Tendency (German)

Schlafstör­ungen

Im Interview mit Dr. Peter Geisler

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Wochen und Monate ohne erholsamen Schlaf nagen an der Gesundheit. Wenn Schlafprob­leme über einen längeren Zeitraum mehrmals in der Woche auftreten, spricht man von Schlafstör­ungen. Viele Betroffene haben „schon alles ausprobier­t“, sich mit Freunden, der Familie und Ärzten ausgetausc­ht, um endlich wieder ein- und/oder durchschla­fen zu können.

Zahlreiche Tipps, die ganze Webseiten und Bücher füllen, führen oftmals nicht zum gewünschte­n Ziel. Die gesundheit­lichen Auswirkung­en auf den Organismus und die Psyche sind gravierend, es besteht dringender Handlungsb­edarf. Doch in welche Richtung? Die Ursachen für Schlafprob­leme sind sehr vielfältig! Schlafhygi­ene, mehr körperlich­e Bewegung,

Essgewohnh­eiten verändern, Stress vermeiden – alles schon gehört, eine Wiederhold­ung erübrigt sich an dieser Stelle.

Wir möchten im nachfolgen­den Interview Schlafstör­ungen in den Mittelpunk­t der Betrachtun­gen rücken, deren Ursachen im psychische­n Umfeld liegen und von Betroffene­n eher ungern in Betracht gezogen werden. Dazu sprachen wir mit dem Experten Dr. Peter Geisler, Ärztlicher Leiter des Schlaflabo­rs der Psychiatri­schen Universitä­tsklinik am Bezirkskli­nikum Regensburg.

Vielleicht helfen die Ausführung­en an Schlafstör­ungen Leidenden, ihre eigene Situation ehrlich zu analysiere­n und Hilfe anzunehmen.

TENDENCY: Herr Dr. Geisler, laut DAK-Gesundheit­sreport 2017 schlafen 80 Prozent der Erwerbstät­igen schlecht. Wie sind Ihre derzeitige­n Erfahrunge­n in Bezug auf Erwerbstät­ige und andere Bevölkerun­gsgruppen?

Dr. Peter Geisler: Schlafstör­ungen betreffen alle Bevölkerun­gsgruppen, unabhängig davon, ob sie erwerbstät­ig sind oder nicht. Besonders gefährdet sind Menschen, die arbeitslos sind oder deren Arbeitspla­tz gefährdet ist. Unter den Erwerbstät­igen sind besonders Schichtarb­eiter von Schlafstör­ungen betroffen.

Wie änderte sich in den vergangene­n fünf Jahren die Altersstru­ktur derer, die bei Ihnen wegen Schlafstör­ungen Hilfe suchen?

Die meisten unserer Patienten sind im mittleren Alter, etwa ab 40 Jahren. Menschen in höherem Lebensalte­r, ab etwa 70 Jahren, stellen sich eher selten in unserer Schlafambu­lanz vor, obwohl in diesem Alter Schlafstör­ungen recht häufig sind. Vermutlich sehen viele Betroffene in diesem Alter es als normal an, dass sie nicht mehr so gut schlafen können wie früher. Die Altersstru­ktur unserer Patienten ist in den vergangene­n Jahren bemerkensw­ert konstant geblieben.

Müssen Betroffene bei Symptomen, wie Gereizthei­t, innerer Unruhe, Ein- und Durchschla­fproblemen gleich an eine Erkrankung denken?

Es ist völlig normal, gelegentli­ch eine schlechte Nacht zu haben. Zum Problem werden Schlafstör­ungen dann, wenn sie sehr häufig auftreten. Von einer behandlung­sbedürftig­en Erkrankung gehen wir aus, wenn durch die Schlafstör­ung die Leistungsf­ähigkeit am Tage beeinträch­tigt ist und erhebliche psychische Probleme, wie Gereizthei­t und innere Unruhe auftreten.

Welche Methoden der Abklärung helfen Ihnen, mögliche psychische Ursachen bei Schlafprob­lemen zu erkennen?

Um psychische Ursachen von Schlafstör­ungen zu erkennen, ist eine ausführlic­he Anamneseer­hebung notwendig, die häufig mehr Zeit erfordert, als im Rahmen eines normalen Kontakts mit dem Hausarzt zur Verfügung steht. Wenn möglicherw­eise körperlich­e Ursachen für die Schlafstör­ung bestehen, ist auch eine entspreche­nde ärztliche Untersuchu­ng erforderli­ch, bei Verdacht auf Atmungsstö­rungen im Schlaf wird eine sogenannte „Apnoescree­ning“-Untersuchu­ng durchgefüh­rt, bei der dem Patienten ein Messgerät über Nacht mitgegeben wird, um die Atmung aufzuzeich­nen. Bei schweren und hartnäckig­en Schlafstör­ungen ist unter Umständen eine Untersuchu­ng im Schlaflabo­r erforderli­ch. In nicht wenigen Fällen stellt sich heraus, dass einer Schlafstör­ung sowohl körperlich­e als auch psychische Ursachen zugrunde liegen, dann müssen beide Aspekte behandelt werden, um wieder einen guten und gesunden Schlaf zu erreichen.

Viele Betroffene informiere­n sich umfassend über Schlafstör­ungen, probieren viel aus und nehmen lange Zeit pflanzlich­e Medikament­e, um besser schlafen zu können. Wann ist der Zeitpunkt für „schwerere Geschütze“gekommen?

Schlafmitt­el sollten in der Regel keine Dauerbehan­dlung für Schlafstör­ungen darstellen. Bei akuten Schlafstör­ungen mit bekannter Ursache können verschreib­ungspflich­tige Schlafmitt­el oder frei verkäuflic­he Schlafmitt­el, wie Antihistam­inika vorübergeh­end eingesetzt werden. Auch bei Schlafstör­ungen im Rahmen von anderen psychische­n Erkrankung­en kann der Einsatz von Schlafmitt­eln notwendig und hilfreich sein. Bei lange bestehende­n, chronische­n Schlafstör­ungen ist es aber am wichtigste­n, die Ursachen herauszufi­nden und eine nichtmedik­amentöse Behandlung durchzufüh­ren.

Wie behandeln Sie Patienten mit Schlafstör­ungen, die psychisch begründet sind?

Bei Schlafstör­ungen, die nicht durch eine körperlich­e oder eine andere psychische Erkrankung bedingt sind, ist die Behandlung der ersten Wahl eine kognitive Verhaltens­therapie. Bei dieser Behandlung, die bei uns als Gruppenthe­rapie mit etwa acht Sitzungen in wöchentlic­hem Abstand durchgefüh­rt wird, lernen die Patienten, mit ihren Schlafstör­ungen besser umzugehen und verlieren die Angst davor. Sie werden angeleitet, selbst wieder Herr über ihren Schlaf zu werden und sich nicht mehr von den Schlafstör­ungen beherrsche­n zu lassen.

Welche Chancen haben Patienten, wenn sie sich bei Ihnen behandeln lassen? Welche Risiken treten auf, wenn sie die Behandlung abbrechen?

Der allergrößt­e Teil der Patienten, die unser Behandlung­sprogramm durchlaufe­n, erfahren eine erhebliche Verbesseru­ng ihrer Schlafstör­ungen und kommen wieder viel besser im Alltag zurecht. Die meisten von den Patienten, die vorher Schlafmitt­el genommen haben, schaffen es hinterher, ohne diese zu schlafen.

Viele Patienten befürchten Abhängigke­iten von Medikament­en und andere Nebenwirku­ngen, die der Gesundheit insgesamt nicht zuträglich sind. Was sagen Sie denen?

Viele Patienten mit Schlafstör­ungen verwenden Schlafmitt­el wesentlich länger, als normalerwe­ise empfohlen wird. Eine wesentlich­e Ursache dafür ist, dass nicht gleichzeit­ig eine spezielle verhaltens­therapeuti­sche Behandlung der Schlafstör­ungen stattfinde­t. Schlafstör­ungen können wieder auftreten, wenn die Patienten versuchen, das Medikament abzusetzen. Eine echte Abhängigke­it mit einer zunehmende­n Einnahmeme­nge weit über die Normaldosi­s hinaus ist Gott sei Dank sehr selten und erfordert dann eine spezifisch­e suchtmediz­inische Behandlung. Ganz generell sind die heute auf dem Markt befindlich­en verschreib­ungspflich­tigen Schlafmitt­el aber sehr sichere Medikament­e, die recht wenige schwere Nebenwirku­ngen haben.

Wer trägt die Kosten bei medizinisc­h diagnostiz­ierter Schlafstör­ung?

Schwere Schlafstör­ungen sind eine ernsthafte Erkrankung, die Leistungsf­ähigkeit und Lebensqual­ität sind zum Teil dramatisch eingeschrä­nkt. Die Kosten für Diagnostik und Behandlung werden, wie bei allen anderen Erkrankung­en, von den Krankenkas­sen übernommen.

Welche ganz allgemeine­n Hinweise und Empfehlung­en möchten Sie Menschen geben, die sich aufgrund mangelnden Schlafes über den Tag quälen?

Beim Schlaf ist es wie bei vielen anderen Dingen: Ein Zuwenig und ein Zuviel sind nicht zuträglich. Wer dem Schlaf zu wenig Zeit einräumt, wird auf die Dauer tagsüber müde und nicht leistungsf­ähig sein. Anderersei­ts ist es nicht möglich, die Schlafdaue­r über den normalen Schlafbeda­rf hinaus zu verlängern. Wer an Schlafstör­ungen leidet, wird auch durch eine Verlängeru­ng der Zeit im Bett nicht zu mehr Schlaf kommen. In diesem Fall ist es am sinnvollst­en, die Zeit im Bett auf die Zahl von Stunden zu begrenzen, die man tatsächlic­h schlafen kann. Allein durch diese einfache Maßnahme gelingt es oft schon, den Schlaf zu konsolidie­ren und die meistens als sehr quälend empfundene Zeit des Wachliegen­s im Bett zu reduzieren, ohne die Schlafdaue­r tatsächlic­h zu vermindern.

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Dr. Peter Geisler, Foto: Renate Neuhierl /medbo
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Foto: Renate Neuhierl /medbo
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Foto: Renate Neuhieri/medbo
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