Musik, durch die ein Ruck geht
Töne einer Romantik des Aufbruchs, jubilatorische Verheißung utopischer Horizonte, Musik, durch die ein Ruck geht: Das ist Schuberts große C-dur-sinfonie bei Michi Gaigg und L’orfeo mehr noch als in anderen trefflichen Einspielungen. Und der Ruck packt hier schon die langsame Einleitung, die keine ist, sondern vom HornMotto an Motor der thematisch-großformalen Prozesse: Diese geniale Innovation Schuberts wird kongenial realisiert, im Allegro ma non troppo gesteigert noch zu drängender Impulsivität, die auch das Seitenthema vor jeglichem Rubato-sentiment und die Più-mosso-coda vor allen Starthemmungen
wahrt. Nichts hat das zu tun mit bloß rasantem Oberflächenschliff, denn das aufgeraute, transparente Klangbild trägt entscheidend zur sinfonischen Brisanz bei: die knackigen (Blech-) Bläser und Pauken, die Streicher ohne Fett und Brillantine mit ihren bisweilen markig raunzenden Bässen, die Dynamik, die ohne schmetterndes Überpowern elektrisierende Kraft erzeugt.
In der „Unvollendeten“führt eine Klangdramaturgie Regie, die im Kopfsatz erst das Relief leiser Töne ausfeilt, um dann in der Durchführung die spukhafte Wiederkehr des initialen Bass-mottos mit tragischer Wucht aufragen zu lassen; einer Wucht, die der Darbietung der eigentlichen „Tragischen“, der frühen c-moll-sinfonie, vollkommen abgeht.
An Schuberts letzten beiden Sinfonien wetzen Gaigg und das Orchester ihr Profil, das einst unterschätzte Frühwerk kommt in anderen der inzwischen Mode gewordenen Gesamteinspielungen besser weg; auch wenn Gaigg in der Ersten die überschäumende Musizierlust, in der Dritten mit einer Akzentdynamik wie Harnoncourt in seinen grantigsten Tagen den Sturm und Drang eher als den Rossini-spumante hochleben lässt. Kaum aber erschließt sich der Sinn, einige kurze Fragmente mit einzuspielen. Hört man die neun erhaltenen Scherzo-takte der „Unvollendeten“, glaubt man immerhin zu wissen, warum Schubert nicht weiterkomponierte.
CPO / jpc
(277 Min., 4 CDS)