Audio Physic Midex
Mit der Midex bleibt Audio Physic seinem Grundprinzip treu: Jedes Detail ist wichtig. Am Ende zählt aber das Gesamtergebnis, und das muss passen.
HiFi- Herstellern, die Begriffe wie „ Physik“im Namen tragen, traut man gerne von vornherein eine höhere technische Kompetenz zu. Immerhin erfordert insbesondere die Konzeption von Lautsprechern ein solides Verständnis für bestimmte physikalische Zusammenhänge. Wer sich also die Physik bereits auf die Fahnen schreibt, so die Hoffnung, wird ihr sicherlich auch eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Im Fall von Audio Physic wird man glücklicherweise auch nicht enttäuscht. Maßgeblich dafür verantwortlich ist Manfred Diestertich, der dem Portfolio der deutschen Traditionsmarke als Chefentwickler seit fast zwanzig Jahren seine eigene Signatur verleiht. Mit innovativen Ansätzen und durchdachten Lautsprecherkonzepten hebt sich Audio Physic daher erfreulich regelmäßig von der breiten Masse der Lautsprecherhersteller ab und genießt weltweit vor allem unter Kennern einen exzellenten Ruf.
Ansonsten hat sich bei Audio Physic kürzlich einiges geändert: neuer Chef, neuer Vertrieb, neue Modelle – es weht ein frischer Wind durch die Hallen der im sauerländischen Brilon ansässigen Firma. Mit der Structure gibt es ein neues Flaggschiff, außerdem wurde das Sortiment um mehrere neue Einsteigermodelle aus der Classic- Serie erweitert. Der neueste Wurf ist nun die Midex, die sich zwischen der 2015 anlässlich des 30- jährigen Jubiläums neu aufgelegten Avanti und der größeren, aus der Avanti abgeleiteten Codex einreiht. Wobei sich die Midex mit einem Paarpreis von 9000 Euro am Ende wesentlich mehr an der Codex als an der deutlich billigeren Avanti orientiert.
Alles hat seinen Preis
Das war auch nicht anders zu erwarten. Anders als ihre beiden Geschwister verzichtet die Midex zwar auf den seitlich stehenden, im Inneren des Gehäuses verborgenen Subwoofer, beherbergt sonst aber jede Menge technischer Details, die eben nicht zum Nulltarif zu haben sind. Bei ihr kommt zum Beispiel ein neues Verbundmaterial mit Wabenstruktur zum Einsatz, das bislang nur noch bei der Structure verwendet wird. Es ist ähnlich stabil, aber deutlich resonanzärmer und wesentlich
leichter als die sonst im Gehäusebau eingesetzten mitteldichten Holzfaserplatten ( MDF). Durch die teilweise offene Wabenstruktur vergrößert sich außerdem das akustisch wirksame Volumen im Gehäuse, sodass der Lautsprecher bei gleichen äußeren Abmessungen sowohl ein geringeres Gewicht als auch ein größeres Innenvolumen aufweist.
Der offenporige Keramikschaum ist hingegen schon fast ein Klassiker unter den technischen Besonderheiten, die man bei Lautsprechern von Audio Physic findet. Man kann sich dieses ungewöhnliche Material wie eine Art versteinerten Schwamm vorstellen. Es besteht zum Großteil aus Luft und ist einerseits sehr leicht, durch die Porenstruktur aus Keramik ist es aber auch extrem hart und wirkt als Diffusor.
Mit diesem Keramikschaum lassen sich die Boxengehäuse auf der Innenseite gleichzeitig konstruktiv verstärken als auch akustisch bedämpfen, wobei die besondere Struktur des Materials dazu führt, dass das effektive Innenvolumen des Gehäuses dadurch kaum verringert wird. Äußerlich tanzt die Midex nicht aus der Reihe und folgt der typischen Audio- PhysicTradition. Das schlanke, aber kantig wirkende Gehäuse ist leicht nach hinten geneigt und der Preisklasse entsprechend hochwertig ausgeführt. Wer sich statt eines Holzfurniers für die etwas teurere Verkleidung aus farbigem Glas entscheidet, erhält einen Korpus mit mehrschichtiger Außenhaut, der sich durch eine zusätzliche Schalldämmung auszeichnet. Alles in allem ist also alleine das Gehäuse der Midex bereits wesentlich aufwendiger konstruiert, als ihr eher schlichter Anblick vielleicht vermuten lässt.
Ungewöhnliche Ideen
Auch bei den Schallwandlern verfolgt man bei Audio Physic ganz eigene Ansätze. Besonders ungewöhnlich ist, dass der Hersteller nicht nur bei der Midex, sondern fast über sein gesamtes Sortiment hinweg für den Hochtonbereich einen Konustreiber einsetzt, während man hier sonst praktisch nur Treiber mit kalottenförmiger Membran oder gleich komplett andere Wandlertypen wie Air- Motion- Transformer antrifft. Die Idee dahinter ist, dass der Konustreiber
mit seiner vergleichsweise großen Membran einen höheren Wirkungsgrad hat, was insbesondere das Klirrverhalten verbessert. Das soll vor allem die Langzeittauglichkeit des Lautsprechers erhöhen.
Außerdem soll ein konusförmiger Hochtöner besser mit dem Mitteltonkonus harmonieren. Nicht umsonst bezeichnet Audio Physic gleich beide Trei- ber, die bei etwa 2,8 kHz getrennt werden, als „ Hyper- Holografic- Cones“. In der Midex kommt bereits die dritte Generation dieses bewährten Pärchens zum Einsatz. Die Schallwandler arbeiten jeweils mit einer Aluminium- Membran, die mit einem Gummiring gezielt vorgespannt wird, um das Resonanzverhalten in den Griff zu bekommen und das gefürchtete Aufbrechen in Partialschwingungen zu verhindern. Der Mitteltöner besitzt außerdem einen markanten Phase- Plug mit flacher Nase, der in erster Linie der Wärmeabfuhr dient, und einen Doppelkorb, der Vibrationen dämpfen soll. Sein äußerer Korb besteht dabei aus Aluminiumdruckguss, der die notwendige Stabilität garantiert, während der innere Korb aus Kunststoff Schwingungen absorbieren kann. Durch diese Konstruktion sind die beweglichen Teile des Mitteltöners weitgehend vom Gehäuse entkoppelt.
Falsche Vermutungen
Allen Überlegungen, welchen akustischen Effekt der Filzring rund um den Hochtöner haben könnte, setzte Manfred Diestertich allerdings ein unerwartet jähes Ende. Auf die direkte Nachfrage hin meinte er, dass dieser Ring dort eigentlich nur aus optischen Gründen angebracht sei.
Audio Physics Treiber- Duo wird bei der Midex oben und unten von zwei Tieftönern flankiert, die unter 200 Hz einsetzen und von einem unsichtbaren Bassreflexkanal unterstützt werden, der unten an der Gehäusekante austritt. Die verteilte Anordnung der beiden Basstreiber soll eine gewisse Schallbündelung bewirken, um die Bassenergie zu konzentrieren und eine unkontrollierte Abstrah-
lung in den Raum zu verhindern.
Große Leistung
Im Hörraum musste die Midex ihre Finessen unter Beweis stellen und versprühte nicht nur mit ihrer edlen Glas- Oberfläche echten High- EndCharme. Was sie an Detailinformationen offenbarte, war schlichtweg überwältigend. Von so viel Feinauflösung kann man bei anderen Lautsprechern oft nur träumen, selbst in dieser Preisklasse. Egal, ob es sich um Nuancen in der Stimmschattierung oder die Anschlagdynamik einer Klaviertaste handelte, die Midex analysierte solche oft entscheidenden Kleinigkeiten bis in ihre Grundstrukturen. Allerdings nicht in einer aufdringlichen, vorlauten Art und Weise, sondern so, dass sich am Ende alles zu einem hochaufgelösten und äußerst fein gezeichneten Klangbild zusammenfügte, das mit einer unglaublichen Fülle an Details und extrem hohem Informationsgehalt aufwartete.
Dabei bleibt es dem Hörer überlassen, ob er das Bild lieber als Ganzes auf sich wirken lässt, oder sich in einzelne Details vertieft. Nicht alle Lautsprecher erlauben dem Hörer diese Entscheidung, sondern zwingen ihm die gesamte Information förmlich auf. Das kann bis an die Grenze zur Überforderung gehen, insbesondere dann, wenn man eher in Stimmung für entspanntes Musikhören wäre. Nicht so die Midex – ge- nau in solchen Punkten manifestiert sich die ganze Klasse dieses Lautsprechers.
So lernten wir auf einmal ganz neue Facetten der stereo
play- CD „ Ultimate Tunes 3“kennen, die immer noch zu den am meisten gehörten Testscheiben zählt. Katie Melua klang bei „ Lucy in the Sky with Diamonds“noch etwas eindrücklicher, Constanze Friends raue Stimme bei „ Walk on the Wild Side“noch ein wenig charaktervoller und Paul O‘ Brian Gesang bei „ Big Yellow Taxi“noch sonorer als gewohnt. Auch die Gitarren wirkten etwas dynamischer und akzentuierter, da verzeiht man der Midex auch die leichte Klangfärbung, die ihr letztlich einen leichten Punktabzug in der Disziplin „ Natürlichkeit“brachte.
Bei der legendären LiveAufnahme von „ Guantanamera“aus dem Jahr 1963, die aus einem Konzert der Weavers in der New Yorker Carnegie Hall stammt, zeigte sich die zweite große Stärke der Box. Der Konzertmitschnitt ist bekannt für seine überzeugende Räumlichkeit und hebt sich besonders durch die Raumtiefe sowohl in Richtung Bühne als auch in Richtung des Publikums ab. Mit der Midex gewann die Szene aber noch einmal deutlich an Größe. Es war faszinierend, wie Raumtiefe die Box erzeugte, ohne das Klangbild auseinanderzureißen. Damit hatte sie ihre High- End- Ambitionen endgültig bestätigt. Ein Hinweis noch: Etwas Erfahrung kann nicht schaden, um die Midex wirklich zu beherrschen. Abgesehen davon ist sie Weltklasse.