Champions League
Hier geht es weniger um eine Kaufempfehlung – der Lyravox Karl II kostet 62.800 Euro – als vielmehr um ein Ausloten von Grenzen. Die aktiven 160-cmboxen gehören schlicht zu den besten Lautsprechern der Welt.
Lyravox’ Karl hört mittlerweile auf den Namen Karl II und stellt eine erhebliche Weiterentwicklung zum Vorgänger dar. Am auffälligsten ist das beim Gehäuse. War der alte Karl noch eine „gerade“, leicht nach hinten geneigte Konstruktion, richtet Jens Wietschorke, Lyravoxchefentwickler, die fünf Chassis tragenden Gehäuseteile nun auf den Hörplatz aus. Der Vorteil: Laufzeiten müssen nun nicht mehr elektronisch kompensiert werden, der Klang wird räumlicher. Gleichzeitig werden so auch kürzere Hörabstände knapp über drei Meter möglich.
Geblieben ist der Ansatz, ein Zweiwegesystem aus Hoch und Mitteltöner (das zweite Chassis von oben) mit einem
Linienstrahler zu kombinieren (drei TiefMitteltöner). Für eine Extraportion Schub und Tiefe sorgt zu guter Letzt der rückseitig angebrachte 12ZollscanspeakTieftöner. Ergibt in Summe vier Wege, zu denen sich noch ein DiffusfeldamtHochtöner auf der Gehäuseoberseite gesellt, aber dazu später. Bei den Komponenten, das legt der Verkaufspreis schon nahe, kommen nur die feinsten Produkte von Accuton und Scan Speak zum Einsatz: Der 25mmhochtöner ist aus Diamant, der 7Zollmitteltöner ist aus Keramik, ebenso die drei 7Zolltief/mitteltöner, der 12Zöller setzt auf eine Alumembran und wird durch ein Downfirebassreflexsystem unterstützt.
Bleiben wir noch einen Moment beim Mitteltöner. Dieses Chassis stammt wie der Hochtöner und die Tief/mitteltöner aus dem Hause Accuton. Als Wietschorke den Mitteltöner zum ersten Mal hörte, war er irritiert. Das Ding spielte so gut, dass ihm sofort klar war, dass er einen Lautsprecher um dieses Wunderwerk herumbauen wollte, nein, musste. Das Ergebnis hieß Karl und war wie alle Lautsprecher von Lyravox ein vollaktives System. Das ist auch heute noch so. Fünf ClassdAmps pro Kanal versorgen die Chassis zielgerichtet mit Energie (siehe Kasten übernächste Seite)! Auf elektronischer Seite gesellt sich noch ein Dspverarbeitungssystem dazu, das eine genaue
Anpassung an den Hörraum erst ermöglicht. Zusätzlich steuert es Frequenzübergänge, Phasenlage, Zeitversatz und tonale Entzerrung wesentlich genauer als eine klassische Frequenzweiche das könnte.
Die eingebaute Vorstufe nimmt digitale und analoge Signale entgegen (insgesamt können fünf Quellen andocken). Die Boxen arbeiten als Master/slave zusammen und sind per „digitalem Interlink“verbunden.
Gehäuse und Form
Dieses „vollaktive integrierte Lautsprechersystem mit digitaler Signalaufbereitung und -Chassissteuerung“kann natürlich nur in einem idealen Gehäuse zur Höchstleistung gebracht werden. Der auf Multisegmente setzende Körper besteht aus dickwandigem HDF mit einem HBracing-innenskelett aus K-material (dabei handelt es sich um einen hochdämpfenden Kunststein). Für erhöhte Standsicherheit sorgt die Bodenplatte aus mehrkomponentigem poliertem K-material mit Schneidlager-standfläche. Hier kippt und wackelt so schnell nichts, zumal optionale (verdeckte) Spikes die Standfestigkeit noch erhöhen können. Bei dem Aufwand wundert es nicht, dass die Boxen auf je 88 Kilo kommen. Nicht zum Gewicht, aber zum eleganten Auftritt trägt das Mehrschicht-nanocoating in mattem Weiß bei, das sich super anfühlt und zudem ringfest ist, was bedeutet, dass man nicht gleich Spuren im Lack sieht, wenn metallische Gegenstände wie etwa Ringe mal über die Oberfläche kratzen. Wer mag, kann sich seinen Karl II in einer beliebigen RAL- oder Ncs-farbe bestellen, gegen Aufpreis.
Die Boxen sind deutlich breiter als tief, so wie es beim Menschen auch der Fall ist. Bei Lautsprechern ist das eher die Ausnahme, obwohl jeder, der die Boxen mal live vor einer Wand hat stehen sehen, zustimmen wird, dass das äußerst harmonisch aussieht. Es fügt sich tatsächlich harmonischer in einen Raum ein, als eine zwar schmale, dafür aber tief bauende „klassische“Standbox, die gerne mal etwas störend in den Raum ragt. Die Schlitze zwischen den Akustik-segmenten machen die Box optisch etwas leichter, kann man doch zwischen den Segmenten durchschauen. Die Gründe für die Schlitze sind aber natürlich nicht optischer Art. Vielmehr herrscht aufgrund der breiten Schallwand um die Treiber auf der Front ein hoher Staudruck. Die Schlitze ermöglichen nun, einen definierten Teil dieses Drucks hinter die Lautsprecher zu leiten. Das hat handfeste akustische Vorteile, denn die nach hinten strahlende Energie wird von der rückseitigen Raumwand wieder zum Hörplatz reflektiert. Je sauberer also der nach hinten gelangende Teil des Mitteltons ist, je ungebeugter, desto sauberer sind auch die Reflexionen und desto harmonischer vermischen sich Direktund Indirektschall. Oder, wie es Jens Wietschorke formuliert: „Ein Lautsprecher muss auch nach hinten gut klingen.“
Auf die Kappe der großen, breiten Schallwand, die jede Menge Direktschall abstrahlt, gehen wiederum die großen, üppigen und sehr lebensechten Klangbilder, die Karl II locker-flockig in den Hörraum zu stellen vermag. Und die es schein
bar mühelos schaffen, Musik zu einem raumfüllenden Erlebnis werden zu lassen.
Was vergessen?
Da war doch noch was... Ach ja, der Diffusschallhochtöner auf dem „Gehäusedeckel“. Der zweite Hochtöner soll obenrum zusätzliche Luftigkeit, „Flirrigkeit“hinzugeben. Er setzt ein, wo der DiamantHochtöner zu bündeln anfängt (56 khz). Was überrascht: Hierbei handelt es sich um einen AMT. Wenn es doch „nur“darum geht, etwas diffusen Hochton zu ergänzen, warum nimmt man nicht was Einfaches? Laut Jens Wietschorke macht es eben doch einen Unterschied, ob man hier eine Kalotte oder einen AMT hinsetzt. Die hohe Direktheit und Dynamik eines AMT ist bei Direktschall nicht immer nur angenehm, spielt aber dann ihre Trümpfe aus, wenn der Schall diffus das räumliche Empfinden verbessern soll. Die recht stark gerichtete Wiedergabe verhindert, dass sich Direktschall ins Klangbild mischt, die Wiedergabe von Frequenzen ab etwa 5 khz wiederum nutzt den AMT im optimalen Bereich.
Was uns zum Hörtest bringt. Nach etwa einer Stunde des Einmessens wollte ich mal reinhören. Was Vertrautes, Tori Amos’ „Baker Baker“. Ich saß wie gebannt vor den Boxen, das war schlicht grandios. Aber Jens Wietschorke sah das anders: „Hier kommt noch gar keine Emotion rüber, so ne Musik muss Gänsehaut machen.“Also wurde weiter gearbeitet, gemessen, feingetuned. Da man per Fernbedienung zwischen linearer, eingemessener sowie eingemessener und per Gehör feinjustierter Einstellung umschalten kann, wird schnell deutlich, wie viel ausgewogener und natürlicher das Klangbild durch die Einmessung wird. Das Alleinstellungsmerkmal von Karl ist dabei für mich die Fähigkeit, Musik involvierender, echter klingen zu lassen, als Mitbewerber das können. Die Impulsivität im Groben wie im Feinen trifft auf eine sagenhafte Natürlichkeit bei Stimmen und Instrumenten.
Zusammen mit den eher großen Klangbildern, der sagenhaften Durchzeichnung und der Sauberkeit ist das ein umwerfendes Erlebnis, das sprachlos machen kann. Selbst im Studio unter klinischen Bedingungen aufgenommene Musik bekommt etwas Livehaftiges, einen Hauch von Konzertfeeling, der sehr beeindruckt und obendrein Spaß macht. Das ist ohne jeden Zweifel Weltklasse. Man merkt es nicht zuletzt daran, dass sich regelmäßig eine Gänsehaut einstellt...
Fazit: Lyravox’ Karl II ist ein umwerfendes Beispiel für die Überlegenheit aktiver Konzepte kombiniert mit Raumeinmessung. Natürlichkeit trifft auf unglaubliche Mühelosigkeit, Gefühl auf Akkuratesse. Viel mehr geht nicht.
Karl II gelingt es, die Zuhörer in Klang baden zu lassen – ohne Übertreibungen, dafür mit viel Gefühl.