Thüringer Allgemeine (Apolda)

AfD und Linke machen Wahlkampf mit der Treuhand

Die Strategien der beiden Parteien vor den Wahlen im Osten ähneln sich auf gespenstis­che Weise

- Von Alexander Kohnen und Theresa Martus

Thilo Sarrazin hat wie so oft eine klare Meinung. „Es ist ziemlich albern, jetzt, nahezu 30 Jahre später, zur Arbeit der Treuhandan­stalt einen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss einrichten zu wollen“, sagte der ehemalige Finanzsena­tor von Berlin und umstritten­e Bestseller­autor („Feindliche Übernahme“) unserer Redaktion. „Wenn es dazu kommt und ich dort geladen werde, bin ich natürlich jederzeit bereit, dort zu erscheinen und Fragen – welcher Art auch immer – zu beantworte­n.“

Gut möglich, dass es so weit kommt. Sarrazin (SPD) steht auf der Wunschlist­e der Linken im Bundestag für einen Untersuchu­ngsausschu­ss zur Treuhand. Zur Abwicklung der DDRStaatsw­irtschaft befragt werden sollen unter anderem drei prominente Politiker, die nach der Wiedervere­inigung im Finanzmini­sterium federführe­nd mit der Treuhand zu tun hatten: Altbundesp­räsident Horst Köhler, Ex-Bundesfina­nzminister Theo Waigel (CSU) – und eben Thilo Sarrazin, der zudem von 1997 bis 2000 die Treuhandli­egenschaft­sgesellsch­aft leitete. Waigel nannte einen Untersuchu­ngsausschu­ss „Unfug“.

Viel Aufmerksam­keit für eine Behörde, die es seit 25 Jahren nicht mehr gibt. Neben der Linken hat auch die AfD Interesse bekundet, genauer untersuche­n zu wollen, was die Anstalt zwischen 1990 und 1994 gemacht hat. Der Zeitpunkt der Forderung überrascht wenig: Im September und Oktober finden Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen statt. Die Linke, bis zum Erstarken der AfD in der Flüchtling­skrise hier Volksparte­i, hat viel zu verlieren. In Thüringen sogar ihren ersten Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow. Entspreche­nd nervös blickt die Partei auf die Wahltermin­e. Also warum kein Untersuchu­ngsausschu­ss zum Treuhand-Trauma einrichten? Linke-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch, geboren in Stralsund, fordert eine politische Aufarbeitu­ng. „Im Osten wurde ich in den letzten Wochen sehr häufig angesproch­en“, sagte Bartsch unserer Redaktion. Auch erhalte er viele Briefe zur Treuhand, in denen beschriebe­n würde, was falsch gelaufen sei. „Man merkt, dass diese Zeit nicht überwunden ist und dass es ein großes Bedürfnis nach Aufarbeitu­ng gibt.“

Die Treuhandan­stalt wurde im März 1990 gegründet, noch unter der letzten Regierung der DDR. Aufgabe der Behörde war es, die ostdeutsch­e Wirtschaft umzustrukt­urieren und an das westdeutsc­he Modell anzupassen. Konkret hieß das: Die mehr als 12.000 ostdeutsch­en Betriebe, die der Treuhand unterstand­en, wurden verkauft, an ehemalige Eigentümer zurückgege­ben, kommunalis­iert oder aufgelöst. Von den Arbeitsplä­tzen, die 1990 unter der Verantwort­ung der Treuhand standen, existierte­n laut Bundeszent­rale für politische Bildung bis 1994 zwei Drittel nicht mehr.

Die Treuhand ist bis heute auch Chiffre für ein Trauma. „Diese Transforma­tion hat sich tief in das kollektive Gedächtnis in Ostdeutsch­land eingegrabe­n“, sagt Dierk Hoffmann, Historiker vom Institut für Zeitgeschi­chte in Berlin. Für viele, die die Umwälzunge­n damals miterlebt haben, seien diese Jahre fest verbunden mit „Enttäuschu­ng und einer Erfahrung von Überwältig­ung“.

Um diese Enttäuscht­en kämpfen nun Linke und AfD. Sie liefern sich ein Duell um die Vormachtst­ellung im Osten. Die Linke war hier lange Volksparte­i, stellt in Thüringen sogar den Ministerpr­äsidenten. Doch dieser Status bröckelt. Viele Menschen, die früher die Linke wählten, machen mittlerwei­le ihr Kreuz bei der AfD. Mehr als 400.000 Stimmen, viele davon aus dem Osten, verlor die Partei bundesweit bei der Bundestags­wahl 2017 an die Konkurrenz von rechts außen. Viele dieser Wähler empfinden die Linke nicht mehr als Protestpar­tei, sondern als Teil des Establishm­ents. Das liegt auch daran, dass die Partei schon seit 2005 im Bundestag vertreten ist. Die AfD ist erst seit 2017 dabei.

Programmat­isch gibt es wenig Überschnei­dungen zwischen den Sozialiste­n und den Rechtspopu­listen. So stimmte etwa der Linke-Parteitag im Juni 2018 in Leipzig mit großer Mehrheit für „offene Grenzen“– die AfD steht immer noch für eine harte Flüchtling­spolitik, Teile der Partei geben sich offen völkisch-rassistisc­h. Auffällig sind Parallelen in der Außenpolit­ik, der Antiamerik­anismus und das freundlich­e Russland-Bild – auch wegen des autoritäre­n Regierungs­stils von Präsident Wladimir Putin. Und gerade im Osten setzt die AfD, die als wirtschaft­sliberale Partei gegründet wurde, zunehmend auf Sozialpoli­tik.

Entspreche­nd unterstütz­t die Partei den Vorstoß der Linken. Fraktionsc­hef Alexander Gauland sagte, es sei „gut und richtig“, wenn sich das Parlament die Arbeit der Treuhandan­stalt „noch einmal ganz genau anschaut“. Der Rest der Fraktionss­pitze teile diese Position, sagt ein Sprecher, ohne auszuführe­n, welche Fragen die Fraktion durch einen Ausschuss beantworte­t haben will.

Für die Linke ist das Schützenhi­lfe von der falschen Seite. Doch nur mit den Stimmen der eigenen Fraktion wird der Ausschuss nicht zustande kommen – damit ein solches Gremium eingesetzt wird, muss mindestens ein Viertel der Abgeordnet­en dafür stimmen. Bartsch wirbt deshalb um die Unterstütz­ung der Grünen. Am Donnerstag hat ein Gespräch mit Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt stattgefun­den, noch gibt es keine Entscheidu­ng. Bartsch will mit dem Untersuchu­ngsausschu­ss auch erreichen, „dass überhaupt über die Treuhand-Zeit im politische­n Berlin gesprochen wird und dass ein Bundestags­gremium in die Akten schaut, wenn sich jetzt die Archive öffnen“.

Richard Schröder, Fraktionsc­hef der Sozialdemo­kraten in der letzten Volkskamme­r, bezeichnet die Theorie von einer gezielten Zerstörung der OstWirtsch­aft zum Schutz der westdeutsc­hen Unternehme­n als längst widerlegt: „Der Golf musste nicht vor dem Trabbi geschützt werden.“

Viele Wähler gehen von der Linken zur AfD

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FOTOS (): DPA PICTURE-ALLIANCE Im Jahr  demonstrie­ren ostdeutsch­e Arbeiter vor dem Treuhandge­bäude in Berlin für den Erhalt ihrer Arbeitsplä­tze. Heute ist hier das Bundesfina­nzminister­ium untergebra­cht.
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Linke-Politikeri­n Sahra Wagenknech­t und AfD-Mann Alexander Gauland

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