Aschenputtels Schönheit
Bis heute gilt die Bratsche als Stiefkind unter den Streichinstrumenten. Sie steht seit jeher im Schatten der helleren, alles überstrahlenden Violine; als Soloinstrument spielt sie im Repertoire eine Nebenrolle. So kann man auch die prominenten Viola-meister fast an einer Hand abzählen. Liegt es womöglich doch am mangelnden Charisma der Viola selbst, dass sie das Publikum nicht so in ihren Bann ziehen kann wie ihre kleinere Schwester? Wenn man in das neue erste Soloalbum des in Berlin lebenden israelischen Bratschers Amihai Grosz nur kurz reinhört, ist man auf Anhieb geheilt von allen Ressentiments: Denn es gelingt ihm auf faszinierende Weise, die Seele, die Strahlkraft, die Schönheit und Aura der Bratsche in einer Weise zum Leuchten zu bringen, wie ich es so noch nicht gehört habe. Im Mittelpunkt steht Schuberts ArpeggioneSonate, ein Werk, das ursprünglich für eine besondere Gitarre geschrieben wurde, aber das, wie Grosz beweist, genau den Seelenkern, die herbe Schönheit der Bratsche trifft. Mit seinem kongenialen Klavierpartner, dem Koreaner Sunwook Kim, führt er hier einen hochkonzentrierten, stets nobel-zurückhaltenden, geradezu zärtlichen Dialog, der den melodischen Fluss, aber auch die vielen kleinen Eintrübungen Schuberts in ein sanft strömendes Legato von großer Intensität umsetzt.
Eingerahmt werden Schuberts innere Gesänge von zwei gewichtigen Arbeiten des 20. Jahrhunderts, der späten Bratschensonate Schostakowitschs, in der Grosz die ganze Bandbreite seiner Ausdruckskraft ausspielt und einer Totenklage des ungarisch-israelischen Komponisten Ödön Pártos, in der er zwei Jahre nach Kriegsende der Opfer der Shoah gedachte. Insgesamt ein beeindruckendes, starkes Plädoyer.