Marantz melody X
Mit dem Melody X sucht Marantz all jene mit wenig Raum und wenig Geld, die aber doch alles haben wollen. An Bord ist ein Laufwerk, ein digitaler Amp – und eine hochpotente Digital-sektion. Der Preis unterbietet den famosen Klangeindruck.
Alles wird kleiner. Vielleicht bis zur Grenze des Unsichtbaren. Irgendwann sitzen wir vor der virtuellen HighEnd-kette und sprechen unsere Befehle nur noch aus. So weit wird es nicht kommen. Aber der Trend ist da. Diese Kombi macht es vor. Wir stehen vor einem Vollverstärker, einem Streamer, einem Cd-laufwerk – alles in nur einer Hülle, alles auf nur 3,4 Kilogramm. Und es klingt wirklich gut.
Klein kann großen Klang produzieren. Eine Fernbedienung liegt bei. Aber die brauchen wir nicht wirklich mehr. Wir sprechen zu unserer Klangzentrale. Siri, Alexa und Google sind eingebaut, zudem gibt es eine gut programmierte App.
Hier haben Designer und Entwickler wirklich gute Arbeit geleistet – auch die Fraktion der Preisgestalter. Für 700 Euro bekommt man erstaunlich viel, alle modernen Formate werden bedient. Einzig die Vinyl-fraktion bleibt ausgespart. Apropos sparen: Das Finish kokettiert mit Metallglanz, doch hier strahlt uns Plastik an, wenig charmant, aber nicht wirklich ehrlos.
Alles ist an seinem Platz. Einzig über den Namen rätseln wir. Das Display sagt uns kryptisch „M-CR612“. Doch eleganter funktioniert die Produktsprache über den populäreren Namen „Melody X“.
Alles an Bord
Wir haben alle wichtigen Streaming-anbieter an Bord, Spotify, Tidal und Amazon. Über Tunein empfangen wir dazu noch eine unfassbare Menge an Internet-radio-stationen. Auch das klassische Radio wird bedient, inklusive einem Dab+empfänger.
Der interne Wandler versteht Pcm-signale bis 24 Bit und 192 Kilohertz. Meine Güte: Selbst DSD ist vertreten, bis DSD 5,6 MHZ. Wir können unsere Lieblingsmusik vom Handy per Bluetooth herbeistreamen, sogar Apples AirplayProtokoll wird bedient.
Die Front wirkt aufgeräumt, fast spartanisch. Der Rücken jedoch reckt uns gleich ein doppeltes Paar an Anschlussklemmen entgegen. Eine überraschende Potenzshow für diese kleine Bauform. Doch Marantz ist schlau. Damit sollen entweder zwei getrennte Lautsprecherpaare in zwei unterschiedlichen Räumen bedient werden, oder das ganz große Gedeck im Bi-wiring. Das ruft nach Kraft, die Marantz hier rein digital bedient. Pro Klemme stehen 30 Watt bereit, das ist nicht überbordend aber praxisnah. Die ganze Komponente hätte
noch kleiner werden können. Doch das Laufwerk verlangt seinen Arbeitsplatz. Wobei sich eine Zukunftsfrage stellt: Wozu noch überhaupt einen Laser und eine Schubladenmechanik? Das ist doch altes Eisen. Zumal hier der ständige Super-audio-vorkämpfer Marantz überraschenderweise keine Sacd-ausbeute integriert hat. Nun ja, dann halt nur 16 Bit.
In einem kurzen Video auf der Firmenwebsite zeigt uns Marantz, wie hübsch der Kleine im Wohnraum aussieht. Dann ein überraschendes Detail: Marantz gesellt ausgewachsene Standboxen dem Melody X zur Seite. Ist das nicht mit Spatzen auf Kanonen geschossen – kann die kleine Kiste tatsächlich diese Kraftsauger antreiben? Sie kann. Wir haben es ausprobiert. Das war stramm, hatte Kontur und Ordnung. Hier konnte man auch erleben, um wie viel besser digitale Endstufen mit der Zeit geworden sind. Früher klang es mitunter hart und kühl, nun kommt echte Musizierfreude auf. Der Melody X ist ein echtes Vorbild.
Schwere Kost
Unser Lieblings-streamingund-download-store Qobuz hofiert gerade Peter Gabriel – seine Diskografie gibt es jetzt in 24 Bit. Das muss die Fans begeistern. Aber es sei auch gesagt: Das ist ganz schwere Kost für Wandler wie Verstärker. Der Meister liebt Effekte und den wirklich großformatigen Mix. Da braucht es bei der Elektronik wie beim Ohrenpaar einen hohen Grad an Konzentration. Genau das brachte der Melody X ein – erstaunlich, wie er die Tiefbass-attacken meisterte, dazu den Schub der hellen Informationen. Das war in unserem Hörraum echtes, ehrliches High-end. Nochmals: für 700 Euro auf 3,4 Kilogramm. Wie wäre es einmal mit „Sledgehammer“live? Schon nach den ersten Takten tobt das Publikum, dazu knurrt der E-bass und das Schlagzeug peitscht. Der Melody X stellte alles in Relation, klasse wie atmosphärisch dicht das tönte, sehr sauber, wenn auch etwas kühl in der Abbildung.
Man spürt den Willen zur Analyse.
Folgen wir dem
Trend zum Kleinen.
Statt der Standlautsprecher stellten wir zwei Kompaktboxen der Edelklasse auf. Dazu kleine Klassik-streichquartette. Die Deutsche Grammophon hat – endlich – den Zyklus aller Beethoven-quartette vom Amadeus Quartet frisch digitalisiert. Jetzt in 24 Bit und sagenhaften 192 Kilohertz zu haben. Das ist ein Gottesgeschenk für alle Fans der Kammermusik. Wie beseelt die Vier zusammenspielen, wie viel Informationen in Phrasen, Atem und Tongebung zu hören sind. Da braucht es das ganz feine Händchen. Normalerweise vertrauen wir diese Edelkost nur großen Wandlern, externen Vor- und Endstufen an – nun einem Gebilde in einem Quader. Das kann doch nicht gut gehen. Doch. Der Melody X verfügte auch über Charme und Eleganz. Wieder einmal erschien uns die Abbildung etwas streng, etwas zu analytisch. Dennoch bleibt es ein großer Wurf. Da war viel zu hören. Wie die Große Fuge uns im Innersten und am Zwerchfell traf – das schaffen sonst nur die Boliden der High-endzunft. Ein Kleiner und ein wirklich Großer.