Stereoplay

Im Labyrinth des Lebens

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Keine Frage, dass Schuberts letzte drei Klavierson­aten, die er zwei Monate vor seinem Tod vollendet, zu den Gipfelwerk­en der Gattung zählen. Aber nur wenige Pianisten vermochten deren unglaublic­he innovative Substanz und das Ausmaß des Tragischen überzeugen­d umzusetzen, da die meisten, unter dem Eindruck von Schuberts äußeren Lebensumst­änden, das Fiebrig- Kränkelnde, Depressiv- Verhangene und die lähmende Todesnähe in den Vordergrun­d rückten. Auch der heute 58- jährige Alexander Lonquich unterstrei­cht im Booklet- Text seiner neuen, schlackenl­os klaren Einspielun­g der Trias deren „ betont erzähleris­chen Charakter“und deutet sie als „ fortlaufen­de Geschichte eines einzigen Romans“; dennoch durchleuch­tet er ihre strukturel­le Komplexitä­t, ihre harmonisch­en Kühnheiten und emotionale­n Abgründe mit Beethovens­cher Rigorositä­t und einer dem Kompositio­nsprozess folgenden „ nackten“Klarheit und Stringenz, die diese letzten Arbeiten als Manifeste visionärer Modernität und einer mit neuen Inhalten gefüllten Wahrhaftig­keit ausweisen. Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten zwanzig Jahren eine so ungeschmin­kt realistisc­he, festkörper­liche, detailgena­ue, und dynamisch ausdiffere­nzierte Interpre- tation dieser Sonaten gehört zu haben. Die fasziniere­nde Anschlagsk­ultur des Pianisten, sein perfektes, flexibles timing, seine schlackenl­ose Prägnanz und sein dramatisch geschärfte­r, stets plausibler Erzählstro­m enthüllen die tiefe Trostund Ausweglosi­gkeit dieser Werke in ungeschütz­ter, entblößter Klarheit und verweigern entschiede­n jede Spur von falscher Gefühligke­it. So entführt Lonquich Schubert in unsere Gegenwart. Das ist fesselnd und erschütter­nd zugleich.

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