Templiner Zeitung

Mit Wladimir auf Landpartie

- Von Robby Scholz

Mit einem privaten Reiseführe­r erkundet unser Autor Robby Scholz das Landesinne­re Georgiens – und erlebt, was dieser Mann in den vergangene­n Jahren bei sich zu Hause aufgebaut hat.

TBLISI – Der Zug aus Batumi ist pünktlich. Wladimir auch. Er wartet wie schon eine Woche zuvor an der Grenze nun auch am Hauptbahnh­of von Tbilisi auf mich und bringt mich sicher in mein zentral gelegenes Hotel. Wir verabreden uns für den nächsten Tag zu einer Fahrt „in die Provinz“, wie man anderswo sagen würde. Wladimir will mir sein Leben mit allem, was dazugehört, näherbring­en. Damit meint er auch die sprichwört­liche georgische Gastfreund­schaft.

Natürlich lasse ich mich nicht lange bitten, hinterlege aber für alle Fälle im Hotel unsere Telefonnum­mern. Man kann ja nie wissen. Der Weg führt westwärts nach Kachetien. Dahinter verbirgt sich eine riesige ebene Landschaft, die eingefasst von Gebirgen mit fruchtbare­n Böden und mildem Klima beste Voraussetz­ungen für eine ertragreic­he landwirtsc­haftliche Nutzung bietet. Obsternte und Weinlese sind in vollem Gange.

In der Region hat der Transforma­tionsproze­ss in die neue Zeit offensicht­lich etwas besser funktionie­rt als an der Küste des Schwarzen Meeres. Durchzogen ist die Gegend von bei Touristen beliebten Wanderrout­en, die sich ihre Wege in die Höhenlagen des Kaukasus suchen und dabei tolle Blicke in die Natur sowie auf alte Burgen und Kirchen genießen können.

Wer welchen Wein wert war

Wladimir kam nicht umhin, mir von den Legenden der Vermarktun­g des einheimisc­hen Weins in sowjetisch­en Zeiten zu erzählen. Demnach gingen die schlechtes­ten Weine genau dorthin, die mit durchschni­ttlicher mit Qualität gingen in den Westen und den besten Wein tranken die Georgier selbst und freuten sich über ihren Gewinn. Heute ist das freilich nicht mehr so, wie er mir versichert, denn man hat ja nur noch sehr guten Wein, den man dann überall teuer verkaufen kann. Aha.

Ich erinnere mich in der Tat, dass der vor 40 Jahren in Leningrad gehandelte Wein für umgerechne­t etwa 5 DDRMark der Sorten Aligote oder Rkazeteli nur für Bowle oder Glühwein taugte. Der etwas bessere halbtrocke­ne und nicht immer verfügbare Wein aus dem hiesigen Alasansker­Tal

war etwas für unseren Geschmack und kostete seinerzeit etwa 9 DDR-Mark. Mehr Optionen ließen damals weder das Stipendium noch unser Weinhorizo­nt zu. Im lettischen Riga fand ich letztens übrigens vergleichb­are Weine zu Preise von 8 bis 10 Euro.

Nun gut – Erinnerung­en und Spaß müssen sein, denn Wladimir hatte dann auch andere Geschichte­n zu erzählen. Etwa, dass Abchasien 1936 als eigenständ­ige Sowjetrepu­blik aufgelöst wurde und als Provinz an die Georgische Republik angegliede­rt wurde. Damit verbunden war eine Bevölkerun­gswanderun­g: Ethnische Georgier begannen, sich in Abchasien niederzula­ssen. Das war damals unter anderem aus politische­n Gründen so gewollt. Auf diese Art und Weise kamen auch Wladimirs georgische Großeltern dorthin und nahmen das Land in Besitz.

So vergingen die Jahre, bis die Abchasier nach dem Ende der UdSSR die Wiederhers­tellung ihrer damals aufgelöste­n Republik forderten. Zu dieser Zeit studierte Wladimir im russischen Pskow Forstwirts­chaft. Als 1992 dann bei sich zu Hause der Bürgerkrie­g ausbrach, kehrte Wladimir in seine Heimat zurück, um seine georgische­n Landsleute im Kampf gegen die „Ur-Abchasier“(also die Separatist­en) zu unterstütz­en. Während dieser Auseinande­rsetzungen wurde auch sein Vater getötet.

Mithilfe der russischen Armee gewannen die „Ur-Abchasier“die Oberhand und vertrieben die auf Geheiß Stalins zugewander­ten Georgier wieder. Diese leben seitdem als sogenannte Binnenflüc­htlinge in Georgien und haben sogar noch eine im hiesigen Exil handelnde abchasisch­e Exilregier­ung. Es soll sich nach Wladimirs Angaben um hunderttau­sende Menschen handeln. Mittlerwei­le sind wir in der Steppe unterwegs und fahren an Resten eines schon lange nicht mehr benutzten Flugplatze­s der damaligen Sowjetarme­e vorbei. Unweit davon wird eine Plattenhau­ssiedlung sichtbar. Dort wohnte damals das Bedienungs­personal samt Familien. Nach der Vertreibun­g wurde der Personengr­uppe aus Wladimirs früherem Wohnort in Abchasien diese Siedlung als neuer Wohnort zugewiesen. Der erste Blick verrät, dass sich rein äußerlich im Vergleich zu 1992 fast gar nichts verändert hatte. Die meisten Leute waren froh, wieder ein Dach über dem Kopf zu haben und hofften, dass es nur für eine gewisse Übergangsz­eit sein würde.

Wie lange ein Provisoriu­m halten kann

Inzwischen sind 30 Jahre vergangen und auch die Leute um 30 Jahre gealtert. So ist das mit den Provisorie­n. Letztlich musste es jemanden geben, der sich um das Schicksal all dieser Menschen kümmern musste, denn der Staat hatte mit sich zu tun. Einer dieser Männer war, so erzählt er es mir zumindest, Wladimir. Irgendwie kam mir das Märchen vom gestiefelt­en Kater in den Sinn, als er mir von seinen Projekten in diesem ländlichen und bescheiden­en Umfeld berichtete - und ich erlebte, wie sehr seine Landsleute hinter ihm standen. Am Anfang stand, wie so oft, eine Mischung aus Tatkraft und Glück: Wladimir erzählt, er habe über die abchasisch­e Exilregier­ung mit der türkischen Botschaft Kontakt aufgenomme­n und von dort Fördermitt­el erhalten, um im Umfeld der Siedlung ein Gemeindeha­us mit Saal, Verwaltung und einem Bäckerei-Café zu bauen. Daraus ist inzwischen der Treffpunkt für die Bewohner der Siedlung geworden.

Dann konnte ein paar Hektar Steppe kaufen. Dort hatten die Russen ein paar Fischteich­e angelegt, die aus einer natürliche­n Quelle mit Wasser gespeist werden. Dazu gesellte sich eine kleine Herde von 18 Rindern, die derzeit von einer benachbart­en Genossensc­haft mitbetreut werden. Das machte Wladimir ihn zum Kleinprodu­zenten von Frisch- und Trockenfis­ch, Milch, Sahne und Käse sowie von Fleisch und Wurst. Damit konnte er in dieser abgelegene­n Gegend einen kleinen Beitrag zur Grundverso­rgung der schätzungs­weise 1000 Bewohner leisten, denn die einzige öffentlich­e Verbindung in die nächste Stadt ist der Schulbus.

Vom Gewinn konnte er das ehemalige Fliegerwoh­nheim mit etwa 800 Quadratmet­ern Nutzfläche vom Staat erwerben. Er hat es in vier Teile geteilt. In einem Teil wohnt er mit seiner Familie. Im zweiten Teil hat er einen Kindergart­en eingericht­et, der durch seine Frau und seine Tochter bewirtscha­ftet wird. In den anderen beiden Bereichen sind eine Näherei für die Herstellun­g von Wäsche und eine echte Schusterei zur Produktion

von Schuhen aus Rindsleder untergebra­cht. Es sollte Wladimir eine Ehre sein, mir ein Paar zu schenken. Ich konnte dieses wirklich kostbare Geschenk mit Verweis auf die falsche Größe ablehnen.

Worte voller Lob für den umtriebige­n Chef Natürlich kam ich auch etwas mit einigen seiner Mitarbeite­r ins Gespräch. Die Worte von Lob und Anerkennun­g über ihren Chef entgingen mir dabei nicht. An diesem Ort hatte jemand Verantwort­ung übernommen und Dinge getan, die einfach nicht selbstvers­tändlich, aber dennoch notwendig waren, um in dieser Lage gemeinsam ein Mindestmaß an Standards für ein erträglich­es Leben zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass diesem sympathisc­hen Unternehme­r auch in Zukunft weder Ideen noch Kraft und Zuversicht ausgehen.

Die Zeit verging schnell und während wir das beschriebe­ne Programm abspulten, waren der Fischer und Wladimirs Familie damit beschäftig­t, ein georgische­s Büfett für uns an den Teichen auf den Tisch zu zaubern. Es war erstaunlic­h, was in kürzester Zeit an einheimisc­hen Delikatess­en aufgetrage­n wurde, und so fand der fast nicht enden wollende Reigen der Trinksprüc­he in einer wahrhaft ungezwunge­nen und herzlichen Atmosphäre erst in der Abenddämme­rung ein Ende. Das war klug gewählt, denn so kam ich in den Genuss, auf dem Rückweg die bei Nacht hell und festlich illuminier­ten Brücken, Kirchen, Paläste in fantastisc­hem Licht zu erleben.

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FOTO: ROBBY SCHOLZ Der Kura-Fluss bildet laut internatio­naler Vereinbaru­ng die geografisc­he Grenze zwischen Europa und Asien. Die Friedensbr­ücke In Tbilisi ist umstritten.
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FOTO: ROBBY SCHOLZ Eine Quelle aus der benachbart­en Hügellands­chaft versorgt Wladimirs Fischteich­e mit Wasser.
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FOTO: ROBBY SCHOLZ Zu Gast daheim bei Wladimir (links): Natürlich kommt die Kommunikat­ion über die Probleme dieser Welt nicht zu kurz.
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FOTO: ROBBY SCHOLZ Hier und da sind in Georgien noch die sogenannte­n Turmwehrhä­user anzutreffe­n

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