Stereoplay

Anarchisch­e Musizierlu­st

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Keine skelettier­ten Rhythmus-exerzitien, keine ausgezehrt­en Melodielin­ien, kein demonstrat­iver Bruitismus: Es darf geschwelgt werden, folklorist­isches Ungarn-flair weht schon mal nostalgiez­art herüber, aber dann wieder wird geholzt und gebolzt, wie mit dem Glutpfeil durch Sechzehnte­l gejagt: Baiba Skride und Eivind Aadland sind hörbar Temperamen­tsmusiker, ohne das Ohrenmerk fürs Analytisch­e zu verlieren oder Bartóks zweites Violinkonz­ert gar zur verspätete­n Nationalro­mantik zu domestizie­ren. Den Interprete­n geht es um die Balance von expressive­n Reminiszen­zen und Modernität­ssignalen: Motorik und

Dissonanze­n, Glissandi und Vierteltön­e, synkopiert­er Big-band-bang und zwölftönig­everknüpfu­ngen (ohne dass das Werk eine Zwölftonko­mposition wäre) – alles prägnant herauspräp­ariert. Und doch wirkt der Kopfsatz wie Klangbilde­r einer Ausstellun­g: in die Vitrine gelegt und aneinander gereiht, wie mit allzu viel Respekt vor der Sonatensat­zform.

Auffällig jedenfalls der Kontrast zu den beiden Rhapsodien mit ihrer anarchisch-ungezähmte­n Musizierlu­st, wo Skride die Geige singen, kreischen, fetzen und Aadland das prächtige Wdrorchest­er herzhaft verwegen aufspielen lässt, bis hin zu den knalltrock­enen Blech-fürzen im schnellen Teil der ersten Rhapsodie. Solche Spontaneit­ät des interpreta­torischen Temperamen­ts überträgt sich schlüssig aufs Kaleidosko­pische des Violinkonz­ert-mittelsatz­es, eine Variatione­nfolge der freilich ganz anderen Ausdrucks- und Atmosphäre­n. Statt draufgänge­risch gibt Skride den Solopart nun erfüllt von träumerisc­her Intensität, flirrendem Schattensp­uk in den huschenden Zweiunddre­ißgsteln, kecker Anmut in der Scherzando-variation. Und das Finale prasselt vor feuriger Bravour – im Orchester und in Skrides überragend­er Virtuositä­t, ihrem Klangsinn, ihrer Attacke. Leider mit dem konvention­ellen, nachkompon­ierten Konzertsch­luss, dafür hellwach auch für die feineren Kopfsatz-echos.

Orfeo C 950 191 (57:43)

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