Unbestechliche Klarheit
Beethovens drei letzte Klaviersonaten bilden nicht nur den Höheund Schlusspunkt eines beispiellosen, über drei Jahrzehnte vollzogenen Entwicklungsprozesses, der die Gattung Klaviersonate ins Zen trum der europäischen Musikkultur rückte, sondern sie öffnen dem Sonaten- Modell auch völlig neue, ins Metaphysische weisende, „ transzendentale“Perspektiven, die sich der normalen, strukturellen Betrachtung fast entziehen. Ob die drei in ihrer spirituellen Tiefe einzigartigen Finalsätze etwas mit Beethovens eigenen Reflexionen über den Tod zu tun haben, wie Thomas Mann und auch Adorno behaupteten, oder ob es genialische Versuche sind, Geist und Glauben zu versöhnen – das sind alles nur vage Erklärungsversuche, die vor der existenziellen Größe dieser enigmatischen Arbeiten verstummen müssen. Der britische Pianist Steven Osborne hat jetzt dieses Triptychon in einer extrem detailgenauen, minutiös dem Notentext, aber auch Beethovens dynamischen Vorschriften folgenden Interpretation vorgelegt, die mit großem Ernst und Respekt, und mit unbestechlicher Klarheit den objektiven Sachverhalt in lebendige, von enormer Überzeugungskraft gespeiste Klangrede übersetzt, sodass man geradezu magisch in das komplexe Geschehen hineingezogen wird. Osborne vertraut dabei ganz dem strukturellen Kontext und seiner gestalterischen Intelligenz, ganz ohne eigene emotionale Zutaten, sodass sich alles Tiefgründige, alle Dramatik, alles Spirituelle und auch alles Unvermittelte, aus dieser materiellen Rigorosität, aus dem reinen Kompositionsprozess heraus entwickeln und so gewaltige auratische und spirituelle Kraft freisetzen. Selten hat jemand den Grenzbereich von Geist und Materie, von Struktur und Transzendenz, von Physik und Metaphysik beim späten Beethoven so zwingend und überzeugend in Klang gesetzt.