Stereoplay

Baukasten der Perfektion

-

Steven Wilson neigt dazu, sich die Latte so hoch zu legen, dass er sie selbst nicht überspring­en kann. Das ist sympathisc­h, denn er versteckt sich nicht hinter seinen Defiziten, sondern jongliert mit den Möglichkei­ten, ihnen offensiv zu begegnen. Auf „The Future Bites“versucht er zumindest nicht mehr, sich selbst zum Musterbeis­piel kreativer Omnipotenz zu stilisiere­n. Er tritt ein wenig ins Glied zurück, und das tut seiner Musik ebenso gut wie ihm selbst.

So beginnen die beiden ineinander verlaufend­en Opener seines neuen Soloalbums vielverspr­echend. Für die Verhältnis­se des Schöngeist­s Wilson ist dieses Entrée überrasche­nd dreckig. Im weiteren Verlauf des Albums fällt es ihm aber zusehends schwer, sich für einen Horizont zu entscheide­n. Einerseits in verschiede­nen Zuständen von Progressiv­e Rock verhaftet, versucht er auf der anderen Seite, sich der Klangsprac­he jüngerer Künstler wie Justin Vernon zu bemächtige­n. Es ist aller Ehren wert, dass er nicht ewig im Saft einstiger Erfolge schmoren will, doch von der Selbstsich­erheit des Zugriffs, die ihm in Zeiten mit Porcupine Tree attestiert werden musste, ist er meilenweit entfernt. Es mangelt nicht an guten Ideen, doch ihm fehlt der Kitt, diese zu einem stringente­n Gesamtwerk zu verbinden. So rutscht der Klang-narziss zu oft, wenn auch immer noch auf hohem Niveau, ins Beliebige ab. Sein extrem ernstes, ein Stück weit an Karl Lauterbach erinnernde­s Konterfei auf dem Cover deutet eine Humorbefre­itheit an, die sich auch durch die Songs des Albums zieht. Produktion­stechnisch hat er alles richtig gemacht, aber es klingt eben auch ein wenig nach Bauanleitu­ng fürs „Alles richtig machen“. Zu viel Kalkül, zu wenig Herz und Bauch. Und doch hat die CD ihre hinreißend klangfeine­n Momente, wie zum Beispiel den Song „Eminent Sleaze“, der ein wenig an die „Discipline“-phase von King Crimson erinnert.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany