Schneeball, Lawine – Establishment?
Soundcloud war lange eine Plattform für Musiker, auf der sie ihre Kompositionen kostenlos präsentieren konnten. Inzwischen ist daraus auch ein Streamingdienst geworden, den aktuell immer mehr High-end-firmen in ihre Geräte integrieren.
Da gibt es ein tiefes Loch – zwischen der Erscheinung im Internet und der realen Welt. Soundcloud liebt zwar die Rolle als offene Basis für Musiker aller Stilrichtungen. Doch wenn man den Machern eine Mail schreiben will oder gar ein Telefonat führen möchte, läuft man gegen eine Wand. Soundcloud wünscht keinen persönlichen Kontakt, weder zu Nutzern noch zu Geldgebern. Wie eine Trutzburg.
Dabei residiert Soundcloud höchst lebendig in Berlin, in einem frisch gebauten Domizil, gleich an der Bernauer Straße, mit modernen Relax-bereichen und etlichen Angestellten. Eine Lifestyle-workbalance-macht in der Hauptstadt. Zwei Schweden haben das Unternehmen 2007 gegründet: Alexander Ljung und Eric Wahlforss. Aus der kleinen Idee wurde eine Lawine; anfangs galt es nur, Aufnahmen unter Musikern auszutauschen. Schließlich verliebte man sich in das Modell eines modernen Robin Hood: Musiker aus aller Welt, kommt zu uns – wir veröffentlichen euch, ohne dass es Plattenproduzenten braucht. Die Major-labels waren ohne explizite Namensnennung gewissermaßen zu Feinden erklärt worden.
In erstaunlich kurzer Zeit sammelte Soundcloud nicht nur User ein, sondern auch Investoren. Die meisten sind klassische Venture-geldgeber, aber zunehmend mischen sich auch politisch aktive Firmen ein. So investierte 2020 der Us-satellitenradio-gigant Sirius XM. Anfang Mai ließ Soundcloud wissen, dass man eine Vereinbarung mit Merlin unterzeichnet habe – die gemeinsame Plattform von Zehntausenden Indie-labels.
Jetzt wird es komplex und auch etwas undurchschaubar. Die beiden Gründer mussten sich mit dem finanziellen Absturz und der Entlassung von Hunderten Mitarbeitern befassen. Das große Familiengefühl bei Soundcloud ist eine Legende aus Gründungstagen. Auch die mit Steve Jobs verglichenen Wegbereiter sind aus dem Scheinwerferlicht getreten und agieren heute eher unsichtbar als Berater und Aufsichtsratsvorsitzender.
Der neue CEO heißt Eliah Seton, frisch berufen im März, aber schon lange in Führungspositionen der Company. Soundcloud ist eine „Ltd. & Co. KG“mit vielfältigen Anteilseignern, darunter mit kleinen Prozentbeträgen auch die Majors Warner, Sony und Universal. Was bedeutet, dass man hier auch Taylor Swift und Ed Sheeran hören kann. Analysten zufolge war das Hereinnehmen von Partnern ein Mix aus strategischer Entscheidung und der Suche nach Mitteln. Die sind weiterhin knapp – Soundcloud hat soeben acht Prozent seiner Mitarbeiter entlassen.
Chancen für Neulinge
Gleichzeitig setzt das Portal auf finanzielle Fairness gegenüber den Künstlern. Bei den meisten Streamingdiensten werden Musiker mit Centbeträgen abgespeist, nur die großen Labels und die Topstars verdienen. Das ist das „Pro Rata“-modell: Es zählt alle Streams zusammen und schüttet anteilig Geld aus – von groß nach klein. Die Reichen werden reicher, die Superhelden noch mehr gepusht. Bei Soundcloud hingegen haben auch Neulinge Chancen. Deren Einnahmen liegen um ein Vielfaches höher, nach dem „User
Centric Payment System“(UCPS): Hier geht das Geld des Users direkt an die Künstler, die er angeklickt hat. Der diffuse große Topf wird also gegen definierte Nutzerzahlen ausgespielt. Überraschend kündigte vergangenes Jahr der Big Player Warner an, dass auch seine Künstler im „Fan-powered Royalties“-modell von Soundcloud UCPS nutzen können.
Aufstieg zum Weltstar
Und es dreht sich um tonnenweise Geld. Mittlerweile machen die weltweiten Streaming-einnahmen laut dem aktuellen Report des Weltverbandes der Phonoindustrie IFPI 17,5 Milliarden Dollar aus. Vor zehn Jahren waren es lediglich 4,2 Milliarden. Für alle Fans von CDS und LPS: 2022 lagen die Einnahmen mit physischen Tonträgern bei 4,6 Milliarden Dollar – also weit abgeschlagen. Musikstreaming ist die Macht der Gegenwart.
Aber kann einem Soundcloud-künstler tatsächlich der Aufstieg zum Weltstar gelingen? Allerdings. Kim Petras zum Beispiel stellte einst ihre Demos auf Soundcloud vor, dann ging es zum Universallabel Republic Records und schließlich zu einem Grammy für „Unholy“, einem Duett mit Sam Smith.
Soundcloud hat sich von der scheinbar altruistischen Plattform zu einem inzwischen beinahe klassischen StreamingAnbieter gewandelt. Aufstrebende Musiker können immer noch drei Stunden Musik kostenlos hochladen („Next“), bei mehr als drei Stunden werden 7,08 Euro im Monat fällig („Next Pro“). Enthalten ist dann der unbegrenzte Vertrieb auf Spotify, Apple Music oder Tiktok. Der Konsument kann wählen, ob er die Tracks in voller Länge und in hoher Qualität hören möchte – bei AAC in 256 kbps. Das kostet dann 9,99 Euro pro Monat („Go+“). Die angenehm kultige und soziale Kompetenz gibt es aber immer noch: Studenten zahlen nur die Hälfte.