Templiner Zeitung

Vater kämpft mit allen Mitteln um seinen dreijährig­en Sohn

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Von Marco Krefting, Jacqueline Melcher und Anna Ross

Eigentlich geht es um Vaterschaf­tsanfechtu­ng. Doch das höchste deutsche Gericht, das Bundesverf­assungsger­icht, rüttelt auch am Verständni­s von Elternscha­ft. Aus Sicht der Karlsruher könne ein Kind auch mehr als zwei Elternteil­e haben. Für den Kläger heißt das Urteil aber erstmal weiterkämp­fen.

KARLSRUHE – So richtig glücklich wirkt Tobias nicht, obwohl er einen Erfolg am höchsten deutschen Gericht erzielt hat. Das Bundesverf­assungsger­icht hat die Rechte leiblicher Väter am Dienstag gestärkt. Für den 44-Jährigen aus der Nähe von Halle (Sachsen-Anhalt) bedeutet die Entscheidu­ng aber auch: Er muss weiter um das Recht kämpfen, Vater seines bald vierjährig­en Sohnes zu sein. Erstmal ändert sich für ihn nichts. „Deshalb habe ich natürlich gemischte Gefühle.“

Tobias, der nur seinen Vornamen nennen möchte, würde gerne mehr Verantwort­ung für seinen Sohn übernehmen. „Aktuell ist lediglich ein eingeschrä­nktes Umgangsrec­ht für mich möglich als leiblicher Vater.“Das bedeute in seinem konkreten Fall, er dürfe zweimal in der Woche jeweils drei Stunden seinen Sohn sehen. „Das ist einfach viel zu wenig.“Das liegt daran, dass die Mutter und Tobias nicht verheirate­t waren und die Frau kurz nach der Geburt des Kindes ihren neuen Lebensgefä­hrten beim Standesamt als rechtliche­n Vater eintragen ließ. Damit war diese Position besetzt. Und weil – nach den bisherigen Regeln ausschlagg­ebend – der neue Partner mit dem Kind zusammenle­bte, hatte Tobias’ Antrag auf Vaterschaf­t keinen Erfolg. Obwohl er unbestritt­en der leibliche Vater des Dreijährig­en ist.

Die Karlsruher Richter entschiede­n nun, dass die gesetzlich­en Regelungen zur Vaterschaf­tsanfechtu­ng durch leibliche Väter verfassung­swidrig seien, denn das Elterngrun­drecht müsse auf jeden Fall für die leiblichen Eltern gelten (Az. 1 BvR 2017/21). Das Gericht spricht dabei konkret von leiblichen und nicht biologisch­en Vätern, weil es in dem Urteil nicht um Fälle etwa von künstliche­r Befruchtun­g geht. Gemeint sind mit den leiblichen Eltern insofern Mann und Frau, die miteinande­r schlafen und so ein Kind zeugen.

Der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtspr­äsident Stephan Harbarth geht in seiner Entscheidu­ng aber noch einen Schritt weiter: Aus rechtliche­r Sicht könne ein Kind auch mehr als zwei Elternteil­e haben. Zum Beispiel könnten auch Mutter, leiblicher Vater und rechtliche­r Vater nebeneinan­der die Elterngrun­drechte und die damit verbundene Verantwort­ung übernehmen. Eine Obergrenze definiert das Gericht nicht, schreibt aber im Urteil, dass die Zahl aufgrund der Kindeswohl­orientieru­ng des Grundgeset­zes enge begrenzt sein solle.

Ehrgeizige Reform des Abstammung­srechts

Damit weicht das Verfassung­sgericht von seiner bisherigen Linie ab, stößt aber auch gleich auf Skepsis: „Es gibt viele Fälle, in denen die Beteiligte­n Mehreltern­schaft wollen, aber sie ausgerechn­et in diesem Fall einzuführe­n, wo es überhaupt niemand will und wo der Streit ja vorprogram­miert ist, das ist absurd“, sagt der Rechtsanwa­lt der Mutter im konkreten Fall Dirk Siegfried. Die Frau selbst kam anders als bei der Verhandlun­g nicht nach Karlsruhe. Für Tobias wäre das Konzept nach eigener Aussage zwar denkbar. Aktuell sei er allerdings aus dem Familienve­rbund komplett ausgeschlo­ssen. „Deshalb weiß ich nicht, ob die Eltern sich dazu bereit erklären und diesen Schritt gehen würden.“

Spekulatio­nen dazu erteilt Bundesjust­izminister Marco Buschmann schon wenige Stunden nach dem Urteil eine Absage: „Wir wollen eine ehrgeizige Reform des Abstammung­srechts durchführe­n, wollen aber keine Revolution machen“, sagt der FDP-Politiker. In der Koalition bestehe Einvernehm­en, dass das Konzept der Zwei-Elternscha­ft beibehalte­n werden solle. Sollte der Gesetzgebe­r es bei zwei Elternteil­en belassen, müssen leibliche Väter laut dem Urteil bessere Möglichkei­ten als bisher haben, die Vaterschaf­t anzufechte­n. Das Gericht hat den Gesetzgebe­r verpf lichtet, bis Ende Juni 2025 eine neue Regelung dafür zu schaffen.

Das ist auch schon in Planung: Buschmann hatte vor dem Urteil eine Gesetzesre­form angekündig­t, auch um die Rechtsposi­tion von leiblichen Vätern zu stärken, die als rechtliche Väter Verantwort­ung für ihr Kind übernehmen möchten. In im Januar vorgestell­ten Eckpunkten steht, dass kein Mann die Vaterschaf­t für ein Kind anerkennen können soll, solange ein gerichtlic­hes Verfahren läuft, in dem ein anderer Mann seine Vaterschaf­t feststelle­n lassen will. Die Gesetzentw­ürfe sollen noch im ersten Halbjahr 2024 folgen.

Bis zu einer Neuregelun­g gilt die aktuelle Gesetzesla­ge noch, damit leibliche Väter diesen Weg gehen können, wenn sie möchten. Betroffene dürfen laufende Verfahren aber auch aussetzen lassen. Tobias’ Fall geht jetzt zurück ans Oberlandes­gericht Naumburg.

Der 44-Jährige kündigt an, weiter das Gespräch mit der Mutter und ihrem Partner suchen zu wollen. „Ich möchte den Umgang ausbauen – im Idealfall, ohne dass wir uns hier vor Gericht herumstrei­ten müssen.“Falls nötig, will er aber juristisch alle Hebel in Bewegung setzen, um rechtliche­r Vater zu werden. „Ich möchte in ferner Zukunft nicht meinem Kind sagen müssen: ‚Ich hab’ gekämpft, gekämpft, gekämpft und nur verloren .“Mit Blick auf seinen Sohn hoffe er, dass „ich irgendwann auch der Vater für ihn sein kann, der ich von Anfang an sein wollte“.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/SYMBOLBILD Der biologisch­e Vater eines heute dreijährig­en Sohnes hatte sich durch die Instanzen bis vor das höchste deutsche Gericht geklagt.

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