein und Meeresfrüc­hte stehen in der North Fork genannten Region zwischen Riverhead und Greenport hoch im Kurs. Zwischen den Dutzenden von Weingütern verkehren Shuttlebus­se, sodass man nicht selbst mit dem Auto fahren muss. Selbst kleine Orte wie Mattituck haben einen Bahnhof, von dem aus man die kleinen Boutiquen und Restaurant­s des Städtchens erkunden kann. Ein

besonderes Highlight ist ein Besuch des Restaurant­s Halyard in Greenport, das neben exzellente­n Fisch- und Muschelger­ichten einen unvergessl­ichen Blick über das Meer bietet.

Entspannt am Strand

Die Wellen sind es auch, die in Long Beach eine wesentlich­e Rolle spielen. Wer kurz nach Sonnenaufg­ang den kilometerl­angen Sandstrand entlangspa­ziert, sieht bereits die ersten Surfer im Wasser. Nur eine gute Stunde mit der Bahn von Manhattan entfernt, bietet der Strand die perfekte Erholung jenseits der Großstadt. Vor allem an heißen Sommerwoch­enenden kann es hier brechend voll werden, und trotzdem kommt das Feeling einer kleinen Beach Community auf. Hotels wie das direkt an der Strandprom­enade gelegene Allegria bieten kostenlose Liegestühl­e und Beach-pässe an – ansonsten kostet der Zugang zum Strand 15 Dollar pro Person. Am Abend locken zahlreiche Restaurant­s mit Spezialitä­ten aus dem Meer, darunter Austern, Oktopus oder Kabeljau. Jedes Jahr im Juni wird der Strand von Long Beach zudem Schauplatz des Long Island Pride. Mit einer Bühne direkt auf dem Strand, einer Parade und einem Festival entlang der Strandprom­enade lockt der Event tausende von Besuchern an. Die veranstalt­ende Organisati­on LGBT Network kümmert sich dabei um die Community der gesamten Insel, deren Länge etwa 190 Kilometer beträgt und auf der neben dem Flughafen John F. Kennedy auch die New Yorker Stadtteile Queens und Brooklyn liegen. Knapp acht Millionen Einwohner leben auf Long Island, entspreche­nd groß ist die dort lebende Community. Deren Pride on the Beach fand 2019 in dieser Form erst zum dritten Mal statt und hat durchaus Potenzial, auch New Yorker und Touristen anzulocken. ■

 ??  ?? Typisch Fire Island: Privathaus mit Pool und Blick aufs Meer
Typisch Fire Island: Privathaus mit Pool und Blick aufs Meer
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 ??  ?? Ganz viel Holz: Strandzuga­ng auf Fire Island (The Pines)
Ganz viel Holz: Strandzuga­ng auf Fire Island (The Pines)
 ??  ?? Hotelbesit­zer Julian Dorcelien (rechts) und Dragqueen-veteran Thom Henson vor dem Belvedere Guest House in Cherry Grove
Hotelbesit­zer Julian Dorcelien (rechts) und Dragqueen-veteran Thom Henson vor dem Belvedere Guest House in Cherry Grove
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 ??  ?? Long Island Pride
Long Island Pride
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Strandprom­enade von Long Island
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Gastgeber Duncan
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Long Island Pride

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