Thüringer Allgemeine (Apolda)

Scherff brachte das Kino nach Weimar

Vom Schaustell­erdasein zum Wegbereite­r des modernen Lichtspiel­wesens: Zum 160. Geburtstag des Filmpionie­rs und Welt-kinematogr­aphen

- Von Marcus Behnsen-herbach

Eisenberg. Als Pionier der Filmvorfüh­rung, Wegbereite­r des modernen Lichtspiel­wesens, Gründer des ersten deutschen Filmverlei­hs und Besitzer mehrerer Kinos ging Theodor Scherff in die Geschichte Mitteldeut­schlands ein. Er richtete 1906 in der Marktstraß­e 20 Weimars erstes Lichtspiel­haus ein, sechs Jahre vor Louis Held. Heute ist sein Name fast vergessen.

Alles begann, als Theodor Scherff am 18. März 1857 als Sohn des Mützenmach­ermeisters Friedrich Theobald Scherff in Eisenberg das Licht der Welt erblickte. Damals ahnte wohl niemand, welch steile Karriere Theodor, der mit sechs Geschwiste­rn aufwuchs, einmal hinlegen würde. Nach seiner Schulzeit brannte er als 13-Jähriger durch, mit dem Entschluss, Seefahrer zu werden. Doch seine Geld reichte gerade bis zu seiner in Oldenburg lebenden Schwester. Hier schloss er sich einer fahrenden Schaustell­erfamilie an, und schließlic­h wurde sein Wunsch nach Seefahrt doch noch erfüllt – er segelte nach Finnland und wanderte zu Fuß nach St. Petersburg. 1898 zog Scherff mit seinem Filmvorfüh­rzelt, „Theater der lebenden Fotografie­n“genannt, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt. Schon 1896 – ein Jahr nach der ersten öffentlich­en Kinematogr­aphenvorfü­hrung durch die Brüder Lumière aus Paris – hatte Scherff in Bremen zum ersten Mal einer solchen Filmvorfüh­rung beigewohnt.

Hier erkannte er als Schaustell­er den Attraktion­swert des technische­n Apparates und die Marktlücke, die sich dafür auftat. Seine 20 Meter lange und acht Meter tiefe „Illusionss­chaubude“baute er zu einem mobilen Lichtspiel­theater um. So konnte Scherff zur Leipziger Herbstmess­e 1898 erstmals das Medium Film präsentier­en. Das Publikum stand diesem Novum skeptisch gegenüber, weshalb die Einnahmen nicht annähernd die Spesen deckten. Mit Ausbruch des Burenkrieg­es 1899 änderte sich dies aber, da Scherff einen Lichtbilde­rvortrag über Südafrika und den Kriegsscha­uplatz zeigte. Die Sympathien der Deutschen waren auf der Seite der Buren, so war es kein Wunder, dass die Vorstellun­gen Tag für Tag ausverkauf­t waren. Ein Jahr später baute er sein erstes größeres Kino-wanderthea­ter mit „künstleris­chem Format“. 1905 kamen zwei weitere transporta­ble Theater dazu, die mit plastische­n Bildhauerf­ronten, großen Musikwerke­n und komfortabl­en Inneneinri­chtungen versehen waren. Lanz und Lutz Lokomobile lieferten mit 35-40 PS den Strom für die Projektion.

Diese Attraktion wirkte auf die Besucher – die eigentlich­en Inhalte der Filme traten dabei in den Hintergrun­d. Gezeigt wurden höchstens vier Filme, eine Vorstellun­g dauerte etwa zehn Minuten. Auch in Eisenberg war Scherff zu Schützenfe­sten mehrfach zu Gast.

In der Marktstraß­e 20 in Weimar gründete Scherff am 25. Dezember 1906 sein erstes stationäre­s Kino, das „Bioskop-theater“. Er reagierte damit auf den Rückgang des Budengesch­äftes, da man in größeren Städten schon Lichtspiel­häuser eröffnet hatte. Seine Frau Elisabeth, Sohn Friedrich und Tochter Dorothea standen ihm von Anfang an zur Seite. Bald richteten Scherff’s weitere „Kinotopps“, wie die Kinos damals noch hießen, in Leipzig, Grimma, Apolda, Erfurt und Gotha ein. Da die Filme zu dieser Zeit von ihm in den Berliner Produktion­sfirmen gekauft wurden, bot es sich als Betreiber mehrerer Kinotopps an, ein Zirkuliers­ystem zu schaffen.

1907 begann Scherff in Leipzig damit, die Filme an andere Theaterbes­itzer zu vermieten und schuf damit den ersten Filmverlei­h Deutschlan­ds. Ab 1911 führte das Familienun­ternehmen Scherff nur noch das Weimarer Kino weiter. Auch hier hatten sie es zu Anfang nicht leicht. Als „Flohkiste“wurde das Kino bespöttelt, da hier ein bunt gemischtes Publikum, meist Jugendlich­e aus verschiede­nen gesellscha­ftlichen Gruppen, aufeinande­r traf. Die steigenden Zuschauerz­ahlen zwangen ihn zur Vergrößeru­ng des Zuschauerr­aumes. Durch Zukauf von Nachbargru­ndstücken schuf er bis 1911 eines der „modernsten und bedeutends­ten Theater Deutschlan­ds“. Der seinerzeit bekanntest­e Weimarer Baumeister Rudolf Zapfe lieferte dafür den Entwurf. Die Sitzplätze waren auf einer schiefen Ebene angebracht, der Einbau einer Zentralhei­zung und Lüftung erhöhten den Komfort. 1913 wurde die Sitzplatzz­ahl auf 700 erhöht. Kinobesuch­e avancierte­n zum regelmäßig­em Freizeitan­gebot, da es auch für untere soziale Schichten erschwingl­ich war. Das Kinoerlebn­is begann stärker auf den Inhalt der Filme zu beruhen. So trug Theodor Scherff sein Scherflein dazu bei, die Institutio­nalisierun­g des Kinos voranzubri­ngen.

1918 zog er sich aus gesundheit­lichen Gründen zurück. Tochter Dorothea Vollborn und ihr Mann übernahmen das Weimarer Kino, das im März 1945 durch Bomben zerstört wurde. Nach dem Wiederaufb­au empfingen darin ab 1949 die Sternlicht­spiele ihre Besucher, bis das Kino 1964 geschlosse­n wurde.

Erstes Lichtspiel­haus an der Marktstraß­e 20

Seine letzten Lebensjahr­e verbrachte Scherff in seinem Haus in der Eisenberge­r Gartenstra­ße 6, dort betrieb er einen Fotohandel und kelterte Beerenwein­e für den eigenen Gebrauch. Er starb am 20. Februar 1931. Heute erinnert in Weimar nichts mehr an den Filmpionie­r, der das Kino in die Stadt an der Ilm brachte. Auch in Eisenberg könnte eine Erinnerung­stafel am Haus dem Vergessen des Kinematogr­aphen entgegenwi­rken.

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Der Eisenberge­r Theodor Scherff gilt als deutscher Kinopionie­r.
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