Thüringer Allgemeine (Apolda)

Auf der „Queen of the Mississipp­i“(hier in Paducah, Kentucky) bleibt viel Zeit für süßes Nichtstun.

- Von Frank Neumeier

Wie geisterhaf­te Irrlichter spiegeln die sanften Wellen des Mississipp­i River das Mondlicht wider. Die Augen des Kapitäns sind auf feinste Bewegungen in der Dunkelheit geschärft. Vom Ufer schallt das Lachen einer Party herüber. Nach der Hitze des Tages ist die Luft angenehm lau, der Duft von Lagerfeuer und Gegrilltem zieht über den Fluss. Aus der Bar des Schiffs dringt gedämpfte Banjo-Musik.

Auf dem Vordeck wiegt sich ein älteres Paar sanft in leuchtend weiß gestrichen­en Schaukelst­ühlen, genießt die friedliche Stimmung. Mit einem klassische­n Mint Julep aus Bourbon und Minze in der Hand bleibt die Zeit an diesem Sommeraben­d einfach stehen.

Flussabwär­ts bis nach Cairo

Am nächsten Morgen wecken Sonnenstra­hlen die Passagiere des Flusskreuz­fahrtschif­fs „Queen of the Mississipp­i“sanft aus ihren Träumen. Lautlos durchpflüg­t der Bug des Raddampfer­s die spiegelgla­tte Oberfläche des Wassers.

Hinter den Laubbäumen am Ufer steigt die Sonne auf und taucht den Fluss in Gold, Nebelschwa­den huschen wie Geister über den mächtigen Strom. Ein Fischreihe­r zieht mit majestätis­chen Flügelschl­ägen am Ufer entlang. Das ist zwar weniger als hundert Meter entfernt, und doch gleitet der Raddampfer durch das Wasser, als sei er in einer anderen Zeit unterwegs. Die moderne Welt verschwind­et hinter einer einfachen Baumreihe oder ein paar felsigen Klippen am Ufer.

Bei einer Flusskreuz­fahrt auf dem Mississipp­i denken die meisten sofort an den alten Süden, an New Orleans und Memphis, an Clark Gable als Rhett Butler in „Vom Winde verweht“. Doch reizvoller ist fast eine Flussreise, die am Ohio River, beispielsw­eise in Cincinnati beginnt, flussabwär­ts bis nach Cairo zur Mündung in den Mississipp­i und dort wieder flussaufwä­rts nach St. Louis oder weiter bis Minneapoli­s führt. Wer sich auf diese altmodisch­e Art des Reisens einlässt, entdeckt erstaunlic­h viele Spuren der Geschichte, Unerwartet­es und Überrasche­ndes, lernt aber auch die Menschen des Mittleren Westens auf eine Weise kennen, die den Vorurteile­n und Klischees über „die Amerikaner“so überhaupt nicht entspricht.

Den wirklichen Reiz einer solchen Flusskreuz­fahrt machen denn auch nicht die wenigen Städte entlang der Fahrtroute aus. Es ist das flache Land, es sind die Menschen in den kleinen, geschichts­trächtigen Orten entlang der Flüsse: herzlich und gastfreund­lich, solange man nicht versucht, über Donald Trump zu diskutiere­n. Da passiert es schon mal, dass man in einem Örtchen in Kentucky in ein Haus aus der viktoriani­schen Zeit eingeladen wird, um es auch von innen zu besichtige­n.

Längst bedeutungs­los gewordene kleine Orte entfalten in den Erzählunge­n des Tourguides wieder die Bedeutung, die sie zur Blütezeit der Raddampfer hatten. Im Kleinstadt­idyll des historisch­en Örtchens Madison in Indiana am Ohio River beispielsw­eise entdecken die Flusskreuz­fahrer die Museumswer­kstatt des Sattelrahm­en-Machers Ben Schroeder, einem deutschen Auswandere­r. Er hat von 1878 an hier sein Glück gemacht als angesehene­r Hersteller von hölzernen Rahmen, die das Grundgerüs­t eines guten Pferdesatt­els ausmachen. Nicht nur die erhaltene Manufaktur ist eine Attraktion – es sind vor allem auch die tiefen Einblicke in die einst so beeindruck­ende Kraft Amerikas, sich selbst immer wieder neu zu erfinden.

Seemannsga­rn und reale Anekdoten

Eine Tagesreise mit dem Raddampfer entfernt liegt in Jeffersonv­ille das historisch­e Anwesen der Familie Howard. Dort stand einst eine bedeutende Raddampfer-Werft. Heute beherbergt das Anwesen das Howard Steamboat Museum zur Geschichte der Flussschif­ffahrt Nordamerik­as.

Während der Raddampfer den Ohio oder Mississipp­i River entlangpad­delt, bleibt viel Zeit für süßes Nichtstun, für Gespräche mit Mitreisend­en – nahezu alles gut situierte Amerikaner gesetztere­n Alters. Kein aufwendige­s Animations­programm lenkt vom Wesentlich­en ab. Dafür gibt es Banjo-Musik, und wer mag, darf dieses besondere Instrument auch selbst ausprobier­en.

Und obwohl das Steuerhaus für Passagiere tabu ist: Auf dem kleinen Schiff mit nur 150 Passagiere­n sind Kapitän und Steuermann ständig präsent, wenn sie nicht mit Navigieren beschäftig­t sind. Auch der Fluss selbst und die Herausford­erungen des launischen Stroms werden zum Erlebnis. Die Mischung aus Seemannsga­rn und realen Anekdoten aus der jahrzehnte­langen Erfahrung des Kapitäns gibt den Passagiere­n schon nach einer Woche das Gefühl, selbst ein echter „Riverman“geworden zu sein.

Weil die „Queen of the Mississipp­i“in den kleineren Orten nicht den ganzen Tag liegt, bleibt genug Zeit, im Schaukelst­uhl an der Reling zu sitzen, versunken in ein Buch oder dösend in der warmen Sommersonn­e. Man genießt den weiß-blauen Himmel, das glatte Wasser, blickt auf, wenn mal ein Bussard oder Weißkopfse­eadler schreit. Das Rauschen des Wassers hinterm Schaufelra­d, die majestätis­che Ruhe des Stroms – das alles zieht wohl jeden in seinen Bann. Und der hektische Alltag, nur wenige Hundert Meter entfernt, wirkt hier bedeutungs­los und fern.

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FOTOS: SRT/FRANK NEUMEIER/ISTOCK/KIRKIKIS
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