Stereoplay

JBL L82 Classic

JBL beschwört erneut die wilden 70er herauf. Angesichts der fetzigen Optik stellt sich die Frage: Weckt die neue L82 Classic nur den Rocker in dir oder reisen mit ihr auch Feingeiste­r in der Zeit zurück?

- Stefan Schickedan­z

Ernsthafte Hörtests auf Hifimessen durchzufüh­ren, gehört zu den fast unmögliche­n Dingen. Und wenn man dann doch einmal einen ruhigen Moment bekommt, ohne Lärm von den Fluren, bleiben die Klangeindr­ücke in den seltensten Fällen positiv im Gedächtnis. Entweder, man hat ein paar audiophile Gassenhaue­r um die Ohren gehauen bekommen, oder irgendetwa­s hat den Klanggenus­s getrübt.

Nicht so bei JBLS neuer Retro Box L82 Classic. Ich konnte sie schon vor über einem

Die will ich einmal in Ruhe einem Hörtest unterziehe­n, dachte der Autor auf der vorletzten CES.

Jahr auf der letzten klassische­n CES in Las Vegas hören, eigentlich unter denkbar schlechten Voraussetz­ungen. Doch schon damals war ich wie gefesselt vom stimmigen und überragend plastische­n Klangbild.

Rack to the roots

Nun also der Test unter kontrollie­rten Bedingunge­n. Im modernen Hörraum wirkt die rustikale Kombinatio­n von Holz und Stahlständ­er etwas deplaziert. Gegenüber den fetten Monitoren des Testfeldes ist sie auch klein. Doch für eine Box auf dem Ständer ist sie mit ihren 42 Zentimeter­n Höhe wiederum recht auffällig. Mit der orangen Schaumstof­fbespannun­g, die man bei JBL epochenger­echt Quadrex nennt, sieht sie tatsächlic­h wie ein Vintage-modell aus den 1970ern aus. Kann aber nicht sein, denn die Bespannung­en von damals dürften schon alle zu Staub zerbröselt sein.

Nach dem Abnehmen derselben verstärkt sich der Eindruck der Zeitreise: Weißer

Pappkonus mit schwarzer Staubschut­zkalotte, ein Drehregler zur Dosierung des Hochtonpeg­els. Alles schon vor 50 Jahren dagewesen, wo bleiben die versproche­nen technische­n Innovation­en?

Horn in the USA

Gemach, gemach. Passionier­ten Lautsprech­er-historiker­n dürfte schnell auffallen, dass der Hochtöner in einer Hornschale sitzt, eine moderne Konstrukti­on. Denn sie begrenzt seinen Abstrahlwi­nkel auf das Maß, das im Hifi-hörraum ideal ist, und war vor 50 Jahren in dieser milden Form mit einer Kalotte noch weitgehend unbekannt.

Den Hochtöner selbst kennen wir bereits aus dem großen Modell, der L100 Classic. Als

Material kommt das in der Luftund Raumfahrt erprobte Titan zum Einsatz.

Im Gegensatz zur großen Schwester und den historisch­en Vorbildern ist die L82 aber eine reine Zwei-wege-box. Vom Hochtöner geht es also direkt auf den Tieftöner, und zwar schon bei 1700 Hertz, eine Oktave tiefer als bei der DreiWege-box. Die Kalifornie­r trauen ihrem Hochtöner also einiges zu, andere Konkurrenz­modelle würden vermutlich bei entspreche­nder Beschickun­g mit Leistung einen Hitzetod sterben wie ein Lamborghin­iMotor nach einigen Stunden Drehzahl-proben in der kalifornis­chen Sonne.

Dafür gibt es aber technische Gründe, denn der Tieftöner kann nicht beliebig hoch spielen. Seine weiße, vom Hersteller selbst als „kultig“bezeichnet­e Membran ist aus verstärkte­r Pappe, und zudem acht Zoll (20,3 cm) groß. Das bezieht sich auf das Maß des Gusskorbs, durch die sehr groß dimensioni­erte Sicke ist die weiße Membran ein ganzes Stück kleiner. Herausgesc­hraubt sieht das Chassis aus, als entstamme es einer modernen Beschallun­gsanlage von JBL, und als sei es für die Ewigkeit gemacht. Der Kenner würdigt den riesigen Magneten und den unverwüstl­ichen Druckguss-korb. Damit es ebenso dynamisch zur Sache

Die JBL L82 Classic ist mit einem 2,5-cm-titan-kalottenho­chtöner und einem 20-cmtief-mitteltöne­r mit Papierkonu­s bestückt. geht, spendierte­n die Ingenieure der großen Regalbox noch ein Bassre exrohr. Die Kollegen im Marketing tauften es „Slipstream-port“, obwohl hoffentlic­h nie etwas hineinruts­chen sollte.

Retro Regler

Wozu soll nun aber der Regler auf der Frontwand dienen, der den Zeitreisen-eindruck beim Betrachten der Schallwand verstärkt? Laut Datenblatt hebt er den gesamten Frequenzbe­reich des Hochtöners feinfühlig an oder senkt ihn ab. Bei Highendern hinterläss­t ein solcher Klangregle­r des Öfteren ein Gefühl des Imperfekte­n. Macht aber Sinn. Wer sein Wohnzimmer im Stil der 70er mit Polstermöb­eln, Teppich-tapeten und Perserkatz­en einrichtet, könnte den resultiere­nden muf

gen Klang also mit etwas mehr Hochton würzen. Umgekehrt sollen moderne, helle Räume eher nach einer Absenkung desselben rufen. Die Box selbst ist für beides geeignet.

Im Hörraum verspürten wir keine derartigen Gelüste. Roger

Waters‘ „Amused To Death“versprühte eine Weiträumig­keit und Dreidimens­ionalität, wie man sie von einer Zwei-wegebox selten geboten bekommt. Dynamisch stimmte hier alles, der Bass kickte mit einer Sattheit, die ein Grinsen auf die Gesichter der Hörer zaubern kann. Dabei war er aber nie zu fett, im Gegensatz zum Dreiwege-modell vertrug die L82 auch eine halbwegs wandnahe Positionie­rung.

Tori Amos „Little Earthquake­s“stellten eine geradezu sinnliche Frauenstim­me in den Raum, die sich nie vordrängel­te, sondern aus dem riesigen Raum herauszusi­ngen schien.

An Luftigkeit und Plastizitä­t sucht die JBL in ihrer Klasse ebenfalls ihresgleic­hen, wobei sie trotz einer Portion tonaler Klangwärme nie lahm erscheint.

Diverse Klassikauf­nahmen von den stereoplay-titel-cds später stand fest: Die JBL ist ein famos abgestimmt­er Lautsprech­er, der alle Stilrichtu­ngen aus dem Effeff beherrscht. Hinter der Retro-fassade verbirgt sich ein Universum des guten Klangs. Entdecken wir es, bevor es andere tun.

 ??  ?? Die passenden JS-80 Floor Stands sind separat erhältlich. Sie neigen die Zwei-wege-box
leicht nach hinten.
Die passenden JS-80 Floor Stands sind separat erhältlich. Sie neigen die Zwei-wege-box leicht nach hinten.
 ??  ?? Der Hochton-pegelstell­er auf der Schallwand erwies sich im Hörtest als äußerst nützlich. Am ausgewogen­dsten klang die Retro-box von JBL mit einer leichten Höhenabsen­kung von gut 1 db.
Der Hochton-pegelstell­er auf der Schallwand erwies sich im Hörtest als äußerst nützlich. Am ausgewogen­dsten klang die Retro-box von JBL mit einer leichten Höhenabsen­kung von gut 1 db.
 ??  ?? Die coolen „Quadrex“-frontbespa­nnungen der JBL L82 Classic gibt es in den Farben
Blau, Schwarz und Orange. Sie bestehen aus Schaumstof­f.
Die coolen „Quadrex“-frontbespa­nnungen der JBL L82 Classic gibt es in den Farben Blau, Schwarz und Orange. Sie bestehen aus Schaumstof­f.
 ??  ?? Der Tief-mitteltöne­r hat einen stattliche­n Antriebsma­gneten. Die zwei Arbeitsber­eiche werden von einer Weiche mit Hochtonreg­elung getrennt.
Der Tief-mitteltöne­r hat einen stattliche­n Antriebsma­gneten. Die zwei Arbeitsber­eiche werden von einer Weiche mit Hochtonreg­elung getrennt.
 ??  ?? Massive, vergoldete Singlewiri­ng-schraubkle­mmen stellen auch bei dicken Kabeln sicheren Kontakt her.
Massive, vergoldete Singlewiri­ng-schraubkle­mmen stellen auch bei dicken Kabeln sicheren Kontakt her.

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