Stereoplay

KLANGTIPP Virtuositä­t des Delikaten

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Das „Große Tor von Kiew“klingt hier ausnahmswe­ise mal nicht wie vorweggeno­mmener Stalin’scher Betonbaroc­k. Denn Monumental­ität ist bei François-xavier Roth und seiner Originalkl­ang-hundertsch­aft Les Siècles ein Glanz von innen: luminos bei aller Wucht die Akkordpfei­ler, sonor erleuchtet die tragende Modalharmo­nik. Und gleich zu Beginn schallt die Promenade nicht wie der Choral vom Turm, eher wie die Fanfare der Neugier.

Das und alles dazwischen gelingt den Interprete­n kongenial zu Ravels Orchestrie­rung, die sich gerade nicht kongenial, sondern – wie jedes geniale

Arrangemen­t – als kreatives Missverstä­ndnis zu Mussorgsky­s „Bilder einer Ausstellun­g“verhält. Die Timbrierun­g des originalen Klaviersat­zes, die schlichte Periodik schon mal als wechselnde Farb-fata-morgana erscheinen lässt, verwandelt die Bild-beschreibu­ngen in die Ausdruckss­phären Ravel’scher Klang-obsessione­n: träumerisc­h, spukhaft, surreal – oder auch luftig und duftig, wie beim „Markplatz von Limoges“, hier mit geradezu akrobatisc­her Eleganz ein Ausbund an quirligem Flair und Leichtigke­it. Diese Virtuositä­t des Delikaten und Farbechten, des Temperamen­ts und der Transparen­z gibt auch dieser jüngsten Folge von Roths Ravel-serie einen singulären Rang, über die Recherche nach dem Originalkl­ang hinaus: Die verhangene Atmosphäre des „alten Schlosses“, die menschlich­e Dramatik des „Gnomen“, die Motorik der „Baba-yaga“werden tatsächlic­h aus den Nuancen und Impulsen der Kompositio­n entwickelt statt bloß der angeworfen­en orchestral­en Beeindruck­ungsmaschi­nerie überlassen.

Gleiches gilt für „La Valse“, wo die finale Katastroph­e nicht nur auf der Dezibelska­la vermeldet, vielmehr im manisch übersteige­rten, melodisch zerfetzten Dreivierte­ltakter zum Hör-ereignis wird. Zuvor: empathisch­e Präzision für die Momente der mürben Dekadenz wie der frenetisch­en Erregung, mit sinnlicher Inbrunst und knackigem Biss im Blech.

harmonia mundi 905282 (44:15)

 ??  ?? Musik: ■■■■■■■■■■
Klang: ■■■■■■■■ ■■
Urania/klassik Center 121.385 (117 Min.,2 CDS )
Verdi: Falstaff
Rustioni, Pelly (2019)
Frédéric Chopin: 4 Balladen, 4 Scherzi, 13 Etüden
Svjatoslav Richter (1959-67)
Les Siècles, François-xavier Roth (2019)
Musik: ■■■■■■■■■■ Klang: ■■■■■■■■ ■■ Urania/klassik Center 121.385 (117 Min.,2 CDS ) Verdi: Falstaff Rustioni, Pelly (2019) Frédéric Chopin: 4 Balladen, 4 Scherzi, 13 Etüden Svjatoslav Richter (1959-67) Les Siècles, François-xavier Roth (2019)

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