Sinfonisches Drama
Jean Sibelius wird hierzulande bis heute unter Wert gehandelt: Außer dem Violinkonzert und der kurzen 7. Sinfonie hört man seine großen Orchesterwerke nur allzu selten im Konzertsaal. Das mag an Adornos abschätzigem Urteil liegen, hat aber gewiss auch mit Sibelius eigenwilliger Musiksprache zu tun, die sich der deutsch- österreichischen Tradition weitgehend verweigert. Ein Musterbespiel für Sibelius’ „ finnische“Ästhetik bildet seine erste „ autonome“Sinfonie, die er sieben Jahre nach seiner programmatischen „ Kullervo“- Sinfonie im Jahr 1899 in Helsinki vorstellte, und die trotz Einflüssen von Tschaikowsky und Borodin sein eigenes sinfonisches Profil energisch unterstreicht: Der junge finnische Dirigent Santtu- Matias Rouvali hat nun dieses Schlüsselwerk mit dem traditionsreichen Göteborger Symphonikern, die er seit kurzem als Chef leitet, in einer hochdramatischen, geradezu vulkanisch brodelnden Interpretation neu eingespielt, und sich so mit Nachdruck als einer der neuen Hoffnungsträger der finnischen Dirigenten schule positioniert. Obwohl Sibelius in diesem bildmächtigen, von großen Kontrasten geprägten Werk jeglichen programmatischen Bezug abgewiesen hatte, entfes- selt der 33- jährige Rouvali hier ein elektrisierendes Wechselspiel von Ruhe und emotionalen Schüben, die eine opernhafte, vor Energie berstende Szenerie ohne eigentliche Handlung evozieren, also ein genuin „ sinfonisches“Drama von archaisch- elementarer Kraft. Damit aber übertrifft sogar die alten Referenzen wie Bernstein, Jansons oder Maazel an Intensität, Präzision und finnischem Lebensgefühl. Ähnlich detailgenau und spannungsgeladen dirigiert er auch die frühe sinfonische Dichtung „ En Saga“, die ebenfalls aus alten finnischen Mythen schöpft – ein fesselnder Einstieg in Sibelius’ magischen nördlichen Kosmos.