Ein Attentat aus Habgier
Polizei verhaftet nach dem Anschlag in Dortmund einen 28-jährigen Deutsch-russen, der offenbar auf einen Absturz der Bvb-aktie spekulierte
Berlin/karlsruhe. Sergej W., der vor anderthalb Wochen den Bombenanschlag auf Borussia Dortmund verübt haben soll, muss sich sehr sicher gefühlt haben. Am Freitag verlässt der 28Jährige wie jeden Morgen gegen 5.15 Uhr seine Wohnung im schwäbischen Rottenburg, die er ohne offizielle Anmeldung in einer ruhigen Wohngegend gemietet hat. Er steigt in sein Auto und fährt die 13 Kilometer nach Tübingen, dort arbeitet er seit vorigem Jahr als Elektriker.
Sergej W. ahnt offenbar nicht, dass er seit einer Woche rund um die Uhr von der Polizei observiert wird, die Beamten haben sich sogar den Grundriss seiner Wohnung besorgt. Auch auf dieser morgentlichen Fahrt folgt ihm verdeckt ein Sondereinsatzkommando. Kurz vor dem Tübinger Kraftwerk schlagen die Beamten der GSG 9 zu, nehmen Sergej W. fest. Schon bei der Festnahme soll er ein Geständnis abgelegt haben: „Ich bin es, ihr habt den Richtigen“, berichtet „Focus Online“unter Berufung auf Sicherheitskreise. Zugleich habe er den Beamten seinen Wohnungsschlüssel gereicht: „Da, jetzt könnt ihr zu Hause nachsuchen.“Danach sei er in Tränen ausgebrochen, hieß es. Mehr als hundert weitere Polizisten untersuchten die Wohnung in Rottenburg und weitere Adressen in Tübingen und Haiterbach.
Ein Richter am Bundesgerichtshof erlässt noch am Freitag Haftbefehl gegen Sergej W. wegen 20fachen versuchten Mordes, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und gefährlicher Körperverletzung.
In die Erleichterung über die Festnahme mischt sich schnell Erschrecken: Denn Sergej W. plante eine Tat, die in der Kriminalgeschichte ohne Beispiel ist. Die Dortmunder Spieler sollten offenbar sterben oder schwer verletzt werden, weil der 28-Jährige einen Kurssturz der Bvbaktie erzwingen wollte – dann hätte er eine Wette am Aktienmarkt gewonnen und womöglich ein Vermögen gemacht.
Ein teuflischer Plan. Dass er nicht aufgeht und Sergej W. auffliegt, liegt an seinem letztlich dilettantischen Vorgehen. Von der technischen Kompetenz allerdings bringt der Elektrotechniker alle Voraussetzungen mit. Der Deutsch-russe, der im schwäbischen Freudenstadt aufgewachsen ist, hat schon während seiner Bundeswehrzeit in Darmstadt mit Elektronik zu tun. In Freudenstadt macht er später eine Ausbildung zum Elektroniker Betriebstechnik. Die Bomben, die er knapp zwei Jahre später baut, sind hochprofessionell hergestellt. Sergej W. geht kühl und planvoll vor, wie die bisherigen Ermittlungen ergeben: Schon im März bucht er demnach ein Zimmer im Bvbmannschaftshotel „L’arrivée“im Süden Dortmunds, sicherheitshalber gleich für zwei Termine im April – noch ist ja nicht klar, wann der BVB gegen AS Monaco im heimischen Stadion antritt. Anfang März checkt er ein erstes Mal im Hotel ein, offenbar kundschaftet er den Tatort aus. Zwei Tage vor dem Anschlag kehrt er zurück, jetzt besteht er mit Nachdruck und zur Verwunderung des Personals auf einem Zimmer im Dachgeschoss des Hotels – von hier aus kann er den etwa 50 Meter entfernten Anschlagsort beobachten. Später deponiert er drei Sprengsätze hinter Hecken am Rand der Zufahrtsstraße zum Hotel. Erst am Tag des Anschlags wickelt Sergej W. dann über den Internetzugang des „L’arrivée“den Großteil seines Aktiengeschäfts ab: Er ordert online bei der Comdirect-bank 15 000 Optionsscheine, mit denen er auf einen fallenden Kurs der Bvb-aktie spekuliert. 79 000 Euro kostet ihn der Deal, die Hälfte davon hat er über einen in der Woche zuvor aufgenommenen Kredit finanziert.
Als der Mannschaftsbus um 19.15 Uhr das Hotel verlässt, sitzt Sergej W. offenbar in seinem Zimmer. Er löst per Fernzündung die Sprengsätze aus – „zeitlich optimal“, heißt es bei den Ermittlern. Dennoch unterläuft ihm ein Fehler: Nur zwei der Sprengsätze befinden sich in Bodennähe, der dritte ist in einer Höhe von einem Meter platziert – zu hoch, um seine Wirkung voll entfalten zu können. Die Sprengsätze sind mit Metallstiften bestückt, 70 Millimeter lang und 15 Gramm schwer. Sie verfehlen zum Glück die Businsassen, einer bohrt sich in die Kopfstütze eines Sitzes. Der Bvb-spieler Marc Bartra und ein Polizist werden verletzt.
Sergej W. kann sehen, wie Fensterscheiben des Busses zersplittern. Kurz danach fällt er den Angestellten erneut auf: Während im Hotel Panik herrscht, geht er ins Restaurant und bestellt ein Steak. Am Tatort finden die Ermittler bald drei angebliche Bekennerschreiben, die auf einen islamistischen Hintergrund der Tat deuten sollen. Den Ermittlern ist aber schnell klar, dass es sich um eine falsch gelegte Spur handelt. Eine für Islamisten ungewöhnliche Formulierung von den „gesegneten Brüdern“lässt sie stattdessen bald auf einen russisch-orthodoxen Hintergrund schließen.
Das passt zu der Spur, die Sergej W. versehentlich selbst legt: Die Comdirect-bank meldet zwei Tage später eine verdächtige Transaktion – die von ihm georderten Optionsscheine werden nur selten in so großen Zahlen gehandelt, der Zeitpunkt erregt zusätzliches Misstrauen.
Es sind starke Indizien. Am 13. April leitet die Bundesanwaltschaft in aller Stille ein Verfahren gegen ihn ein. Sergej W. wird umfassend observiert in der Hoffnung, Hintergründe der Tat aufklären zu können. Doch auch nach gut einer Woche haben die Ermittler keinen Anhaltspunkt für Mittäter oder Gehilfen. Zu den noch offenen Fragen zählt, welchen Sprengstoff der Täter verwendet hat.
Der Geschäftsführer des BVB, Hans-joachim Watzke, äußert sich erleichtert über die Festnahme, nennt das Tatmotiv aber „Wahnsinn“. Als Konsequenz will der Bundesligist eine eigene Sicherheitsabteilung einrichten.
Sergej W. geht bei seiner Tat kühl und planvoll vor