Atoll SDA200 Signature
Atolls Newcomer SDA200 ist das Ergebnis einer Verschmelzung: Streamer, DAC, Vollverstärker und Bluetooth-modul ergänzen sich hier zu einem audiophilen Alleskönner.
Schön, wenn man sich aus dem eigenen Baukastensystem bedienen kann: Die Hifi-spezialisten von Atoll Electronique, angesiedelt in Brécey, Frankreich, produzieren im eigenen Land und können mit einem erstaunlich umfangreichen Portfolio aufwarten. Sich schnell an Trends anzupassen, stellt deshalb für den 1997 von den Brüdern Stéphane und Emmanuel Dubreuil gegründeten Unterhaltungselektronikhersteller kein allzu großes Problem dar. Und die Tendenz geht eindeutig in Richtung Integration, zu beobachten bei Vorverstärkern und insbesondere Vollverstärkern. Das
„Symmetrical outputs stages with no feedback and discrete components polarized in A class.“
Wiederaufleben der „Komplettanlage“ist inzwischen ein so mächtiger Trend, dass sich auch Hersteller, deren Produkte am oberen Ende der Skala angesiedelt sind, dem nicht entziehen können. Und die ketzerische Frage, ob das Ende der Vor-/ Endstufen-saurier bevorsteht, ist mittlerweile eine erlaubte... Ist es doch sehr reizvoll, Streamer, DAC, Bluetooth-schnittstelle sowie kompakte, aber leistungsfähige D-verstärkermodule
unter einem Gehäuse zu vereinen. Ob man dabei noch einen Cd-player oder sogar eine Phonostufe hinzufügt, ist allerdings eine Interpretationsfrage mit philosophischem Einschlag...
Bei Atoll Electronique stehen die meisten Produkte unter dem Motto „bezahlbar“. Der SDA200 macht da mit 3000 Euro keine Ausnahme, denn man erhält dafür einen echten, verblüffend schweren „All-inone“,
der aus einer Verschmelzung des Vollverstärkers IN 200 mit dem Streamer ST 200 entstand. Mit dem Streamer hat der Newcomer, den sein Hersteller als „Streamer/dac/amplifier“bezeichnet, auch das Gehäuse und sein großes Farbdisplay gemeinsam. Zum Gewicht von elf Kilogramm tragen in erster Linie zwei massive Ringkern-netztrafos bei. Damit ist klar, dass man in Brécey scheinbar noch wenig von Dverstärkern hält und deutlich mehr von konventionellen A/BVerstärkern. Hier in Gestalt einer leistungsfähigen Mosfetendstufe, die mit 200 Watt an vier Ohm spezifiziert ist. Ge
messen haben wir übrigens 256 Watt an einer Zwei-ohm-last, verbunden mit bemerkenswert guter Laststabilität.
Kräftige Netzteile
Hohe Leistung und Laststabilität deuten es schon an: Bei Atoll wird nach audiophilen Regeln gebaut. Dazu gehören natürlich getrennte Stromversorgungen für Analog- und Digitalsektion. Abgesehen von den beiden 670-Watt-trafos, die mit 67 000 Mikrofarad Siebkapazität kombiniert sind, ist ein 30 Watt leistendes Netzteil für die Digitalabteilung zuständig. Polypropylen-koppelkondensatoren und ein auf analoger Ebene verbleibender Pegelsteller sind ebenfalls ganz nach dem Geschmack des Highenders, der zudem den Burr-brown-dac vom Typ PCM1792 zu schätzen weiß, der PCM bis zu 24 Bit/192 khz und DSD64/128 verarbeiten kann.
Doch bleiben wir noch kurz auf der analogen Ebene: Zwei ganz normale analoge Hochpegeleingänge verdienen es bei einem solchen Gerät heutzutage schon extra erwähnt zu werden. So kann etwa eine Phonostufe oder älteres analoges Equipment, von dem man sich nicht trennen möchte, Anschluss finden. Zusätzlich kann der SDA200 auch via „Pre Out“als Vorverstärker und im Bypassmodus sogar als reine Endstufe mit ungeregelter Lautstärke arbeiten. Das war es dann aber auch schon mit Analog.
Üppiger fällt das Digitalmenü aus, wenngleich es durchaus als Ansage zu verstehen ist, dass eine Usb-b-schnittstelle für den Rechner fehlt. Die Franzosen geben dem reinen Netzwerk-streaming sowie Bluetooth (die zweite Antenne am SDA200 ist für WLAN zuständig) klar den Vorzug, spendieren aber zusätzlich noch je zwei koaxiale und optische Eingänge am D/a-wandler.
Über seinen Netzwerkanschluss arbeitet der Atoll nicht nur mit DLNA- und UPNPzertifizierten Spielpartnern zusammen (also zum Beispiel mit Nas-systemen wie der in stereoplay 12/2019 getesteten
WD Mycloud EX2 Ultra), sondern auch mit Serversystemen. Auch wenn es sicherlich nichts Neues ist: Man sollte dem kabelgebundenen Netzwerkanschluss stets den Vorzug geben.
Als im Alltag sehr praktisch dürfen die beiden Usb-buchsen gelten: Sie sind für Speichersticks und Festplatten gedacht und bieten eine Besonderheit in Form einer Einampere-stromversorgung; der Anschluss „großer“Platten und Usb-3.0-platten ist deshalb kein Problem. Übrigens akzeptiert der SDA200 hier drei Dateisysteme, nämlich FAT32, NTFS und EXT 2/3/4; mit Mac OS Extended formatierte Festplatten bleiben also außen vor.
Dienste sind integriert
Drei Streamingdienste sind (vorbehaltlich des Abos) serienmäßig an Bord: Deezer, Qobuz und Tidal, ebenso natürlich Internet Radio. Dabei gelingt die Bedienung des Atolls mithilfe der mitgelieferten Fernbedienung und des großen Farbdisplays leidlich gut, das System weist zudem schnelle Reaktionszeiten auf und ist fast
intuitiv durchschaubar. Aber Vorsicht: Der SDA200 merkt sich die letzte eingestellte Lautstärke, anstatt nach Standby auf null zu stellen, was in der Praxis vernünftiger wäre.
In der Praxis...
...bleibt die Fernbedienung im Schrank. Über ein größeres Pad ist die Musiksammlung deutlich besser erschließbar als via Smartphone oder gar Display plus Fernbedienung. Und wer kein NAS besitzt oder sich mangels Lan-verkabelung keine (Drahtlos-)netzwerkinstallation aufbauen möchte, fände im Atoll einen guten Streamingkompromiss in Form via USB angeschlossener Festplatten. Wir bleiben gleich bei der Praxis: Der Atoll ist erfreulich rauscharm, produziert außer zartem Relaisklicken unter seinem Deckel keine Schaltgeräusche
im Lautsprecher und fällt auch nicht durch Trafobrumm auf. Und mit den übertrieben vielen Stufen des widerstandsbestückten, analogen Pegelstellers kann man sich arrangieren.
Nicht zu arrangieren braucht man sich hingegen mit dem Klang des Franzosen: Auffallend schnell und spritzig, mit gewaltigem Drive und einer hübschen Portion Vorwärtsdrang geht es hier mit Riesenschritten
„Die Lautstärkeregelung erfolgt analog und kann auch über die App gesteuert werden.“
zur Sache; man hört nicht allzu oft Verstärker, die so wieselflink agieren und dabei nicht nervös, sondern souverän wirken.
Diese Souveränität ist sicherlich auch dem schieren Drehmoment, sprich dem Leistungspotenzial des SDA200 zu verdanken, die spielerische Leichtigkeit, die dieser Vollverstärker sogar bei höherer Aussteuerung bewahrt, erinnert durchaus an die betonharte, aber stets locker-lässige Gangart fünfstellig zu Buche schlagenden High-end-„großgeräts“. Kaum weniger Lob ist für die völlig losgelöste, große und in puncto Klangfarben außerst üppig bunt garnierte Raumdarstellung fällig, das breite Klanggemälde ist zwar eher nach hinten orientiert, wirkt aber immer aufgeräumt, trennscharf und detailreich. Übrigens: So manches Vorurteil gegen MosfetAusgangsstufen, herrührend aus der Frühzeit dieser Technik, löst sich mit dem Atoll in der virtuellen Luft auf, mit der dieser verblüffende Amp die Klangkörper zu umgeben vermag.
Vorbildlich. Wohlgemerkt auch als Blaupause dafür, wie ein zeitgemäßer Vollverstärker auszusehen hat. Wer in Zukunft ohne Streaming und damit auch ohne DAC liefert, landet womöglich im Exotenstatus. Augenzwinkernd sei hinzugefügt: Lieber Festplatten bunkern, im Optimalfall das Geld in schnelle SSDS investieren...