Genie mit Warnhinweis: Vater von „Ekel Alfred“wäre jetzt 100
Klug, weitsichtig, provokant: Drehbuch-Autor Wolfgang Menge hielt den Deutschen den Spiegel vor und nahm die Spießer auf die Schippe. Zum runden Geburtstag kommt sein Meisterwerk „Das Millionenspiel“erstmals in die Mediathek.
BERLIN/KÖLN – Er schrieb nicht nur Drehbücher, er schrieb Fernsehgeschichte: Wolfgang Menge, der Erfinder von „Ekel Alfred“und Schöpfer von so vielen intelligenten TV-Produktionen, hätte am heutigen Mittwoch seinen 100. Geburtstag. Der geniale Berliner starb 2012, sein Erbe lebt jedoch weiter und erfreut sich bei Zuschauern großer Beliebtheit. Allen voran: die WDR-Serie „Ein Herz und eine Seele“, die erstmals 1973 bis 1976 im Ersten lief. Dieser satirische Blick ins Ruhrpott-Kleinbürgertum mit dem Haustyrannen Alfred Tetzlaff, der auf alle und alles pöbelt und seinen SPD-nahen Schwiegersohn als „langhaarige bolschewistische Hyäne“beschimpft, hat bis heute nichts von seinem Biss verloren. Wer die Serie linear oder in der ARDMediathek sehen will, erhält den Warnhinweis: „Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden können.“
Eine Provokation war die Serie schon bei der Erstausstrahlung, gerade weil sie so gnadenlos das zeigte, was in westdeutschen Wohnzimmern gesagt wurde, es ironisch auf die Spitze trieb.
Tetzlaff polterte und verbreitete mit schlitzohrigem Charme mal platte Weisheiten, mal Halbwahrheiten und mal faustdicke Lügen. Die Umweltverschmutzung sei eine Erfindung der Linken, die SPD werde doch nur von Menschen ohne Glück im Leben gewählt, türkische Männer ließen immer ihre Frauen arbeiten und und und. Immer wieder fallen Tetzlaff seine Nonsens-Aussagen auf die Füße und lassen ihn kurz dumm da stehen. Vielleicht ist die Serie deshalb heute so sehenswert, weil Unwahrheiten noch entschieden widersprochen wird.
„Mit Ekel Alfred wollte er nicht nur unterhalten, und unterhalten konnte er gut, sondern auch die deutschen Spießer auf die Schippe nehmen“, sagt dazu Menges Witwe Marlies (89). „Ein Herz und eine Seele“wäre nach eigener Aussage des Autors Menge im 21. Jahrhundert nie ins Programm gekommen. „Man muss den Zuschauer auch ein wenig erziehen, wenn man Qualität haben will“, so der begeisterte Pfeifenraucher, der auch journalistisch in Erscheinung trat, zum Beispiel als TV-Moderator bei der Bremer Talkshow „3nach9“.
„Mein Mann war ein durch und durch politischer Mensch. Seine Arbeiten fürs Fernsehen waren immer politisch“, erläutert Marlies Menge und verweist auf seinen vermutlich berühmtesten Film – „Das Millionenspiel“von 1970 – „die wohl erste Mockumentary des deutschen Fernsehens“, wie der Westdeutsche Rundfunk (WDR) in einer Würdigung schreibt: „Anfang der 80er Jahre: Bernd Lotz (Jörg Pleva), Kandidat einer Fernsehshow, muss eine Woche lang vor den Augen der Fernsehnation vor Auftragskillern f lüchten – ein schier endloses Nervenspiel. Dieter Thomas Heck wirkt in seiner Rolle als f ieser Showmaster Thilo Uhlenhorst absolut glaubwürdig“, so der WDR, der für Menge eine Art Haussender war.
Ebenfalls eine bemerkenswerte Besetzung: Dieter Hallervorden als Killer, der den Kandidaten durchs Rheinland jagt. „Das Millionenspiel“nahm Realityshows vorweg, viele Jahre, bevor es sie gab. Zuschauer nahmen das alles 1970 für bare Münze, wollten an der Menschenjagd teilnehmen. Der Film ist pünktlich zum Geburtstag erstmals in der ARD-Mediathek zu sehen. Zudem laufen auf mehreren dritten Programmen weitere ausgewählte Meisterwerke.
Ähnlich visionär war 1973 „Smog“(Regie: Wolfgang Petersen), inszeniert als Fernseh-Sondersendung zu einer bedrohlichen Wetterlage im Ruhrgebiet. Schon damals lotete der Ex-Zeitungsreporter Menge das Format der DokuFiction aus. Nicht zu vergessen sind herausragende Krimis für die Reihen „Stahlnetz“und „Tatort“. Nur sein Plan einer jüdischen Familien-Sitcom („Schalom“), für die er schon mehrere Folgen fertig geschrieben hatte, kam letzten Endes nicht zustande, was Menge sehr schmerzte. Das Fazit seiner Witwe: „Ich denke, das deutsche Fernsehen konnte sich glücklich schätzen, dass es ihn als Autor hatte.“