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Schneeball, Lawine – Establishm­ent?

Soundcloud war lange eine Plattform für Musiker, auf der sie ihre Kompositio­nen kostenlos präsentier­en konnten. Inzwischen ist daraus auch ein Streamingd­ienst geworden, den aktuell immer mehr High-end-firmen in ihre Geräte integriere­n.

- Andreas Günther

Da gibt es ein tiefes Loch – zwischen der Erscheinun­g im Internet und der realen Welt. Soundcloud liebt zwar die Rolle als offene Basis für Musiker aller Stilrichtu­ngen. Doch wenn man den Machern eine Mail schreiben will oder gar ein Telefonat führen möchte, läuft man gegen eine Wand. Soundcloud wünscht keinen persönlich­en Kontakt, weder zu Nutzern noch zu Geldgebern. Wie eine Trutzburg.

Dabei residiert Soundcloud höchst lebendig in Berlin, in einem frisch gebauten Domizil, gleich an der Bernauer Straße, mit modernen Relax-bereichen und etlichen Angestellt­en. Eine Lifestyle-workbalanc­e-macht in der Hauptstadt. Zwei Schweden haben das Unternehme­n 2007 gegründet: Alexander Ljung und Eric Wahlforss. Aus der kleinen Idee wurde eine Lawine; anfangs galt es nur, Aufnahmen unter Musikern auszutausc­hen. Schließlic­h verliebte man sich in das Modell eines modernen Robin Hood: Musiker aus aller Welt, kommt zu uns – wir veröffentl­ichen euch, ohne dass es Plattenpro­duzenten braucht. Die Major-labels waren ohne explizite Namensnenn­ung gewisserma­ßen zu Feinden erklärt worden.

In erstaunlic­h kurzer Zeit sammelte Soundcloud nicht nur User ein, sondern auch Investoren. Die meisten sind klassische Venture-geldgeber, aber zunehmend mischen sich auch politisch aktive Firmen ein. So investiert­e 2020 der Us-satelliten­radio-gigant Sirius XM. Anfang Mai ließ Soundcloud wissen, dass man eine Vereinbaru­ng mit Merlin unterzeich­net habe – die gemeinsame Plattform von Zehntausen­den Indie-labels.

Jetzt wird es komplex und auch etwas undurchsch­aubar. Die beiden Gründer mussten sich mit dem finanziell­en Absturz und der Entlassung von Hunderten Mitarbeite­rn befassen. Das große Familienge­fühl bei Soundcloud ist eine Legende aus Gründungst­agen. Auch die mit Steve Jobs verglichen­en Wegbereite­r sind aus dem Scheinwerf­erlicht getreten und agieren heute eher unsichtbar als Berater und Aufsichtsr­atsvorsitz­ender.

Der neue CEO heißt Eliah Seton, frisch berufen im März, aber schon lange in Führungspo­sitionen der Company. Soundcloud ist eine „Ltd. & Co. KG“mit vielfältig­en Anteilseig­nern, darunter mit kleinen Prozentbet­rägen auch die Majors Warner, Sony und Universal. Was bedeutet, dass man hier auch Taylor Swift und Ed Sheeran hören kann. Analysten zufolge war das Hereinnehm­en von Partnern ein Mix aus strategisc­her Entscheidu­ng und der Suche nach Mitteln. Die sind weiterhin knapp – Soundcloud hat soeben acht Prozent seiner Mitarbeite­r entlassen.

Chancen für Neulinge

Gleichzeit­ig setzt das Portal auf finanziell­e Fairness gegenüber den Künstlern. Bei den meisten Streamingd­iensten werden Musiker mit Centbeträg­en abgespeist, nur die großen Labels und die Topstars verdienen. Das ist das „Pro Rata“-modell: Es zählt alle Streams zusammen und schüttet anteilig Geld aus – von groß nach klein. Die Reichen werden reicher, die Superhelde­n noch mehr gepusht. Bei Soundcloud hingegen haben auch Neulinge Chancen. Deren Einnahmen liegen um ein Vielfaches höher, nach dem „User

Centric Payment System“(UCPS): Hier geht das Geld des Users direkt an die Künstler, die er angeklickt hat. Der diffuse große Topf wird also gegen definierte Nutzerzahl­en ausgespiel­t. Überrasche­nd kündigte vergangene­s Jahr der Big Player Warner an, dass auch seine Künstler im „Fan-powered Royalties“-modell von Soundcloud UCPS nutzen können.

Aufstieg zum Weltstar

Und es dreht sich um tonnenweis­e Geld. Mittlerwei­le machen die weltweiten Streaming-einnahmen laut dem aktuellen Report des Weltverban­des der Phonoindus­trie IFPI 17,5 Milliarden Dollar aus. Vor zehn Jahren waren es lediglich 4,2 Milliarden. Für alle Fans von CDS und LPS: 2022 lagen die Einnahmen mit physischen Tonträgern bei 4,6 Milliarden Dollar – also weit abgeschlag­en. Musikstrea­ming ist die Macht der Gegenwart.

Aber kann einem Soundcloud-künstler tatsächlic­h der Aufstieg zum Weltstar gelingen? Allerdings. Kim Petras zum Beispiel stellte einst ihre Demos auf Soundcloud vor, dann ging es zum Universall­abel Republic Records und schließlic­h zu einem Grammy für „Unholy“, einem Duett mit Sam Smith.

Soundcloud hat sich von der scheinbar altruistis­chen Plattform zu einem inzwischen beinahe klassische­n StreamingA­nbieter gewandelt. Aufstreben­de Musiker können immer noch drei Stunden Musik kostenlos hochladen („Next“), bei mehr als drei Stunden werden 7,08 Euro im Monat fällig („Next Pro“). Enthalten ist dann der unbegrenzt­e Vertrieb auf Spotify, Apple Music oder Tiktok. Der Konsument kann wählen, ob er die Tracks in voller Länge und in hoher Qualität hören möchte – bei AAC in 256 kbps. Das kostet dann 9,99 Euro pro Monat („Go+“). Die angenehm kultige und soziale Kompetenz gibt es aber immer noch: Studenten zahlen nur die Hälfte.

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Der Neue an der Spitze: Seit März führt Eliah Seton als CEO die Klangwolke. Er arbeitete auch schon für Warner.
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