Templiner Zeitung

Schöne neue Welt, mir graut ...

- Claudia Marsal Kontakt zur Autorin c.marsal@nordkurier.de

Ganz nebenbei von

In der Mediathek bin ich kürzlich bei einer Reportage über China hängen geblieben. Das TV-Team begleitete ein Paar Mitte 30, das im größten Hochhaus der Welt lebt – gemeinsam mit 20 000 anderen Leuten. Ja, Sie haben richtig gelesen, das XXL-Gebäude, welches in der 10-Millionen-Metropole Hanghzou steht, könnte ganz Prenzlau beherberge­n. In der Wohnung selbst war es dafür vergleichs­weise ruhig. Nach modernstem Standard gebaut, drang kein Lärm in die vier Wände der Familie, deren Leben sich fast nur drinnen abspielt. Voller Stolz berichtete das Paar, das mit Sohn und Schwiegerm­utter in – für chinesisch­e Verhältnis­se paradiesis­chen – 60 Quadratmet­ern residiert, dass sie das Haus kaum verlassen würden, weil man unterm Dach fast alles erledigen könne. „Wenn ich zum Frisör will, kann ich das im Schlafanzu­g tun“, freute sich die Protagonis­tin. Für das Leben hier reichten Pantoffeln. Denn in dem riesigen Haus befänden sich auch Restaurant­s, Kinos, Pools, Märkte, Sportanlag­en und vieles mehr. Zugang hat man überall nur mit einem bestimmten QR-Code. Ohne Handy geht nichts mehr. Ins Freie begibt sich die Familie lediglich sonntags, beim Spaziergan­g mit Kind im Park. Keine Frage, was der Zuschauer zu sehen bekam, war auf dem neusten Stand der Technik, klimatisie­rt und, und, und. Aber mir jagte der Film einen Schrecken ein. Wenn das die viel gepriesene neue Welt ist, dann: danke, NEIN. Wie eine Labormaus in einer Zelle, nur mit dem Unterschie­d, dass man diese theoretisc­h verlassen darf, aber aus Bequemlich­keit nicht mal will – puhhhh. Mir graut.

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