KLANGTIPP Schwaches Drama, starke Revue
In Lullys „Isis“hört man die Nachtigall trapsen. Chefgott Jupiter auf Schürzenjagd nach der Nymphe Io spielt auf den 14. Louis höchstselbst an. Der Roi Soleil nahm die Sonnenflecken offenbar weniger krumm als seine Maitressen. Nach der Uraufführung 1677 kam es zum Skandal – der freilich nicht über die dramaturgischen Schwächen von Quinaults Libretto hinwegtäuschen kann.
Lully indes nahm’s als Steilvorlage für Revuehaftes avant la lettre: Nicht das Drama, sondern die grandiosen Divertissements zünden den Esprit seiner Musik. Inklusive Ironiebeigaben: Wenn
im trompetenschmetternden Prolog das Prosit auf Louis XIV. in die Wiederholungsschleife einbiegt, klingt das Lob im Loop nach Satire. Und wenn Göttergattin Juno die nebenbuhlende Io durch einen beschleunigten Klimawandel jagt, zieht der Komponist naturalistische Register samt bibbernder Fröstelimitation (Vorbild für Purcells „Frostmusik“).
Christophe Rousset und seine Talens Lyriques treffen Charakteristik und Diktion, federnde Rhythmik und sensible Nuancen mit jener Perfektion, für die sie als führende Lullyexperten einstehen – vornehm und elegant, ohne grellen Krawall, mit feinem Humor. Diesem Lebenspuls fügt Èvemaud Hubeaux als Io, die zuguterletzt als Isis in den Götterhimmel erhoben wird, eine Portion Lebensnähe hinzu. Sie intoniert eine – nicht nur edle – Einfalt und gewiss nicht stille Größe, bläht sich vor Stolz ob der göttlichen Gunst, lässt die Nervensäge ahnen: ein gewitztes Rollenporträt, keine Knallcharge.
Bénédicte Tauran als Juno mischt wohldosiert Maliziöses in ihren schönen Sopran, Edwin Crossleymercer als Jupiter verströmt baritonale Grandeur, nur Aimery Lefèvre als unglücklicher Iobräutigam Hiérax verwechselt Erregungs und Flatterzustand. Umso balsamischer der Tenor Cyril Auvity als Freund Pirante und später als zynische Furie. Überhaupt: vokale Exzellenz in allen weiteren Partien, auch im Chor.
Ein Hamlet im kühlen Look eines skandinavischen Tvkrimis: An der Opéra Comique verließ sich Cyrilteste ganz auf die Musik und die schauspielerischen Fähigkeiten der Sänger: Deren Mienenspiel wird auf der Bühne gefilmt und im Wechsel mit vorab produzierten Einspielern auf riesige Leinwände projiziert. Ein riskantes Konzept, zumal Thomas' Oper von der zwingenden Dramatik Shakespeares weit entfernt ist; doch zahlt sich dieser Ansatz im trefflichen Ensemble aus: Mit makelloser Diktion und brillanten vokalen Leistungen fühlen sich Stéphane Degout (Hamlet) und Sabine Devieilhe (Ophélie) ganz in die Figuren ein.