Subtilster Ausdruck, organisches Melos
Robert Schumanns „Myrthen“, ein Brautgeschenk für seine Clara, sind zwar kein explizit erzählerischer Liederzyklus, folgen aber einer klaren Stationendramaturgie. Sagt Christian Gerhaher. Also Liebe, äußere Widerstände, Rollenfindung und Identität der Partner – gespiegelt in Gedichten von neun Autoren und folglich in Vertonungen, die kontextualisiert und zugleich eigenständig sind. Gemäß dem Rollenlied-charakter etlicher Stücke teilt sich Gerhaher in interpretatorischer Paarung mit Camilla Tilling den Zyklus, und beide bringen Momenthaftigkeit und übergeordneten Zusammenhang in eine stimmige Balance;
stimmlich freilich mit nicht ganz ebenbürtigen Mitteln. Denn ganz an den überragenden Liedgestalter Gerhaher kommt die Sopranistin nicht heran. Ihr nicht immer kontrolliertes, nicht immer wohldosiertes Vibrato flackert aus der intimen Lyrik schon mal ins unpassend Opernhafte hinüber, gelegentlich verhärtet sich etwas die Höhenlage. Am stärksten ist Tilling in lebhafter Charakterisierung mit einer Spur theatralischer Extroversion, etwa den in den Robert-burns-vertonungen „Jemand“und „Die Hochländer-witwe“. Aber auch „Was will die einsame Träne“(nach Heine) gelingt ihr in schöner, gefasster Innigkeit. Zugleich mischen beide Interpreten auch Nuancen feiner Ironie ins biedermeierliche Rollenklischee, dessen männlichem Part Gerhahers wunderbar lichter, beweglicher Bariton virile Souveränität verleiht: Im Mittelteil von „Talismane“(Goethe) bannt er die zagenden, zweifelnden Anfechtungen durch kraftvolle Kontur, die Melancholie von „Aus den hebräischen Gesängen“(Byron) lotet er bis in die Tiefen aus – ohne Wehleidigkeit, mit einer (textgemäßen) Note selbsttherapeutischer Klarheit. Wie der Sänger subtilsten Ausdruck, organisches Melos, präzis gewahrte Empfindung vereint, ist sein Geheimnis und seine Kunst: auf einer Höhe mit der puren Sensibilität des Lied-pianisten Gerold Huber. Sony 19075945362 (49:24)