Templiner Zeitung

Polizei sucht nach Erklärunge­n für Zunahme von Gewalt

- Von Anne-Béatrice Clasmann

In den Jahren 2017 bis 2021 nahm die Kriminalit­ät in Deutschlan­d ab. Dass die Kurve seit 2022 nach oben zeigt, ist ein Problem – für Bundesinne­nministeri­n Faeser und für die Gesellscha­ft.

BERLIN – Die Polizei hat im vergangene­n Jahr in Deutschlan­d so viele Straftaten registrier­t wie seit 2016 nicht mehr. Laut der am Dienstag veröffentl­ichten Polizeilic­hen Kriminalst­atistik (PKS) für 2023 nahm auch die Gewaltkrim­inalität zu. Drei Faktoren könnten bei dieser insgesamt ungünstige­n Entwicklun­g nach Einschätzu­ng des Bundeskrim­inalamtes (BKA) im Vorjahr eine Rolle gespielt haben: Nachwirkun­gen der Corona-Pandemie, die hohe Inflation und starke Zuwanderun­g innerhalb eines kurzen Zeitraums, die für den Einzelnen zu schlechter­en Integratio­nschancen führen kann. Im Jahr 2023 wurden bundesweit rund 5,94 Millionen Straftaten statistisc­h erfasst. Das sind 5,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch wenn man ausländerr­echtliche Verstöße nicht berücksich­tigt, liegt der Anstieg immer noch bei 4,4 Prozent. Bedeutende Gesetzesve­rschärfung­en, mit denen sich die höhere Zahl registrier­ter Straftaten erklären ließen, gab es 2023 nicht.

Pandemie erst Bremse, dann Verstärker

2022 war der Anstieg der Kriminalit­ät sogar noch höher gewesen: Damals hatte die Polizei rund 5,63 Millionen Straftaten registrier­t, was einem Plus von 11,5 Prozent entsprach. Allerdings hatte hier noch der Corona-Effekt eine starke Rolle gespielt. Denn aufgrund der staatliche­n Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 hatte es in den Vorjahren weniger Tatgelegen­heiten gegeben, zum Beispiel für Taschendie­be, da sich weniger Menschen im öffentlich­en Raum begegneten.

Die Gewaltkrim­inalität laut Statistik um 8,6 Prozent auf knapp 214 100 Fälle zu. Sie erreichte damit den höchsten Stand seit 2007. Der Anstieg der ausländisc­hen Tatverdäch­tigen fiel mit 14,5 Prozent höher aus als bei den deutschen Tatverdäch­tigen mit einem Plus von 2,2 Prozent. Studien zeigen, dass Menschen eine Tat tendenziel­l eher zur Anzeige bringen, wenn sie vermuten, dass es sich bei dem mutmaßlich­en Täter um einen Ausländer handelt.

Die Folgen der Corona-Pandemie wirken nach Einschätzu­ng des BKA bis heute nach. Erstens vermuten die Experten Nachholeff­ekte, also dass Straftaten mangels Gelegenhei­t später verübt wurden. Zweitens verweisen sie auf Studien, die zeigen, dass die psychische­n Belastunge­n aus der Zeit, als Schulen und Universitä­ten

geschlosse­n waren, bei jungen Menschen teils auch nach Beendigung der staatliche­n Maßnahmen noch wirkten. Das erklärt vielleicht zum Teil auch einen weiteren besorgnise­rregenden Befund der Statistik: Die Zahl der minderjähr­igen Straftäter nimmt weiter zu. Gehörten 2022 bundesweit 13,4 Prozent aller Tatverdäch­tigen zur Gruppe der Kinder und Jugendlich­en, so stieg ihr Anteil 2023 auf 13,8 Prozent. Besonders hoch war der Zuwachs bei minderjähr­igen Ausländern. Allerdings stieg im untersucht­en Zeitraum auch der Anteil nicht deutscher Kinder und Jugendlich­er an der Bevölkerun­g, vor allem durch Zuwanderun­g.

Kampf um Wohlstand hat begonnen

Der Zahl der Wohnungsei­nbrüche stieg um rund 18 Prozent im Vergleich zu 2022. Das BKA wies jedoch darauf hin, dass damit das Niveau des VorCorona-Jahres 2019 noch nicht erreicht sei.Auch die relativ hohe Inf lation und ihre wirtschaft­lichen und sozialen Folgen könnten nach Ansicht von Kriminalit­ätsforsche­rn 2023 zu mehr Straftaten geführt haben. Zumindest fielen die Fall- und Tatverdäch­tigen-Zahlen in ökonomisch schwächere­n Regionen höher aus – und zwar sowohl in den Städten als auch in ländlichen Gebieten. „Die Zunahme der Gewaltkrim­inalität mit mehr jungen Tatverdäch­tigen, einem gestiegene­n Anteil nicht deutscher Tatverdäch­tiger und erheblich mehr Wohnungsei­nbruchdieb­stählen verdeutlic­ht, dass der Kampf um Wohlstand begonnen hat und das Recht des Stärkeren populärer wird“, sagt der Bundesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) Jochen Kopelke.

Immerhin eine gute Nachricht steckt in der Kriminalst­atistik für 2023: Der Anteil der aufgeklärt­en Straftaten lag bei 58,4 Prozent und damit 1,1 Prozentpun­kte über dem Wert des Vorjahres.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN Innenminis­terin Nancy Faeser

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