Mehr als London
Die Stämme der Großstadt folgen längst eigenen Riten. Die Grenzenlosigkeit, die an anderer Stelle eigens betont wird, ist für sie Selbstverständlichkeit, weil Alltag. Jede/r hängt mit jeder/m zusammen, ist abhängig vom Input der anderen und kann dafür eigene Ideen anbieten. Im Jazz zeigt sich diese Entwicklung an der Wiederkunft des Kollektivs als künstlerische Arbeitsweise, aber auch interagierende Formen wie des Remix, die als Interpretation in Kommunikation mit dem
Original neue Ebenen generieren. Die Saxophonistin Nubya Garcia zum Beispiel veröffentlichte im August 2020 ihr Major-debüt „Source“und landete damit flugs auf den vorderen Plätzen des renommierten britischen Mercury Music Price. Damit war ihre Arbeit an den Songs aber noch nicht vorbei, denn es reizte die Londonerin, die Songs gemeinsam mit Soundkünstlern in eine veränderte Form zu gießen. Und so holte sie Produzent:innen und Künstler:innen wie Moses Boyd und Georgia Anne Muldrow, Dengue Dengue Dengue und Suricata an Bord, um das ursprünglich mit Kolleg:innen wie dem Keyboarder Joe Armon-jones, Bassist Daniel Casimir, Drummer Sam Jones und wechselnden Vokalistinnen aufgenommene Material im Sinne eines urbanen, elektronisch gestützten Gruppensounds zu modifizieren. Das Ergebnis „Source - We Move“entfernt sich dabei von der strengen Lehre des Jazz, die vor allem Wert auf die instrumentale Leistungsschau legt, und führt die Musik mit zahlreichen klangethnischen und stilübergreifenden Einflüssen zusammen. Afrikanisch wirkende Vocals treffen auf wuchtige Breakbeats, sphärisch schwebendes Saxophon auf parzellierende Electronics, der Spirit der Clubs auf den Esprit der Improvisation im Sinne gestaltender Freiheit. Das klingt sehr nah am Diskurs und ergibt eine starke, assoziationsreiche Musik, die bei aller postkolonialenverwurzelung sich nicht historisch versteht.
concord / Universal (34:47)