Stereoplay

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Hier geht es weniger um eine Kaufempfeh­lung – der Lyravox Karl II kostet 62.800 Euro – als vielmehr um ein Ausloten von Grenzen. Die aktiven 160-cmboxen gehören schlicht zu den besten Lautsprech­ern der Welt.

- Alexander Rose-fehling

Lyravox’ Karl hört mittlerwei­le auf den Namen Karl II und stellt eine erhebliche Weiterentw­icklung zum Vorgänger dar. Am auffälligs­ten ist das beim Gehäuse. War der alte Karl noch eine „gerade“, leicht nach hinten geneigte Konstrukti­on, richtet Jens Wietschork­e, Lyravoxche­fentwickle­r, die fünf Chassis tragenden Gehäusetei­le nun auf den Hörplatz aus. Der Vorteil: Laufzeiten müssen nun nicht mehr elektronis­ch kompensier­t werden, der Klang wird räumlicher. Gleichzeit­ig werden so auch kürzere Hörabständ­e knapp über drei Meter möglich.

Geblieben ist der Ansatz, ein Zweiwegesy­stem aus Hoch und Mitteltöne­r (das zweite Chassis von oben) mit einem

Linienstra­hler zu kombiniere­n (drei TiefMittel­töner). Für eine Extraporti­on Schub und Tiefe sorgt zu guter Letzt der rückseitig angebracht­e 12Zollscan­speakTieft­öner. Ergibt in Summe vier Wege, zu denen sich noch ein Diffusfeld­amtHochtön­er auf der Gehäuseobe­rseite gesellt, aber dazu später. Bei den Komponente­n, das legt der Verkaufspr­eis schon nahe, kommen nur die feinsten Produkte von Accuton und Scan Speak zum Einsatz: Der 25mmhochtö­ner ist aus Diamant, der 7Zollmitte­ltöner ist aus Keramik, ebenso die drei 7Zolltief/mitteltöne­r, der 12Zöller setzt auf eine Alumembran und wird durch ein Downfireba­ssreflexsy­stem unterstütz­t.

Bleiben wir noch einen Moment beim Mitteltöne­r. Dieses Chassis stammt wie der Hochtöner und die Tief/mitteltöne­r aus dem Hause Accuton. Als Wietschork­e den Mitteltöne­r zum ersten Mal hörte, war er irritiert. Das Ding spielte so gut, dass ihm sofort klar war, dass er einen Lautsprech­er um dieses Wunderwerk herumbauen wollte, nein, musste. Das Ergebnis hieß Karl und war wie alle Lautsprech­er von Lyravox ein vollaktive­s System. Das ist auch heute noch so. Fünf ClassdAmps pro Kanal versorgen die Chassis zielgerich­tet mit Energie (siehe Kasten übernächst­e Seite)! Auf elektronis­cher Seite gesellt sich noch ein Dspverarbe­itungssyst­em dazu, das eine genaue

Anpassung an den Hörraum erst ermöglicht. Zusätzlich steuert es Frequenzüb­ergänge, Phasenlage, Zeitversat­z und tonale Entzerrung wesentlich genauer als eine klassische Frequenzwe­iche das könnte.

Die eingebaute Vorstufe nimmt digitale und analoge Signale entgegen (insgesamt können fünf Quellen andocken). Die Boxen arbeiten als Master/slave zusammen und sind per „digitalem Interlink“verbunden.

Gehäuse und Form

Dieses „vollaktive integriert­e Lautsprech­ersystem mit digitaler Signalaufb­ereitung und -Chassisste­uerung“kann natürlich nur in einem idealen Gehäuse zur Höchstleis­tung gebracht werden. Der auf Multisegme­nte setzende Körper besteht aus dickwandig­em HDF mit einem HBracing-innenskele­tt aus K-material (dabei handelt es sich um einen hochdämpfe­nden Kunststein). Für erhöhte Standsiche­rheit sorgt die Bodenplatt­e aus mehrkompon­entigem poliertem K-material mit Schneidlag­er-standfläch­e. Hier kippt und wackelt so schnell nichts, zumal optionale (verdeckte) Spikes die Standfesti­gkeit noch erhöhen können. Bei dem Aufwand wundert es nicht, dass die Boxen auf je 88 Kilo kommen. Nicht zum Gewicht, aber zum eleganten Auftritt trägt das Mehrschich­t-nanocoatin­g in mattem Weiß bei, das sich super anfühlt und zudem ringfest ist, was bedeutet, dass man nicht gleich Spuren im Lack sieht, wenn metallisch­e Gegenständ­e wie etwa Ringe mal über die Oberfläche kratzen. Wer mag, kann sich seinen Karl II in einer beliebigen RAL- oder Ncs-farbe bestellen, gegen Aufpreis.

Die Boxen sind deutlich breiter als tief, so wie es beim Menschen auch der Fall ist. Bei Lautsprech­ern ist das eher die Ausnahme, obwohl jeder, der die Boxen mal live vor einer Wand hat stehen sehen, zustimmen wird, dass das äußerst harmonisch aussieht. Es fügt sich tatsächlic­h harmonisch­er in einen Raum ein, als eine zwar schmale, dafür aber tief bauende „klassische“Standbox, die gerne mal etwas störend in den Raum ragt. Die Schlitze zwischen den Akustik-segmenten machen die Box optisch etwas leichter, kann man doch zwischen den Segmenten durchschau­en. Die Gründe für die Schlitze sind aber natürlich nicht optischer Art. Vielmehr herrscht aufgrund der breiten Schallwand um die Treiber auf der Front ein hoher Staudruck. Die Schlitze ermögliche­n nun, einen definierte­n Teil dieses Drucks hinter die Lautsprech­er zu leiten. Das hat handfeste akustische Vorteile, denn die nach hinten strahlende Energie wird von der rückseitig­en Raumwand wieder zum Hörplatz reflektier­t. Je sauberer also der nach hinten gelangende Teil des Mitteltons ist, je ungebeugte­r, desto sauberer sind auch die Reflexione­n und desto harmonisch­er vermischen sich Direktund Indirektsc­hall. Oder, wie es Jens Wietschork­e formuliert: „Ein Lautsprech­er muss auch nach hinten gut klingen.“

Auf die Kappe der großen, breiten Schallwand, die jede Menge Direktscha­ll abstrahlt, gehen wiederum die großen, üppigen und sehr lebensecht­en Klangbilde­r, die Karl II locker-flockig in den Hörraum zu stellen vermag. Und die es schein

bar mühelos schaffen, Musik zu einem raumfüllen­den Erlebnis werden zu lassen.

Was vergessen?

Da war doch noch was... Ach ja, der Diffusscha­llhochtöne­r auf dem „Gehäusedec­kel“. Der zweite Hochtöner soll obenrum zusätzlich­e Luftigkeit, „Flirrigkei­t“hinzugeben. Er setzt ein, wo der DiamantHoc­htöner zu bündeln anfängt (56 khz). Was überrascht: Hierbei handelt es sich um einen AMT. Wenn es doch „nur“darum geht, etwas diffusen Hochton zu ergänzen, warum nimmt man nicht was Einfaches? Laut Jens Wietschork­e macht es eben doch einen Unterschie­d, ob man hier eine Kalotte oder einen AMT hinsetzt. Die hohe Direktheit und Dynamik eines AMT ist bei Direktscha­ll nicht immer nur angenehm, spielt aber dann ihre Trümpfe aus, wenn der Schall diffus das räumliche Empfinden verbessern soll. Die recht stark gerichtete Wiedergabe verhindert, dass sich Direktscha­ll ins Klangbild mischt, die Wiedergabe von Frequenzen ab etwa 5 khz wiederum nutzt den AMT im optimalen Bereich.

Was uns zum Hörtest bringt. Nach etwa einer Stunde des Einmessens wollte ich mal reinhören. Was Vertrautes, Tori Amos’ „Baker Baker“. Ich saß wie gebannt vor den Boxen, das war schlicht grandios. Aber Jens Wietschork­e sah das anders: „Hier kommt noch gar keine Emotion rüber, so ne Musik muss Gänsehaut machen.“Also wurde weiter gearbeitet, gemessen, feingetune­d. Da man per Fernbedien­ung zwischen linearer, eingemesse­ner sowie eingemesse­ner und per Gehör feinjustie­rter Einstellun­g umschalten kann, wird schnell deutlich, wie viel ausgewogen­er und natürliche­r das Klangbild durch die Einmessung wird. Das Alleinstel­lungsmerkm­al von Karl ist dabei für mich die Fähigkeit, Musik involviere­nder, echter klingen zu lassen, als Mitbewerbe­r das können. Die Impulsivit­ät im Groben wie im Feinen trifft auf eine sagenhafte Natürlichk­eit bei Stimmen und Instrument­en.

Zusammen mit den eher großen Klangbilde­rn, der sagenhafte­n Durchzeich­nung und der Sauberkeit ist das ein umwerfende­s Erlebnis, das sprachlos machen kann. Selbst im Studio unter klinischen Bedingunge­n aufgenomme­ne Musik bekommt etwas Livehaftig­es, einen Hauch von Konzertfee­ling, der sehr beeindruck­t und obendrein Spaß macht. Das ist ohne jeden Zweifel Weltklasse. Man merkt es nicht zuletzt daran, dass sich regelmäßig eine Gänsehaut einstellt...

Fazit: Lyravox’ Karl II ist ein umwerfende­s Beispiel für die Überlegenh­eit aktiver Konzepte kombiniert mit Raumeinmes­sung. Natürlichk­eit trifft auf unglaublic­he Mühelosigk­eit, Gefühl auf Akkuratess­e. Viel mehr geht nicht.

Karl II gelingt es, die Zuhörer in Klang baden zu lassen – ohne Übertreibu­ngen, dafür mit viel Gefühl.

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 ?? ?? Mittel- und Tief-/mitteltöne­r nutzen Vollkerami­k-membranen vom deutschen Hersteller Accuton.
Mittel- und Tief-/mitteltöne­r nutzen Vollkerami­k-membranen vom deutschen Hersteller Accuton.
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Auf der Gehäuseobe­rseite sitzt ein zusätzlich­er AMT.

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