Jenseits des Horizonts
Günther Mania, der uns als Audiodesigner wohlvertraut ist, hat ein Hobby: Röhrenverstärker. Seine neueste Kreation, eine 300B mit sagenhaften 20 Watt, dürfte eigentlich gar nicht existieren. Was ist der Trick?
Westend Audio Systems Leo
Die Kulttriode Western Electric 300B ist in der weltweiten Röhren- Fangemeinde ungefähr das, was ein W 198 für Mercedes- Benz- Liebhaber darstellt. Sozusagen der Flügeltürer unter den Röhren. Der Traum eines jeden röhrenbegeisterten HiFi- Liebhabers. Und selbstredend muss diese bildschöne Leistungstriode im äußerst ineffizienten, verschwenderischen und teuren Single- Ended- Betrieb laufen. Denn nur so entfaltet sie ihr volles Klangpotenzial, dem in den 70er- Jahren zunächst in Japan gehuldigt wurde und das in den Jahrzehnten darauf dann in den USA und anderen Ländern wiederentdeckt wurde. Denn der Urvater aller 300B- Amps, der Western- Electric- Verstärker 91A, geht auf die 30er- Jahre des letzten Jahrhunderts zurück.
Doch diese schöne Story hat heutzutage einen handfesten Nachteil: die geringe Leistung einer 300B. Die Mehrzahl aktueller Lautsprecher benötigt deutlich mehr Power als die sechs bis sieben Watt, die eine 300B normalerweise aufbringt ( andere Zahlen kommen aus der Marketing- Abteilung, nicht aus dem Messlabor). Und das
schränkt die Lautsprecher- Auswahl natürlich ein, nicht selten auf die eigentliche Domäne der kleinen Trioden- Amps: Hörner, „ laute“Breitbänder, aktive Mehr- Wege- Konzepte und Ähnliches.
An dieser Situation war bis dato technisch nicht zu rütteln. Bis Günther Mania begann, sich mit der 300B zu beschäftigen. Über seine mittlerweile patentierte neue Idee meint er nur trocken, er sei ja ein TransistorEntwickler. Und womöglich sei es ihm genau deshalb gelungen, über den Röhren- Tellerrand hinauszuschauen.
Beim Teamwork mit Stefan Trog von Westend Audio ( München) ging es auch darum, kein Retro- Gerät, sondern vielmehr einen modernen 300B- Vollverstärker zu bauen, in dem nicht nur die Triode mithilfe eines Betriebssystems stets optimal eingestellt wird, sondern auch aktuelle Features inbegriffen sind. So etwa ein Pegelsteller via Widerstands- Netzwerk, Balance- Einstellung, im Pegel einstellbare Quellen, BluetoothVerbindung, Phonostufe sowie – last but not least – ein ansprechendes optisches Design, für das Stefan Trogs beeindruckende Fertigungsmöglichkeiten in der Metallverarbeitung („ Jede Oberfläche ist machbar“) verantwortlich sind. Herausgekommen ist ein bildhübscher Vollverstärker, der an vier Ohm 20 Watt produziert, die 300B aber nicht überbeansprucht. Wie das genau geht, ist elektronisch betrachtet nicht trivial, zumal im Münchner „ Leo“– so heißt der Newcomer – eine ganze Reihe technischer Tricks zum Einsatz kommt, die der langen Erfahrung eines mit allen Wassern gewaschenen Audio- Entwicklers entspringen. So sind schon die beiden ECC81- Doppeltrioden im Eingang mit vier Stromquellen versehen, was äußerst stabile Arbeitspunkte garantiert. Dabei arbeiten die Triodensysteme jeweils im Parallelbetrieb und eine aktive Brummkompensation sorgt bereits hier für einen verbesserten Störspannungsabstand. Die Endröhre wird dann zugunsten niedrigerer Sättigungsspannung des Gitters gleichstromgekoppelt angesteuert, womit die negativen Auswirkungen kapazitiver Kopplung ( etwa Speichereffekte nach Übersteuerung) umgangen werden.
Die zweistufige Auslegung des Amps besitzt mit einer Triode im Eingang und einer im Ausgang den Vorteil, dass durch die 180- Grad- Gegenphasigkeit beider Stufen eine Klirrkompensation des ja ähnlichen Klirrs von Trioden stattfindet. Auch deshalb benötigt der Leo keinerlei Gegenkopplung
Die spezielle Stromquelle, die Günther Mania „ SCS“(„ Steered Current Source“) nennt, erweitert quasi den nutzbaren Kennlinienbereich der 300B und führt letztlich zu deutlich höherer Leistungsaus-
Günther Mania: „ Der Fahrer ( Endröhre) bestimmt, wohin es gehen soll ( Klang), die Servopumpe ( SCS) unterstützt ihn beim Lenken“.
beute, ohne die Verlustleistungsgrenze der 300B zu überschreiten. Günther Mania formuliert das bildhaft so: „ Die SCS funktioniert so ähnlich wie die Servolenkung im Auto. Der Fahrer ( Endröhre) bestimmt, wohin es gehen soll ( Klang), die Servopumpe ( SCS) unterstützt ihn beim Lenken und übernimmt einen Teil der benötigten Arbeit ( Verlustleistung) zwecks Entlastung des Fahrers, ohne eigenwillig in die gewünschte Richtungsänderung ( Klang) einzugreifen.
Genau das leistet die SCS: Die Röhrencharakteristik bleibt original erhalten, die Röhre muss aber weniger Verluste absorbieren. Der Verstärker kann dadurch ohne die Röhre zu überlasten wesentlich mehr Leistung abgeben.
Selbstredend wird die 300B mit Gleichspannung geheizt ( dazu dient ein Schaltnetzteil). Beim Start wird die Spannung röhrenschonend sanft hochgefahren, während des Starts stellt ein Microcontroller den Arbeitspunkt der Endröhre exakt auf den Sollwert ein. Auch Alterungseffekte der Endtriode werden so ausgeglichen.
Wie tief der „ Transistor- Entwickler“Günther Mania „ in“der 300B- Thematik steckt, zeigt sich allein schon dadurch, dass die Heizung der Triode bei jedem Einschalten umgepolt wird, um eine ungleichmäßige Abnutzung der Kathode ( durch das sich über die Länge des Heizfadens ändernde Potenzial) zu vermeiden: ein Thema, dem bei Gleichspannungsheizung fast nie Beachtung zuteil wird. Frohgemut zwei originale alte Western- Electric- 300B ( falls zufällig vorhanden) in die LeoFassungen zu stecken, sollte also niemandem schwerfallen. Serienmäßig wird der Vollverstärker derzeit mit adäquaten Nachbauten ausgestattet, bis die WE300B vielleicht wieder verfügbar ist. Aber das ist eine andere Story...
Kompakte Übertrager
Im Vergleich zu Luftspalt- Typen fallen die RingkernAusgangsübertrager des Leo klein aus, doch die eigens neu entworfenen, blau verkapselten „ Eisen“ohne Luftspalt gewährleisten hörbar enge Kopplung an den Lautsprecher. Die hier via Kondensator verbundene Strecke zur Anode der Endröhre ist Gegenstand vieler Dis- kussionen, doch allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein Kondensator vielleicht klanglich ein besseres Geschäft ist als ein Trafo mit Luftspalt, dessen magnetische Eigenschaften gerade durch den Luftspalt stark beeinträchtigt werden. Der Frequenzgang des Leo spricht diesbezüglich für sich selbst.
Doch zurück zu den Halbleiterhelfern des Leo, genauer gesagt, zu dessen Phonostufe, die volltransistoriert ist und einen umschaltbaren MM-/ MCEingang bietet. In Cinchsteckern eingelötete Parallelwiderstände sollen hier für die richtige Anpassung von MCAbtastern sorgen, eine zwar puristische, nichtsdestotrotz vernünftige Lösung. Klanglich kann sich der Phonoteil in einer
Art und Weise behaupten, die beeindruckend ist; bessere Lösungen schlagen vierstellig zu Buche...
Typisch 300B
Profunde Kenner des 300BKlangs wissen um die magischen Fähigkeiten der Triode, die sich durch intensive Klangfarben, ungeheuer viele Mikroinformationen und das Intaktlassen musikalischer Beziehungen auszeichnet. Anstatt die Töne wie auf einer Perlenkette aufzureihen, kann ein wirklich guter Verstärker vielmehr die Synergien und nicht einzelne Töne in den Fokus rücken.
Die enorme Eingängigkeit dieses Klangs, die ein PushPull- Amp erstaunlicherweise kaum bietet und die den Zuhörer unnachahmlich in den Bann ziehen kann, rührt auch nicht von zu viel Wärme oder gar Schönfärberei her, sondern vielmehr von einem ausgeglichenen, zeitlosen Klang, der alles andere als behäbig ist und dynamische Beziehungen intakt lässt. Eine zu simple, effektheischende Show bietet ein perfekter Single- Ended- 300BAmp ( es gibt auch andere) nie, dafür aber faszinierende Leichtigkeit, Schnelligkeit und – gerade bei leisen Tönen – innere Ruhe und zartestes Ausklingen bis zur absoluten Stille.
Der Leo bewältigt all dies perfekt. Und er kann sogar noch viel mehr, denn er bewahrt die Fähigkeiten der Ausnahmetriode zur Gänze, fügt aber wie durch Zauberei eine gute Portion Muskelmasse und damit reinen, puren Schub hinzu. Und er erweitert so die Lautsprecherauswahl um moderne Schallwandler, die ja fast durchweg etwas niederohmiger daherkommen.
Damit wir uns richtig verstehen: Echte Stromsäufer sind damit immer noch nicht in Reichweite, wohl aber eine breite Auswahl vernünftiger Lautsprecher mit ordentlichem Wirkungsgrad.
Einen besseren und – wenig verwunderlich – kräftigeren Single- Ended- 300B- Amp haben wir bisher noch nie gehört. Und in der absoluten Einstufung spielt dieses kleine Klangwunder ebenfalls ganz weit „ oben“mit. Zudem bietet der Leo alle Features eines zeitgemäßen Vollverstärkers und ist auch noch bildhübsch. Großes Kompliment!