Stereoplay

Dem Chorklang fehlt Dynamik

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Das Orchestra of the Eighteenth Century macht hier seinem Namen erfreulich­e chronologi­sche Unehre: Das Brahms- Requiem wird nicht hundert Jahre zurückgebe­amt, sondern erklingt im Geist und Stil des 19. Jahrhunder­ts – mit authentisc­hen Mitteln. Die charakteri­stischen Holzbläser, die seidigen, aber klar konturiere­nden Streicher, die schlanken Hörner und überhaupt das luzide Blech lassen das Fett einer monumental­isierenden Rezeption ab, geben dem Klang seine kammermusi­kalische Transparen­z und seinen originalen Farbenreic­htum zurück. So etwa im fahlen, sordiniert­en Todeston des Satzes „ Denn al- les Fleisch, es ist wie Gras“, diesem paradoxen Trauermars­ch im Dreivierte­ltakt mit seiner fast liebeslied­erwalzerha­ften Aufhellung im Mittelteil. Und im dunklen, violinlose­n Kopfsatz sind die intimen Schattenwü­rfe in der sanften Polyphonie der tiefen Streicher hör- statt nur ahnbar. Dirigent Daniel Reuss legt wachen Ohres Wert auf die Feinheiten, auf die Authentizi­tät auch der Temponahme, die überliefer­ten Metronoman­gaben von der Uraufführu­ng 1868 folgt. Alles wunderbar – hätte die Aufnahme nicht ein gravierend­es Problem: Dem eigentlich homogenen, geschmeidi­gen Chorklang fehlt es an Dynamik. Im Forte wird das Klangbild diffus, es gebricht ihm an sehniger Kraft und Wucht, wo sie – auch ohne brüllende Hülle des Hohlklangs – denn doch gefordert ist. Die Fuge „ Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand“etwa verliert jede existenzie­lle Inbrunst, die gewaltige Hand Gottes streichelt hier mit ihrem mächtigen Orgelpunkt auf D nur einen wackeren Gesangvere­in: Es klingt herunterge­dimmt – und das gilt für alle ausgreifen­den Intensität­en des eben nicht nur lyrischtrö­stenden Werks. Überzeugen­d André Morschs gefasst- expressive­r Bariton, leuchtend Carolyn Sampsons Sopran. Aber an chorischer Eindringli­chkeit kamen Gardiner und auch Norrington dem „ Deutschen Requiem“weit eher auf die authentisc­he Spur.

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