Radikale Abkehr vom Klischee
Internationalen Ruhm erwarb sich der in Spanien geborene Italiener Enrique Mazzola bisher vor allem als temperamentvoller Verfechter der italienischen und französischen Oper. Von diesem Herbst an arbeitet er als „ principle guest conductor“an der Deutschen Oper Berlin. Seit 2012 betreut er zudem als Chefdirigent das 1974 gegründete, bei uns noch kaum bekannte Orchestre national d’Ile- de- France, das vor allem die Region um Paris bespielt und mit dem er Aufnahmen für das neue französischen Label NoMadMusic macht. Gerade erschien Mazzolas erstes Beethoven- Album. Ich muss gestehen, dass ich schon seit Langem nicht eine so aufregende Interpretation zweier wirklich abgespielter Werke gehört habe: Für das einleitende erste Klavierkonzert verpflichtete er den mittlerweile weltweit bekannten Cédric Tiberghien, der hier ein weiteres eindrucksvolles Exempel seiner Intelligenz und seiner schlackenlosen Präzision und Klarheit abliefert. Eine ähnliche jugendliche Frische, pulsierende Lebendigkeit und strukturelle Prägnanz gab’s zuletzt vor mehr als 60 Jahren, als Glenn Gould mit Vladimir Golschmann eine ewige Referenzmarke setzte: Die ansteckende Spontaneität, der Gesten- reichtum und die humane Wärme der Aufnahme verdankt sie auch dem nervig- trockenen, historisch sensibilisierten Orchester, das völlig fettfrei seine dramatischen Kontrapunkte setzt. Bei der anschließenden fünften Sinfonie aber verscheucht Mazzola vollends allen romantischen Titanismus und führt sie zurück in die schlanken, geradezu adoleszenten Dimensionen eines kammermusikalischen Experiments: Selbst der triumphale Schlusssatz verwandelt sich hier in einen elysischen Freudentanz, und tönt wie ein launiger Vorgriff auf die pastorale Heiterkeit der Sechsten. Es ist ein echter Befreiungsschlag und die radikale Abkehr von allen alten BeethovenKlischees!