Ein gutes Stück der Zeit voraus
Als der Bassist und Eigenbrötler Holger Czukay mit der Band CAN seine größten musikalischen Heldentaten in Angriff nahm, quälte sich David Sylvian auf der Schulbank gerade mit dem kleinen Einmaleins. Als sie sich 1988 trafen, um zuerst die LP „ Plight & Premunition“und ein Jahr später „ Flux + Mutability“aufzunehmen, spielten die 20 Jahre Altersunterschied keine Rolle mehr. Dabei waren zwei Jahrzehnte damals noch eine viel größere Generationsbarriere, als das heute der Fall ist. Nicht wegen der tatsächlichen Jahre als vielmehr wegen des üblichen Antagonismus aus Lebenserfahrung und Lust an der Überwin- dung. Doch der schrullige Czukay war ohnehin ein ewiger Querulant und Außenseiter, und Sylvian hatte bewusst seine erfolgreiche Laufbahn bei der weit über England hinaus erfolgreichen Pop- Gruppe Japan in die Tonne getreten, um sich über einige Umwege experimentellerer Musik zu widmen. Auf den beiden Kollaborationen tritt der Sänger vokal überhaupt nicht in Erscheinung. Beide Platten, die hier auf einer Doppel- CD zusammengefasst sind, bestehen aus jeweils zwei instrumentalen Longtracks, in denen die Intentionen der beiden Musiker wie in einem Aquarell ineinander verlaufen. Czukays lustvolle Besessenheit am Experiment inklusive der unverzichtbaren Radioschnipsel aus aller Welt fusionieren wundervoll mit Sylvians Schwermut. Auf dem ersten Album handelt es sich um reine Klangflächen, während die zweite Platte ( zumindest im ersten Track) dank Jaki Liebezeit rhythmisch stärker akzentuiert ist. Weitere Gäste auf „ Flux + Mutability“sind Michael Karoli und Markus Stockhausen, ihrerseits stilistisch eigenständige Charaktere und gerade im Fall des Trompeters Stockhausen jemand, dessen Ton an sich schon hinreißend ist. Diese zeitlosen Ambientnebel haben praktisch keine Halbwertzeit. Auch 30 Jahre nach ihrer Entstehung ist immer noch die Tollkühnheit bewundernswert, mit der sich diese beiden Visionäre über alle damaligen Kategorien hinwegzusetzen wussten.
Grönland / Rough Trade ( 70: 57)