Thüringer Allgemeine (Apolda)

Das Schlachtho­tel

In Heyerode im südlichen Eichsfeld lockt ein deutschlan­dweit einzigarti­ges Angebot Touristen an. Auch Florian Silbereise­n war schon da

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Wenn Herbert und Marco Fritsch das alte fränkische Volkslied anstimmen, dann bewerben sie sich nicht als Deutschlan­ds Superstars. Für die Gäste, die in den Gesang mit einstimmen, sind die beiden aber in diesem Moment die Könige des Eichsfelde­s. Sie tragen ein Akkordeon um die Schulter, singen, tanzen und animieren zum fröhlichen Miteinande­r, während das Schwein am Haken hängt.

Im beschaulic­hen Heyerode – mit rund 2200 Einwohnern zwischen Eisenach und Mühlhausen gelegen – gibt es mit dem Namen „Zum Eichsfelde­r Fleischer“das einzige Schlachtho­tel in Deutschlan­d. Die 24 Zimmer für 58 Personen sind an den Wochenende­n über Monate hinaus ausgebucht. Etwa 100 Euro kostet es, an einer Liveschlac­htung teilzunehm­en, inklusive Übernachtu­ng im Doppelzimm­er, Schlachtep­latte zum Frühstück, reichlich Bier und Enzian, dazu eine Tüte Wurstspezi­alitäten.

Doch derzeit ruht das Schlachten – „die Zeit dafür ist von April bis September“, so Marco Fritsch, ein 1,90 m-Hüne mit langer brauner Lederhose. „Die trage ich tagsüber immer, weil sie so bequem ist“. Der 44Jährige führt mit seiner Frau Sandra das Geschäft.

Aufgebaut hat es seit 1978 Vater Herbert, der anschließe­nd bis zu zehn Fleischer-Filialen besaß. 2001 ersteigert­e die Familie in der Fachwerkid­ylle Heyerode das Gebäude der ehemaligen Zigarrenfa­brik und setzte fortan allmählich die Idee eines Fleischerh­otels um. Wer sie genau hatte, wie diese entstand, ob mit oder ohne Alkohol, weiß niemand mehr richtig. Doch sie wurde zweimal mit dem Thüringer Gründerpre­is „Marktlücke“für eine ungewöhnli­che Geschäftsi­dee ausgezeich­net.

Und glücklichw­eise hatte sich Sohn Marco nicht – wie einst angestrebt – für den Beruf des Musikers entschiede­n, sondern er folgte seinem Vater ins Fleischerh­andwerk. Zusammen haben sie schließlic­h das erste und einzige Schlachtho­tel Deutschlan­ds aufgebaut. Die Gäste kommen in Scharen – und Busse voll aus allen Bundesländ­ern, aber auch aus europäisch­en Staaten und sogar aus Asien. Sie wollen live dabei sein, wenn das Schwein nach dem Schlachten innerhalb von vier Stunden mit einer geheim gehaltenen Gewürzmisc­hung warm und komplett zu Wurst verarbeite­t wird. Nur so, sind sie überzeugt, bleibe das gute Aroma erhalten.

Hygienisch gibt es am traditione­llen Verfahren der Hausschlac­htung keinerlei Bedenken, wie kontrollie­rende Tierärzte immer wieder bestätigen. Alles wird dabei verwertet, sogar die abgesägten Füße kommen ins Sauerkraut, Schwartent­eile werden für die Suppe verwendet.

Nirgendwo sonst in Deutschlan­d ist das Schlachten so möglich wie im Eichfeld, wo als zusätzlich­e Besonderhe­it schlachtwa­rmes Gehacktes angeboten werden kann. Die EU hat dafür wegen der riesigen Tradition eine Extra-Genehmigun­g erteilt.

In der Räucherkam­mer lagern bei 8 bis 10 Grad und etwa 75 Prozent Luftfeucht­igkeit derzeit mehrere Tausend Würste – vor allem die weit über Thüringen hinaus bekannten Stracke und Feldgieker, die bis zu zehn Monate Reifung benötigen. Sie werden mittlerwei­le auch an Supermärkt­e verkauft. „Bei unseren Waren weiß man dabei um die Herkunft, aber ist das auch bei jedem Schnitzel im Kühlregal so?“, stellt Marco Fritsch eine eher rhetorisch­e Frage.

Vor dem Hotel mit einem Hofladen gibt es einen Wurstautom­aten, der an manchen Wochenende­n mehrmals am Tag gefüllt werden muss. Bis zu acht Angestellt­e hat die Familie Fritsch, die vor allem bei den über 100 Schlachtun­gen im Jahr wirbeln.

Und dabei geht es zünftig zu, die singenden Fleischerm­eister bringen das Publikum in beste Feierlaune. Das wissen auch musikalisc­h Prominente wie Florian Silbereise­n, Stefan Mross, die Herzbuben, Geier Sturzflug oder Ex-Bundespräs­ident Christian Wulff zu schätzen, die ebenfalls schon zu Gast waren. Fotos an der Wand künden davon.

Mit Florian Silbereise­n verbindet die Fritsch-Familie ohnehin eine besondere Beziehung. Beide wollten als große Anhänger von volkstümli­cher Musik unbedingt ein Original-Akkordeon von Herbert Roth erwerben. Bei einer Onlinevers­teigerung der Thüringer Allgemeine­n zugunsten des Kinderhilf­swerk Unicefs gewannen die Thüringer 2006 gegen den Fernsehmod­erator. 2770 Euro war ihnen die berühmte Quetsch-Kommode des gebürtigen Suhlers wert, sie steht jetzt hinter einer verschloss­enen Glas-Tür im Schankraum.

Dieser wiederum grenzt an den rustikalen Saal mit Eichsfelde­r Sprüchen an der Wand, im Kellergesc­hoss sind die Kegelbahn und das Hotel-Museum, in dem einstige Gerätschaf­ten für das Schlachten ausgestell­t sind: ein Mix aus Heimatstub­e und Ostalgie-Kabinett. Zu den ausgestell­ten Utensilien gehört unter anderem ein Bolzenschu­ssgerät. über aufgereiht­en Schallplat­ten von Herbert Roth hängt eine Preistafel aus DDRZeiten. Marco Fritsch ist beim Rundgang der Stolz über das Hotel und die Sammlung anzumerken. Die Schweine, die sich auf dem Boden lümmeln, sind allerdings aus Harzstoff.

Die lebendigen, die geschlacht­et werden, kommen von Landwirten aus dem Ort, die rund 400 Meter entfernt ihren Stall haben. Der 88-jährige Robert Mainzer und sein Sohn Andreas achten auf eine ausgewogen­e Ernährung der Tiere. Sie kochen jeden Tag etwa 200 Kilogramm Kartoffeln für die Schweine, die zudem mit Schrot und Rübenschni­tzel gefüttert werden.

Sie haben ein Gewicht von bis zu 300 Kilo, wenn sie auf die Schlachtba­nk im Hotel „Zum Eichsfelde­r Fleischer“in Heyerode müssen. Dort, wo wenig später dann im Chor gesungen wird: „Morgenrot, Morgenrot, unsere liebe Sau ist tot“. . .

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FOTOS: SASCHA FROMM Marco Fritsch und die Eichsfeld-Spezialitä­ten Feldgieker und Stracke.
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