John Lennon und Yoko Ono beim Dreh für den Film „Imagine“am East Coast Memorial, Battery Park, New York, am 4. September 1971.
Er hat eine Menge Seele, dieser John“, soll Ringo Star über seinen Band-Kollegen einmal gesagt haben. Es ging um das Lied „Good Night“vom Weißen Album, eines der wenigen, das der Beatles-Schlagzeuger singen durfte. Ein Schmachtstück, von dem viele dachten, Paul McCartney hätte es geschrieben. Doch es war Lennons Komposition – ein Schlaflied für seinen Sohn Julian.
Die Anekdote lässt die Charaktere erahnen, die man den Fab Four verpasst hatte: Ringo, der Spaßvogel. George, der Stille. Paul, der Schöne, der die Balladen und Liebeslieder schreibt. Und John, der Rebellische, der Rocker. Heute weiß man: Diese Schubladen passten nicht. Vor allem nicht beim Songwriting.
„Imagine“, Lennons zweites Solo-Album nach dem Ende der Beatles, ist ein guter Beweis dafür. Man bekommt auf der Platte viele Spielarten des John Lennon: den rockigen („It’s so hard“), den sarkastisch-ätzenden („How do you sleep“), den romantischen („Oh my Love“), den ausgelassenen („Oh Yoko“), den zweifelnden („Jealous Guy“) oder den politischen („Gimme some Truth“).
Und natürlich den Weltverbesserer: „Imagine there’s no Heaven. No Hell below us. It’s easy if you try. Above us only Sky.“(Stell dir vor, es gibt keinen Himmel. Keine Hölle unter uns. Du musst es nur versuchen. Über uns nur der Himmel.) Der Titelsong des Albums ist so etwas wie das Markenzeichen Lennons geworden. Ein musikgewordenes Mantra.
Man kann das naiv finden, voller Phrasen, die sich im Laufe der Jahre bis zur Bedeutungslosigkeit abgenutzt haben. Vielleicht auch einfältig und realitätsfern. Andererseits: Müssen Visionen nicht verständlich formuliert sein, um zu zünden?
Lennon skizziert eine Welt ohne von Menschen geschaffene Zwänge und Grenzen, physisch und psychisch. Es ist eine Idee, eine Vision, vielleicht sogar der Ansatz zu einer Formel, wie Leben, Zusammensein, das Miteinander, das große Ganze besser gelingen könnte. Die Reduzierung auf wenige Sprachbilder ist zwingend als Schlüssel für einen gesellschaftlichen Konsens. Wenn, ja, wenn der Mensch und seine Makel nicht wären.
„Imagine“ist ein Klassiker. Aber weit mehr als ein Lied oder ein Album. „Imagine“ist materiell betrachtet zuerst ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Film, Buch und Skulptur. Das Album wird heuer wiederveröffentlicht mit Demos von den Aufnahmeprozessen und in verschiedenen Abmischungen, mit denen man so tief wie nie in seine Entstehung eintauchen kann. Auch der dazugehörige Film wird restauriert neu aufgelegt.
Das Buch „Imagine John Yoko“kümmert sich um Tiefenwirkung auf einer anderen Ebene: Zu dem opulenten Bildband mit teils unveröffentlichten epischen Fotos hat man seitenlange Zitate John Lennon & Yoko Ono:Imagine
Edel Books, 320 Seiten, 39,95 Euro
John Yoko
gestellt „von allen, die dabei waren“, vom Toningenieur bis zur Sekretärin. Man lernt Lennons legendäres Tittenhurst-Anwesen in Großbritannien bis in die kleinste Besenkammer kennen; in dem Haus hatte er das Album aufgenommen.
Der „Imagine Peace Tower“wiederum strahlt im Auftrag von Yoko Ono seit 2007 ein helles Licht in den Himmel über Reykjavík; man kann das auch per LiveStream im Internet beobachten.
„Imagine“ist ein Symbol. Für die Liebe. Für die von John Lennon und Yoko Ono, die sie teils mit nymphomanischen Zügen, teils aus uneigennützigen Motiven mit der Welt teilten und somit zu etwas machten, das mehr ist als das, was zwei Menschen im Herzen verbindet.
Genau genommen ist es sogar der Anfang ihrer Liebe. Als Lennon 1966 in der Londoner Indica-Galerie zum ersten Mal auf die Künstlerin aus Japan trifft, sind „Imagine“-Aufforderungen bereits Teil ihrer Kunstinstallationen. Was sich daraus entwickelt ist eine Beziehung, die