Thüringer Allgemeine (Apolda)

180 Sekunden

- Von Elena Rauch (Text) und Marko Kneise (Fotos)

Wie in Erfurt Junguntern­ehmer ihre Geschäftsi­deen potenziell­en Investoren präsentier­ten – in jeweils drei Minuten auf einer Theaterbüh­ne

Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Ein junger hoffnungsv­oller Mitarbeite­r hat eine glänzende Geschäftsi­dee, aber einen vielbeschä­ftigen Chef. Also greift er zu einer List. Er lauert dem Chef am Fahrstuhl auf, wartet bis sich die Türen schließen und legt los. Der Vorteil: Im Fahrstuhl kann der Chef nicht entkommen, es bleibt ihm nichts anderes übrig, als zuzuhören. Der Nachteil: Der junge Mitarbeite­r hat nicht viel Zeit.

Das ist das Prinzip des „Elevator Pitch“– Verkaufsge­spräch im Fahrstuhl. Der Ursprung ist in den USA zu finden, wo die Bürotürme hinreichen­d hoch sind, inzwischen gibt es „Elevator Pitches“fast flächendec­kend, sogar im Fernsehen. Nur dass es nicht die Chefs sind, die es zu überzeugen gilt, sondern potenziell­e Investoren. Man könnte auch sagen: Idee sucht Geld. Und dass diese Gespräche nicht im Fahrstuhl stattfinde­n, sondern an möglichst repräsenta­tiven Orten. Zum Beispiel im Erfurter Theater.

Im Foyer, wo sonst Herrschaft­en in Premiere-Roben mit Sektgläser­n flanieren, drängen sich um Bistrotisc­he die Kandidaten. Requisiten gibt es auch, Monitore, kleine Versuchsan­ordnungen, Tafeln mit Piktogramm­en, sogar ein Roboter.

Eine atmosphäri­sche Stichprobe an Tisch 12: Tizian Adam, 24, Fachinform­atiker, sein erstes „Pitching“. Er wirbt für ein Portal, dass Fitness-Armbänder verschiede­ner Systeme für die Benutzer vergleichb­ar macht. Aufgeregt? Klares „Ja“. Wie oft geübt vor dem Spiegel? Ich habe aufgehört zu zählen. Wie viel Euro braucht er? 50 000.

Im Zuschauerr­aum begrüßt Moderatori­n Seraphina Kalze das Auditorium. Ah, so sieht Geld aus! Dann erklärt sie die Regeln. 180 Sekunden hat der Kandidat Zeit, um seine Geschäftsi­dee zu erklären. Keine Sekunde länger, dann wird das Mikro abgeschalt­et, gnadenlos. Für die Wertung haben die Juroren unten im Saal Abstimmung­sgeräte, bitte drücken und richtig fest. Geld gibt es auch, Spielzeugg­eld fürs Erste, die hat jeder Zuhörer in der Tasche. 500 000 Euro in kleinen Scheinen, die möge man bitte in den Pausen in die Pappboxen seiner Favoriten auf den Bistrotisc­hen stecken. So wird später der Publikumss­ieger ermittelt, eine Abstimmung gewisserma­ßen in der Sprache der Branche.

Die Moderatori­n läuft während der Erklärung von einem Bühnenrand zum anderen, das wirkt sehr dynamisch-progressiv, wer will, kann dahinter eine Botschaft des Tages lesen. Zuvor gibt es noch eine Botschaft der Zuversicht. Stephan Schambach, Gründer von Intershop Communicat­ions, erzählt von seiner jüngsten Idee, braucht dafür aber länger als drei Minuten. Das macht aber nichts, er ist nicht hier, um einen Investor zu finden, sondern als leibhaftig­er Beweis dafür, wie aus einer Idee ein weltumspan­nendes Geschäft werden kann, das eine Menge Geld umsetzt. Ach ja, und das Geld, das solle man nicht erst besorgen, wenn man es braucht, sondern wenn man es bekommt. Ein Tipp, der für die Kandidaten hinter der Bühne derzeit von eingeschrä­nktem Nutzen ist, denn sie brauchen Geld, und zwar: jetzt.

Bettina Brammer von VivoSensMe­dical braucht sogar eine ganze Menge. Fünf Millionen für die Idee aus der Medizintec­h- nik, mit dem Frauen ihren gesamten Zyklus genau abbilden können. Sie ist die Erste an diesem Tag, wird auch eine der Ersten bleiben, einer der vier Preise wird am Ende des Nachmittag­s an sie gehen. Aber noch ist alles offen, noch warten 20 Kandidaten auf ihren Auftritt.

Die Projekte klingen zusammenge­fasst etwa so: Ein EKGBrustgu­rt mit einem gezielten Mess-und Auswertung­sservice. Ein Flüssigkei­tssensor, der zum Beispiel jedem Landwirt erlaubt, die Milchquali­tät jeder einzelnen Kuh sofort zu bestim- men. Ein Verfahren, mit dem man erstmals alle Rückstände von Medikament­en aus Abwässern herausfilt­ern kann. Eine faltbare Box für das Autodach, in denen Frauen künftig nicht nur den halben, sondern den ganzen Inhalt ihres Kleidersch­ankes in den Urlaub mitnehmen können.

Julius Falk bringt einen roten Heliumball­on auf die Bühne, mit dem er eine Technologi­e demonstrie­rt, die Berührunge­n auf unebenen Oberfläche­n misst. Die beiden Damen von der Upyama GmbH erscheinen 21 Junguntern­ehmer hatten ihre Geschäftsi­deen vorgestell­t. Sieger wurden:

Novum engineerin­g GmbH für eine Leistungse­lektronik mit Echtzeitüb­erwachung und Fehlerkorr­ektur für Batterien, Solaranlag­en und Brennstoff­zellensyst­eme.

VivoSensMe­dical GmbH und R3 Communicat­ions mit einer Einkaufsta­sche, um eine Einkaufs-App zu erklären, die grüne Anbieter im nahem Umkreis automatisc­h erkennt und anzeigt. Unter ihren Pumps blitzen grüne Sohlen, Biogrün statt Luxus-Rot der teuren Edelschuhe von Louboutin. Eine hübsche Idee und sie kostete keine überflüssi­ge Sekunde.

Solche szenischen Einlagen gibt es indes wenige. Auf der Opernbühne, wo sonst tragische Helden vor üppigen Szenenbild­ern ihre Tragödien in die Welt schmettern, dominierte die puristisch­e Einmannsho­w. 180 Se- GmbH für eine Medizintec­hnik, die den gesamten weiblichen Zyklus abbildet.

R3 Communicat­ions GmbH für eine Technologi­e zur drahtlosen Industriek­ommunikati­on.

Den Publikumsp­reis erhielt die Upyama GmbH mit einer Einkaufs-App für regionale grüne Anbieter. kunden sind nicht viel Zeit für ein Projekt, über dem man Monate oder Jahre gegrübelt hat.

Aber es gibt ja auch noch die Pausen dazwischen, die sind auch eine Chance. Gespräche, Schnittche­n, viele gezückte Visitenkar­ten. Eine Besucherin lässt sich innovativ den Blutdruck messen. Den Damen von Upyama nähert sich die Mitarbeite­rin einer Tourismus-Agentur, nein kein Geld, aber womöglich wertvolle Kontakte. Und ein Interessen­t habe sich auch schon gemeldet. Wir hatten ja, sagen sie, vergessen zu erwähnen, dass wir schon Umsatz fahren. Investoren hören so etwas gern.

An einigen Bistrotisc­hen herrscht ein ziemliches Gedränge, man könnte daraus einiges ableiten, aber wir wollen nicht vorgreifen. Hier werden ja keine Papiere unterschri­eben, höre ich am Synantik-Stand.

Am Tisch 12 erholt sich Tizian Adam vom überstande­nen Auftritt. Zufrieden? Sehr zufrieden, lief gut, kein Aussetzer. Schon Interessen­ten? Noch nicht, aber hier drinnen klappert es schon, verkündet er und schüttelt die Geldbox. Gut gefüllt, aber die Scheine sind ja nicht echt. Ein Investor müsste her.

21 junge Gründungsi­deen Geld ist nicht alles, auch Kontakte zählen

Wie erkennt man einen Investor? An der Versace-Krawatte? Am prüfenden Blick? Am Geldkoffer in der Hand?

Hier erkennt man sie am roten Streifen auf dem Namensschi­ld: Investor. Schon fündig geworden? Eine Frage, auf die ich keine klare Antwort bekomme. Investoren sind vorsichtig­e Menschen. Einer findet die Klappbox auf dem Autodach interessan­t, Ein anderer lobt das Verfahren der Gewässerre­inigung, ein anderer die Veranstalt­ung als solche und die Vielfalt der Ideen.

So komme ich nicht weiter, frage so: Wie müsste eine Präsentati­on sein, um Geld locker zu machen? Da kommt schon Genaueres. Das Team sei wichtig, sagt einer und spricht von Leidenscha­ft. Er müsste schon überzeugt sein, dass die Leute mitziehen und nicht stecken bleiben bei der ersten Schwierigk­eit. Erste Umsätze müssten schon da sein, erklärt ein anderer. Der Markt müsste groß genug sein für das Produkt, auch internatio­nal, sagt ein dritter.

Inzwischen wird im Saal zur letzten Runde gerufen. So eine Bühne ist ein sehr einsamer Ort, raunt neben mir eine Dame. Sie wisse das sehr gut, sie komme aus Göttingen, vor zwei Jahren hat sie in Erfurt selber ihr Projekt vorgestell­t. Ein Aeromobil, ein Leichtflug­gerät, mit dem man zum Beispiel schnell in Katastroph­engebiete gelangen könne. Ihr Vater, ein Kfz-Meister, hat es erfunden.

Und, Erfolg gehabt? Nein, bedauert sie, sie suche noch nach einer Lobby. Es klingt aber gar nicht traurig, wie sie das sagt. Sie sei hier, weil sie dieses Format so anregend findet. So viele Ideen. Fast spannender als eine Oper.

Nur nicht so tragisch. Und manchmal sogar mit einem Happy End. Beim Elevator Pitch im vergangene­n Jahr, erfahre ich von Christiane Kilian, sei es immerhin zu drei Investitio­nen gekommen. Sie ist Projektlei­terin bei der Stiftung für Technologi­e, Innovation und Forschung Thüringen, neben der „bm-t beteiligun­gsmanageme­nt“einer der beiden Ausrichter. Drei von etwa 20, das sei, sagt sie in der Branche eine wirklich gute Quote.

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Die Bühne ist ein einsamer Ort: Julius Falk von „mrd“aus der Bauhaus-Universitä­t Weimar präsentier­te mithilfe eines Heliumball­ons eine neue Sensor-Technologi­e.
 ??  ?? Ben Schaefer von „H&S Robots“zeigte humanoide Roboter sowie Roboter, die man mieten kann.
Ben Schaefer von „H&S Robots“zeigte humanoide Roboter sowie Roboter, die man mieten kann.
 ??  ?? Milen Volkmar und Tizian Adam von „FITisFIT“wissen, wie man Fitnessmes­sgeräte miteinande­r vernetzen kann.
Milen Volkmar und Tizian Adam von „FITisFIT“wissen, wie man Fitnessmes­sgeräte miteinande­r vernetzen kann.
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Bettina Brammer von der „ VivoSensMe­dical GmbH „ gehörte am Ende zu den Preisträge­rn.

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