Pure Freude am Zitat
klassisch! Die vier jungen Musiker des Dover Quartet aus Philadelphia bereiten dem Publikum mit ihrer Klangkultur und auch einem neuen Werk von David Bruce einen sensationellen Abend im Stadthaus. Von Helmut Pusch
Da stimmt jede Mixtur, jede Farbe.
Die Vorzeichen waren alles andere als günstig für das Konzert des Dover Quartet in der Reihe „klassisch!“im Stadthaus. Die Bratschistin Milena Pajaro-van de Stadt war am Morgen nach dem Konzert im Concertgebouw Amsterdam mit einem zugeschwollenen Auge aufgewacht, ein Insekt hatte sie wohl gestochen, der Körper reagierte allergisch. Doch die Musiker machten sich auf den Weg nach Ulm. Allerdings dauerte die Zugfahrt drei Stunden länger als geplant. Das Auge war mittlerweile abgeschwollen. Vor dem Konzert reichte es aber nur noch für eine kurze Anspielprobe. Und dann? Lieferten die vier jungen Musiker ein schlicht sensationelles Konzert ab.
Schon bei Mozarts Adagio und Fuge c-moll für Streicher, einem Spätwerk des Genies, das aus der Auseinandersetzung mit den Barockmeistern Händel und Bach entstanden war, ließ dieser Klang aufhorchen: vollsaftig, dabei butterweich und dennoch mit Verve. Da stimmte jede Mixtur, das war völlige Kontrolle und gleichzeitig urmusikantisch. Eine großartige Klangkultur.
Wie lässt sich so etwas toppen? Mit einer Fast-uraufführung. Der britische Komponist David Bruce hat sein „Lick Quartet“im Auftrag der Kammermusikgesellschaft Dallas und des Concertgebouw für die Musiker aus Philadelphia geschrieben. Und nach Dallas und Amsterdam erklang es im Stadthaus das erste Mal in Deutschland. Ein Werk, das ein Lick, so nennen Jazzer und Rockmusiker einen kleinen Melodiefetzen, den sie aus ihrem Handwerkskasten beim Improvisieren herausholen, in vier Sätzen durchdekliniert: mal polyrhythmisch, mal mit wilden Abwärtsglissandi, die an Dive-bombs von Hardrockgitarristen erinnern, mal mit der heiteren Volkstümlichkeit eines Anton Dvorak oder der ernsteren Variante eines Leos Janacek.
Spieltechnisch und rhythmisch bewegt sich die Bruce-komposition auf höchstem Niveau. Nur merkte man das diesen Musikern einfach nicht an. Was beim Hörer ankam, war schlichte Freude am Umgang mit Versatzstücken, Stilzitaten und wieder dieser unglaublich dichte Klang. Das alles riss einige so mit, dass es auch zwischen den Sätzen Applaus gab.
Aber das toppten Joel Link, Bryan Lee (Violinen), milena Pajaro-van de Stadt und der Cellist
Camden Shaw nach der Pause noch – mit dem B-dur-quartett von Johannes Brahms. Ein Stück, das Bratschisten lieben, und Milena Pajaro-van de Stadt zeigte das auch – eingebettet in diese perfekten Klangfarben, diese unglaubliche Präzision. Diesen Brahms hätte man mitschneiden und auf CD pressen können – ohne auch nur einen Regler am Mischpult bewegen zu müssen.
Herzlicher, langer Beifall der gut 250 Zuhörer, die dafür von den Musikern noch ein echtes Schmankerl serviert bekamen: Duke Ellingtons „In a Sentimental Mood“, das David Schlosberg für Streichquartett arrangiert hatte. Eine wunderbar swingende Hommage an Stephane Grappelli und Joe Venuti. Und auch dafür gab es viel Applaus und verdiente Bravorufe.
Kurz vor ihrem Konzert im Stadthaus: (von links) Camden Shaw, Joel Link, Bryan Lee und Milena Pajaro-van de Stadt. Foto: Matthias Kessler