Blues aus neuer Perspektive
John Lee Hooker’s World Today
Alle paar Jahre wandelt sich grundlegend das allgemeine Verhältnis zum und Verständnis von Blues. Gegenwärtig befinden wir uns wieder in einer solchen Phase der Umwertung. Musiker wie Jaimeo Brown oder jüngst Fink setzen völlig neue Maßstäbe im Blues. Das jüngste prominente Beispiel für diesen Bedeutungswandel ist „ John Lee Hooker’s World Today“von Hugo Race und Michelangelo Russo. Der in Australien geborene Weltenbummler Hugo Race gehört zu den Gründungsmitgliedern von Nick Cave’s Bad Seeds und hat sich deren infernales Blues- Feeling in seiner eigenen Band True Spirit bis heute bewahrt. Mundharmonikaspieler Michelangelo Russo ist auch schon seit einigen Jahren bei True Spirit zugange. Gemeinsam haben sie sich nun dem Erbe John Lee Hookers verschrieben. Sie kehren jedoch nicht zu den Wurzeln zurück, sondern finden ihre eigenen Übersetzungen für HookerSongs wie den „ Hobo Blues“oder „ Country Boy“. Als würden sie die Originale sezieren und neu zusammennähen, werden Gitarren- und Mundharmonikaspuren geloopt, mit elektronischem Zischen und Brummen verätzt, mit jeder Menge Voodoo versetzt und zu immer undurchdringlicheren Klangkonglomeraten gestapelt. Race’ Stimme murmelt in ähnlicher Weise über das Soundgebräu wie Nick Cave auf seinen letzten beiden Platten. Der Puls ergibt sich aus den Interferenzen. Diese überaus düsteren Ambientlandschaften erstrecken sich in der Ebene, sie gehören der Nacht. Die gängigen Harmonien und Takte des Blues werden weitgehend außer Kraft gesetzt, sein archaischer Spirit bricht sich dennoch Bahn. Zwar ist das suizidale Timbre dieser neun Songs durchaus mit Bands wie Grinderman, Murder By Death oder Wovenhand vergleichbar, und dennoch beginnen Race und Russo bei Null. Sie packen den Blues auf einem toten Gleis und zaubern ihn in die mystische Halbwelt zurück, aus der er vor mehr als hundert Jahren gekommen ist. Kühn und brillant!