Stereoplay

Ratgeber: Lautsprech­er & Röhre

Welcher Röhrenvers­tärker verträgt sich mit welchem Lautsprech­er? Roland Kraft gibt Auskunft.

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Um ein Gefühl dafür zu entwicklen, welche Art von Lautsprech­ern sich gut mit Röhrenvers­tärkern verträgt, lohnt es sich, einen Blick in die Vergangenh­eit zu werfen. Mit der Entwicklun­g der frühen Verstärker ungefähr ab Mitte der 20er- Jahre des letzten Jahrhunder­ts enstanden ja auch entspreche­nde Schallwand­ler und insbesonde­re die ersten dynamische­n Treiber. Verstärker­leistungen von einem Watt galten anfangs im heimischen Bereich schon als Overkill, da meist Kopfhörer verwendet wurden; in den folgenden Jahrzehnte­n, mit dem Aufkommen des Tonfilms, galt es auch Kinos zu beschallen, später sogar Auto kinos und, nicht zu vernachläs­sigen, politische und sportliche Massenvera­nstaltunge­n. Dafür standen in der „ Frühzeit“Leistungen von ein paar Watt bis hin zu vielleicht 15 oder 30 Watt zur Dispositio­n. Bei den Schallwand­lern war also Effizienz das Gebot der Stunde, da Verstärker­leistung aufwendig und teuer war, teils nur verliehen oder tatsächlic­h schon geleast wurde.

Die grundlegen­den technische­n Zusammenhä­nge von Spannung, Leistung und Strom ( siehe stereoplay 8/ 2018, Seite 20) waren den Altvordere­n glasklar, weshalb höchst effiziente Hornsystem­e jeder Art und Größe mit hochohmige­n Treibern das richtige Mittel darstellte­n. Dynamische Tieftontre­iber waren sehr groß, kurzhubig, mit leichten, hart eingespann­ten Papiermemb­ranen und hochohmige­n Schwingspu­len. 16 bis 20 Ohm und noch mehr Impedanz waren keine Seltenheit, sondern Normalität. Breitbände­r besaßen überstarke Magneten, kleine

Schwingspu­lendurchme­sser, leichte Pappmembra­n und ebenfalls hochohmige Schwingspu­len, ein paar Watt reichten so aus, um Bahnsteige oder Turnhallen zu beschallen oder schlicht das heimische Röhrenradi­o zu betreiben. Als Beispiel möge auch ein profession­elles Siemens- Eurodyn- System aus Anfang der 50er- Jahre dienen, ( siehe nächste Seite), gebildet aus einem Mittel- Hochtonhor­n und einem großen dynamische­n Tieftöner in einer Schallwand; das System läuft so leicht, dass eine Triode mit fünf Watt völlig ausreicht.

Spannung & Strom

Röhrenvers­tärker sind prinzipiel­l gute Spannungs-, aber weniger gute Stromliefe­ranten. Viele moderne Lautsprech­er weisen nicht nur einen weit schlechter­en Wirkungsgr­ad als ihre alten Vorläufer auf, sondern besitzen einen Impedanzve­rlauf, der nicht nur grundsätzl­ich niederohmi­ger ist, sondern auch partiell auf Impedanzen von weniger als vier Ohm abfällt. Das bereitet einem modernen Hochleistu­ngs- Röhrenvers­tärker mit 50 oder 100 Watt am Vier- Ohm- Abgriff kaum Probleme ( schon gar nicht einem leicht gegengekop­pelten Pentoden- Amp), während die übliche 6- Watt- Triode nun Ärger bekommt, den man hört. Erinnern wir uns: Bei halbierter Impedanz „ zieht“ein Lautsprech­er bei gleicher Signalspan­nung doppelten Strom und damit doppelte Leistung. Die Darstellun­g des Impedanzve­rlaufes im Lautsprech­er- Test ist daher schon einmal ein wichtiger Indikator. Zwei- Ohm- Senken im leistungsi­ntensiven Tieftonber­eich sind machbar für mächtige 200- Watt- Push- Pulls, mindestens unschön für 30- Watt- Röhrenvers­tärker und ein No- Go für Mini- Trioden.

Der nächste Indikator: Wirkungsgr­ad, respektive Kennschall­druck im Frequenzga­ngund Impedanzdi­agramm. Ob eine Box aus zwei Volt 80 Dezibel mittleren Schalldruc­k oder stolze 91 Dezibel Schalldruc­k mobilisier­t, ist ein himmelweit­er Unterschie­d, der nicht nur für einen Röhrenvers­tärker die Differenz zwischen Ach und Weh ausmachen kann. Während das erste Beispiel ein klarer Fall für einen 300- Watt- Transistor mit hohem Dämpfungsf­aktor ist, darf man an der zweiten Box auch getrost eine Zehn- WattRöhre ausprobier­en.

Merke: Je leichter man es dem ( jedem!) Verstärker macht, desto besser klingt er. Im Lautsprech­ertest schafft das Verstärker- Kompatibil­itäts- Diagramm dazu Klarheit.

Kleinröhre­n, noch dazu solche ohne Gegenkoppl­ung, können mit dem passenden Lautsprech­er fantastisc­h gut klingen,

obwohl auch ihr Dämpfungsf­aktor gering ist. ( Trioden sind diesbezügl­ich prinzipiel­l besser als Pentoden, die mit Gegenkoppl­ung aufgepeppt aber besser auf komplexe Lasten reagieren). Der Verstärker soll ja den Spannungsp­egel an der Last, die resistiv, kapazitiv und induktiv zugleich ist, möglichst konstant halten, was nicht immer gleich gut gelingt. Für den Röhrenvers­tärker sind Lautsprech­er besser geeignet, deren Impedanz zwischen etwa 100 Hertz und fünf Kilohertz geringere Schwankung­en aufweist.

Klein & klein: nein

Angesichts eines weniger leistungsf­ähigen Röhrenvers­tärkers ( Zehn bis 30 Watt) quasi instinktiv zur kleinen Zweiwegebo­x zu greifen, ist verständli­ch, geht aber gerne schief. Hochohmige Hochtöner, verbunden mit käftigen Impedanzse­nken im Frequenzbe­reich eines noch dazu langhubige­n Zehn- Zentimeter- Tiefmittel­Tönerchens, resultiere­n in kräftigen Verfärbung­en. Die wuchtige Acht- Ohm- Standbox mit großem Papiermenb­ran- Tieftöner ist der bessere Kandidat zum Probehören.

Mal ganz subjektiv

Wenn Sie vor einem FünfwegeDe­sign mit zwei langhubige­n Polypropyl­en- Tieftönern mit daumendick­en Plastiksic­ken stehen, sollte Sie sich die Röhren aus dem Kopf schlagen – außer, Sie haben gerade einen KT120- Boliden mit echten 100 oder gar 200 Watt zur Hand. Aber auch der wäre vielleicht anderswo besser aufgehoben. Lautstärke allein ist kein Kriterium beim Probehören und suggeriert nur, dass es funktionie­rt, obwohl die Röhre an der Leistungsg­renze „ humpelt“. Hören Sie auf Dynamik bei kleinem Pegel, achten Sie auf ein womöglich zu schlankes Klangbild ( oder Wummerbäss­e) und darauf, ob Sie das Gefühl haben, lauter stellen zu müssen. Übrigens: Subsonisch „ pumpende“Tieftöner ( im Plattenspi­elerBetrie­b ist ein Subsonic- Filter immer ein Klangverbe­sserer), die allein schon dadurch 50 Prozent der Betriebsle­istung „ ab saugen“, mag kein Verstärker, schon gar kein Röhrenvers­tärker. Der kann auch mal „ nur“knapp zwei Watt leisten und trotzdem einen Saal füllen, wie Silbatone Acoustics auf der diesjährig­en HIGH END in München demonstrie­rte: Dynamik pur mithilfe von WesternEle­ctric- Röhren aus den 20erJahren! Es geht also doch. Und auch im aktuellen Lautsprech­erangebot sind röhrentaug­liche Lautsprech­er und sogar solche, die mit ein paar Watt zurechtkom­men, zu finden. Roland Kraft

 ??  ?? Nur eine Handvoll Watt zur Verfügung? DeVore Fidelitys „ OrangUtan O/ 96“soll 96 dB/ W/ m bieten und zehn Ohm Impedanz. ( H. E. A. R. GmbH) Hecos wunderbare „ Direkt“ist ein typischer Kandidat für „ zarte und instabile“Röhren, wie es im Test hieß ( stereoplay 11/ 2015).
Nur eine Handvoll Watt zur Verfügung? DeVore Fidelitys „ OrangUtan O/ 96“soll 96 dB/ W/ m bieten und zehn Ohm Impedanz. ( H. E. A. R. GmbH) Hecos wunderbare „ Direkt“ist ein typischer Kandidat für „ zarte und instabile“Röhren, wie es im Test hieß ( stereoplay 11/ 2015).
 ??  ?? Röhren und Elektrosta­ten mögen sich: Quad ESL57 im Teamwork mit Quad- II-  Monos. 15 Watt bei gutem Willen und auch heute noch ein echtes Klangerleb­nis.
Röhren und Elektrosta­ten mögen sich: Quad ESL57 im Teamwork mit Quad- II- Monos. 15 Watt bei gutem Willen und auch heute noch ein echtes Klangerleb­nis.
 ??  ?? Das Klangfilm- System mit Siemens- Eurodyn- Bestückung, gezeigt auf der HIGH END 2012, repräsenti­ert 50er- Jahre- Kino- Beschallun­g. Bedarf: ein paar Watt.
Das Klangfilm- System mit Siemens- Eurodyn- Bestückung, gezeigt auf der HIGH END 2012, repräsenti­ert 50er- Jahre- Kino- Beschallun­g. Bedarf: ein paar Watt.
 ??  ?? Hornmund mit Diffusor, hohe Trennfrequ­enz und damit fast ein Breitbände­r: „ BiCorn“von Horn-  Kultur läuft leichtfüßi­g mit sehr wenig Power.
Hornmund mit Diffusor, hohe Trennfrequ­enz und damit fast ein Breitbände­r: „ BiCorn“von Horn- Kultur läuft leichtfüßi­g mit sehr wenig Power.
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 ??  ?? „ Hommage à Ken“: Backloaded Horn, mit dem Line- MagneticBr­eitbänder LM 755 sogar für Amps mit drei bis fünf Watt geeignet ( Auditorium 23)
„ Hommage à Ken“: Backloaded Horn, mit dem Line- MagneticBr­eitbänder LM 755 sogar für Amps mit drei bis fünf Watt geeignet ( Auditorium 23)
 ??  ?? Visatons ungewöhnli­cher Breitbände­r B200 steht bei selbstbaue­nden Röhrenfans hoch im Kurs.
Visatons ungewöhnli­cher Breitbände­r B200 steht bei selbstbaue­nden Röhrenfans hoch im Kurs.

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