Lyrische Dramaturgie
Christian Gerhahers Schumann- CD ist ein Konzept- Album eigener Art, wo die ( musikalische) Interpretation der ( intellektuellen) Deutung teils vorausgeht, teils folgt. Sängerisch markiert Gerhaher mit seinem hellen, auch in gehobener Lage zwangfreien Bariton einen Gipfelpunkt. Das gilt fürs beschwörend Leise („ Herzeleid“oder das polymetrische „ Abendlied“aus op. 107) wie für die Steigerung ins legitime, glaubhafte Pathos. Was man in Schumanns kostbaren Gesängen entdecken und erfahren kann, wird bei Gerhaher zu verbindlichstem Ausdruck ohne bloße Pose: der Auswahl gemäß fokussiert auf die Polaritäten von Liebe und Einsamkeit, Hoffnung und Resignation, Natur und Menschheit. Womit wir bei der konzeptionellen Seite sind, die Gerhaher in seinem intelligenten, bisweilen spekulativen Booklet- Text darlegt. Er reklamiert ( mit einer Ausnahme) die gesungenen Werkgruppen als Zyklen – ohne erzählerische Handlung, aber verkettet durch eine „ lyrische Dramaturgie“, eine ideell geschlossene Folge poetisch reflektierter Empfindungsstationen. In den Kerner- Liedern op. 35 wird das auf fesselnde Weise nachvollziehbar: nach zerbrochener Liebe, neuem Aufbruch, trauriger Nostalgie und bitterer Melancholie. Gerhaher inszeniert mit Kraft, Gefühl und bestens geführter Stimme ein lyrisches Drama, bis hin zum gellenden Sarkasmus („ Stille Thränen“) und zur Weltverlorenheit der beiden melodisch identischen Schlusslieder. In Opus 49 indes bleibt von des Sängers IronieVorbehalt nur der tragische Sinn: ihm gibt Gerhaher etwa in der Heine- Vertonung „ Die beiden Grenadiere“triftigste Stimme, samt Marseillaise- Zitat in Fischer- Dieskau’schem Gebrochenheitston – Illusion statt Apotheose der geschlagenen Napoleon- Krieger, in den trostlosen Klavier- Schlusstakten quittiert vom unironischen Tod. Der Pianist Gerold Huber zeigt hier wie überall sensible, klare Kunst der Mitgestaltung: ein Kammermusikpartner, kein Begleiter.