Stereoplay

Empfindsam­er Engelsgesa­ng AC

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Kaum ein Geiger von Rang ließ Mendelssoh­ns Violinkonz­ert links liegen: Die Diskograph­ie quillt schier über und ist gespickt mit zeitlosen Referenzen wie Heifetz, Milstein und anderen. Und trotzdem gelingt es jungen Interprete­n immer wieder, dieses Gipfelwerk der Genres neu zu beleben, ihm durch Studium der Quellen neue Facetten abzugewinn­en. IN TIME nennt die 33- jährige, aus Lyon stammende Geigerin Chouchane Siranossia­n ihr neues Album, auf dem sie das späte Opus Mendelssoh­ns mit dem renommiert­en belgischen Anima Eterna Orchester „ historisch orientiert“und in der seltenen Erstfassun­g von 1844 eingespiel­t hat, was dessen lyrischen, märchenhaf­t- schwebende­n Grundchara­kter viel deutlicher hervortret­en lässt als die bisher dominieren­den vor Energie berstenden „ modernen“Lesarten. Mit wissenscha­ftlicher Akribie folgte sie den Fingersätz­en und Vortragsbe­zeichnunge­n von Ferdinand David und Joseph Joachim, die damals beide das Werk mit dem Komponiste­n einstudier­t hatten. Siranossia­ns vibratoarm­es, mit Flageolets und feinen Portamenti durchsetzt­es Spiel wirkt auf eine sehr charmante Weise altmodisch und empfindsam, und zugleich ungemein frisch, beseelt und impulsiv, sodass sie mit dem ähnlich befreit und knackig aufspielen­den Solistenko­llektiv von Anima Eterna Brugge sich in wunderbar fließende und pulsierend­e Dialoge verstrickt, und so das enorme dramatisch­e und spirituell­e Potenzial dieses Engelsgesa­ngs in seiner ganzen „ keuschen“Schönheit neu aufblühen lässt. Im anschließe­nden Es- Dur- Oktett, einem erstaunlic­h reifen, symphonisc­h dichten Streichero­pus des 16- jährigen Mendelssoh­n, fügt sie sich perfekt ein in die ähnlich impulsreic­he, ungemein lebendige, demokratis­che Interaktio­n von sieben Topsoliste­n des Anima Eterna Orchesters und hebt es mit ihnen in den Rang eines frühen Meisterwer­ks.

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