Weit über die Grenzen hinaus
Sam Shepherd, Neurologe mit Doktorgrad und ausgebildeter Pianist, zählt unter dem Namen „Floating Points“zu jenen DJS, die ihre Hörer mit minimalistischen, intensiven Klängen in weiträumige Stimmungslandschaften mitnehmen – nachzuhören unter anderem auf den Alben „Elaenia“(2015) und „Crush“(2019). Mit diesem Meister feinster elektronischer Klangnuancen ließ sich einer der Ahnherren des eruptiven Free Jazz, der 1940 geborene Pharoah Sanders, zu einer faszinierenden Co-produktion ein. Scheinbar liegen die Welten der beiden weit auseinander: Der Tenorsaxophonist Sanders prägte
als Mitglied der Band von John Coltrane mit wilden Soli die Hochphase des Free Jazz und verkündete später auf dem Album „Karma“voll hymnischer Energie „The Creator Has A Masterplan“. Hier und auf vielen weiteren Alben erwies Sanders sich als einfühlsamer, stilistisch wandelbarer und vor allem konstant neugieriger Musiker, der die Fülle der Ausdrucksspektren des Tenorsaxophons so differenziert nutzt, dass die Pracht seines Tons die Seele berührt.
Genau damit trifft er beim Elektroniker Floating Points auf einen Geistesverwandten. In einem fünfjährigen Prozess der Annährung und des Kennenlernens entstand der 46-minütige Klangfluss „Promises“. Dabei sind Shepherds Sounds nie konkreten Instrumenten zuzuordnen. Im Eingangsmotiv vermengt sich dasvolumen eines Flügels mit dem Schnarren eines Cembalos sowie dem Glockentimbre einer Celesta und elektronischen Hallvariationen – eine wunderbare Vorbereitung auf Sanders, der diese sensibel gestaltete Elektronikwelt rau und zart, voluminös und brüchig, reich an Atem und Obertönen krönt. Langsam, fast unmerklich wandelt sich dieser stete Fluss, wird zwischendurch von 30 Musikerinnen und Musikern des London Symphony Orchestra weiter modifiziert und klingt sanft aus: ein Meisterwerk der meditativen, trotz der Opulenz der Mittel auf ihren Kern konzentrierten Musik.
luaka bop / indigo (46:13)