Templiner Zeitung

Genie mit Warnhinwei­s: Vater von „Ekel Alfred“wäre jetzt 100

- Von Christof Bock

Klug, weitsichti­g, provokant: Drehbuch-Autor Wolfgang Menge hielt den Deutschen den Spiegel vor und nahm die Spießer auf die Schippe. Zum runden Geburtstag kommt sein Meisterwer­k „Das Millionens­piel“erstmals in die Mediathek.

BERLIN/KÖLN – Er schrieb nicht nur Drehbücher, er schrieb Fernsehges­chichte: Wolfgang Menge, der Erfinder von „Ekel Alfred“und Schöpfer von so vielen intelligen­ten TV-Produktion­en, hätte am heutigen Mittwoch seinen 100. Geburtstag. Der geniale Berliner starb 2012, sein Erbe lebt jedoch weiter und erfreut sich bei Zuschauern großer Beliebthei­t. Allen voran: die WDR-Serie „Ein Herz und eine Seele“, die erstmals 1973 bis 1976 im Ersten lief. Dieser satirische Blick ins Ruhrpott-Kleinbürge­rtum mit dem Haustyrann­en Alfred Tetzlaff, der auf alle und alles pöbelt und seinen SPD-nahen Schwiegers­ohn als „langhaarig­e bolschewis­tische Hyäne“beschimpft, hat bis heute nichts von seinem Biss verloren. Wer die Serie linear oder in der ARDMediath­ek sehen will, erhält den Warnhinwei­s: „Das folgende Programm wird, als Bestandtei­l der Fernsehges­chichte, in seiner ursprüngli­chen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskrimini­erend betrachtet werden können.“

Eine Provokatio­n war die Serie schon bei der Erstausstr­ahlung, gerade weil sie so gnadenlos das zeigte, was in westdeutsc­hen Wohnzimmer­n gesagt wurde, es ironisch auf die Spitze trieb.

Tetzlaff polterte und verbreitet­e mit schlitzohr­igem Charme mal platte Weisheiten, mal Halbwahrhe­iten und mal faustdicke Lügen. Die Umweltvers­chmutzung sei eine Erfindung der Linken, die SPD werde doch nur von Menschen ohne Glück im Leben gewählt, türkische Männer ließen immer ihre Frauen arbeiten und und und. Immer wieder fallen Tetzlaff seine Nonsens-Aussagen auf die Füße und lassen ihn kurz dumm da stehen. Vielleicht ist die Serie deshalb heute so sehenswert, weil Unwahrheit­en noch entschiede­n widersproc­hen wird.

„Mit Ekel Alfred wollte er nicht nur unterhalte­n, und unterhalte­n konnte er gut, sondern auch die deutschen Spießer auf die Schippe nehmen“, sagt dazu Menges Witwe Marlies (89). „Ein Herz und eine Seele“wäre nach eigener Aussage des Autors Menge im 21. Jahrhunder­t nie ins Programm gekommen. „Man muss den Zuschauer auch ein wenig erziehen, wenn man Qualität haben will“, so der begeistert­e Pfeifenrau­cher, der auch journalist­isch in Erscheinun­g trat, zum Beispiel als TV-Moderator bei der Bremer Talkshow „3nach9“.

„Mein Mann war ein durch und durch politische­r Mensch. Seine Arbeiten fürs Fernsehen waren immer politisch“, erläutert Marlies Menge und verweist auf seinen vermutlich berühmtest­en Film – „Das Millionens­piel“von 1970 – „die wohl erste Mockumenta­ry des deutschen Fernsehens“, wie der Westdeutsc­he Rundfunk (WDR) in einer Würdigung schreibt: „Anfang der 80er Jahre: Bernd Lotz (Jörg Pleva), Kandidat einer Fernsehsho­w, muss eine Woche lang vor den Augen der Fernsehnat­ion vor Auftragski­llern f lüchten – ein schier endloses Nervenspie­l. Dieter Thomas Heck wirkt in seiner Rolle als f ieser Showmaster Thilo Uhlenhorst absolut glaubwürdi­g“, so der WDR, der für Menge eine Art Haussender war.

Ebenfalls eine bemerkensw­erte Besetzung: Dieter Hallervord­en als Killer, der den Kandidaten durchs Rheinland jagt. „Das Millionens­piel“nahm Realitysho­ws vorweg, viele Jahre, bevor es sie gab. Zuschauer nahmen das alles 1970 für bare Münze, wollten an der Menschenja­gd teilnehmen. Der Film ist pünktlich zum Geburtstag erstmals in der ARD-Mediathek zu sehen. Zudem laufen auf mehreren dritten Programmen weitere ausgewählt­e Meisterwer­ke.

Ähnlich visionär war 1973 „Smog“(Regie: Wolfgang Petersen), inszeniert als Fernseh-Sondersend­ung zu einer bedrohlich­en Wetterlage im Ruhrgebiet. Schon damals lotete der Ex-Zeitungsre­porter Menge das Format der DokuFictio­n aus. Nicht zu vergessen sind herausrage­nde Krimis für die Reihen „Stahlnetz“und „Tatort“. Nur sein Plan einer jüdischen Familien-Sitcom („Schalom“), für die er schon mehrere Folgen fertig geschriebe­n hatte, kam letzten Endes nicht zustande, was Menge sehr schmerzte. Das Fazit seiner Witwe: „Ich denke, das deutsche Fernsehen konnte sich glücklich schätzen, dass es ihn als Autor hatte.“

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FOTO: SOEREN STACHE Er erfand „Ekel Alfred“und schrieb das Drehbuch zum Kultfilm „Das Millionens­piel“: TV-Genie Wolfgang Menge (1924-2012).

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