Auf der „Queen of the Mississippi“(hier in Paducah, Kentucky) bleibt viel Zeit für süßes Nichtstun.
Wie geisterhafte Irrlichter spiegeln die sanften Wellen des Mississippi River das Mondlicht wider. Die Augen des Kapitäns sind auf feinste Bewegungen in der Dunkelheit geschärft. Vom Ufer schallt das Lachen einer Party herüber. Nach der Hitze des Tages ist die Luft angenehm lau, der Duft von Lagerfeuer und Gegrilltem zieht über den Fluss. Aus der Bar des Schiffs dringt gedämpfte Banjo-Musik.
Auf dem Vordeck wiegt sich ein älteres Paar sanft in leuchtend weiß gestrichenen Schaukelstühlen, genießt die friedliche Stimmung. Mit einem klassischen Mint Julep aus Bourbon und Minze in der Hand bleibt die Zeit an diesem Sommerabend einfach stehen.
Flussabwärts bis nach Cairo
Am nächsten Morgen wecken Sonnenstrahlen die Passagiere des Flusskreuzfahrtschiffs „Queen of the Mississippi“sanft aus ihren Träumen. Lautlos durchpflügt der Bug des Raddampfers die spiegelglatte Oberfläche des Wassers.
Hinter den Laubbäumen am Ufer steigt die Sonne auf und taucht den Fluss in Gold, Nebelschwaden huschen wie Geister über den mächtigen Strom. Ein Fischreiher zieht mit majestätischen Flügelschlägen am Ufer entlang. Das ist zwar weniger als hundert Meter entfernt, und doch gleitet der Raddampfer durch das Wasser, als sei er in einer anderen Zeit unterwegs. Die moderne Welt verschwindet hinter einer einfachen Baumreihe oder ein paar felsigen Klippen am Ufer.
Bei einer Flusskreuzfahrt auf dem Mississippi denken die meisten sofort an den alten Süden, an New Orleans und Memphis, an Clark Gable als Rhett Butler in „Vom Winde verweht“. Doch reizvoller ist fast eine Flussreise, die am Ohio River, beispielsweise in Cincinnati beginnt, flussabwärts bis nach Cairo zur Mündung in den Mississippi und dort wieder flussaufwärts nach St. Louis oder weiter bis Minneapolis führt. Wer sich auf diese altmodische Art des Reisens einlässt, entdeckt erstaunlich viele Spuren der Geschichte, Unerwartetes und Überraschendes, lernt aber auch die Menschen des Mittleren Westens auf eine Weise kennen, die den Vorurteilen und Klischees über „die Amerikaner“so überhaupt nicht entspricht.
Den wirklichen Reiz einer solchen Flusskreuzfahrt machen denn auch nicht die wenigen Städte entlang der Fahrtroute aus. Es ist das flache Land, es sind die Menschen in den kleinen, geschichtsträchtigen Orten entlang der Flüsse: herzlich und gastfreundlich, solange man nicht versucht, über Donald Trump zu diskutieren. Da passiert es schon mal, dass man in einem Örtchen in Kentucky in ein Haus aus der viktorianischen Zeit eingeladen wird, um es auch von innen zu besichtigen.
Längst bedeutungslos gewordene kleine Orte entfalten in den Erzählungen des Tourguides wieder die Bedeutung, die sie zur Blütezeit der Raddampfer hatten. Im Kleinstadtidyll des historischen Örtchens Madison in Indiana am Ohio River beispielsweise entdecken die Flusskreuzfahrer die Museumswerkstatt des Sattelrahmen-Machers Ben Schroeder, einem deutschen Auswanderer. Er hat von 1878 an hier sein Glück gemacht als angesehener Hersteller von hölzernen Rahmen, die das Grundgerüst eines guten Pferdesattels ausmachen. Nicht nur die erhaltene Manufaktur ist eine Attraktion – es sind vor allem auch die tiefen Einblicke in die einst so beeindruckende Kraft Amerikas, sich selbst immer wieder neu zu erfinden.
Seemannsgarn und reale Anekdoten
Eine Tagesreise mit dem Raddampfer entfernt liegt in Jeffersonville das historische Anwesen der Familie Howard. Dort stand einst eine bedeutende Raddampfer-Werft. Heute beherbergt das Anwesen das Howard Steamboat Museum zur Geschichte der Flussschifffahrt Nordamerikas.
Während der Raddampfer den Ohio oder Mississippi River entlangpaddelt, bleibt viel Zeit für süßes Nichtstun, für Gespräche mit Mitreisenden – nahezu alles gut situierte Amerikaner gesetzteren Alters. Kein aufwendiges Animationsprogramm lenkt vom Wesentlichen ab. Dafür gibt es Banjo-Musik, und wer mag, darf dieses besondere Instrument auch selbst ausprobieren.
Und obwohl das Steuerhaus für Passagiere tabu ist: Auf dem kleinen Schiff mit nur 150 Passagieren sind Kapitän und Steuermann ständig präsent, wenn sie nicht mit Navigieren beschäftigt sind. Auch der Fluss selbst und die Herausforderungen des launischen Stroms werden zum Erlebnis. Die Mischung aus Seemannsgarn und realen Anekdoten aus der jahrzehntelangen Erfahrung des Kapitäns gibt den Passagieren schon nach einer Woche das Gefühl, selbst ein echter „Riverman“geworden zu sein.
Weil die „Queen of the Mississippi“in den kleineren Orten nicht den ganzen Tag liegt, bleibt genug Zeit, im Schaukelstuhl an der Reling zu sitzen, versunken in ein Buch oder dösend in der warmen Sommersonne. Man genießt den weiß-blauen Himmel, das glatte Wasser, blickt auf, wenn mal ein Bussard oder Weißkopfseeadler schreit. Das Rauschen des Wassers hinterm Schaufelrad, die majestätische Ruhe des Stroms – das alles zieht wohl jeden in seinen Bann. Und der hektische Alltag, nur wenige Hundert Meter entfernt, wirkt hier bedeutungslos und fern.