„Jetzt steht das System vor dem Kollaps“
Am Sonntag ist der internationale Tag der Pflege. Das Ministerium will die Ausbildung stärken, der Berufsverband fordert bessere Arbeitsbedingungen
„Alles, was den Kontakt zwischen Patient und Pflegern stärkt, ist sinnvoll“, kritisiert Silvia Marx, Leiterin der Abteilung Pflege an der Marie-Elise-Kayser-Schule in Erfurt, die tickenden Uhr und Zeitdruck in Pflegeberufen. Die Menschen werden älter, die Geburtenrate sinkt. Wer pflegt in Zukunft? Ein Schritt in die richtige Richtung sei das Pflegeberufegesetz von 2017, dass ab 2020 greife und Altenpflege nicht mehr von Gesundheits- und Krankenpflege trenne, sagt Marx.
In den Mittelpunkt rücken Pflegeberufe am Sonntag, am Tag der Pflege, an dem die Arbeit der professionell Pflegenden gewürdigt werden soll, wie Johanna Knüppel, Referentin des Deutschen Bundesverbandes für Pflegeberufe, sagt. Die „Ausbildungsoffensive Pflege (2019– 2023)“des Bundesministeriums für Gesundheit soll helfen, Menschen dafür zu begeistern, Pflegeberufe zu erlernen. Ziele sind, Ausbildungs- und Schulplätze bereitzustellen, Ausbildungsqualität und -erfolg zu sichern sowie Umschulungen zu fördern.
Johanna Knüppel meint dazu, dass es nicht an Bewerbern mangelt. „Es gibt genügend Bewerber, mit denen muss man aber auch gut umgehen“, sagt sie. Die Probleme habe man zu lange ignoriert, als dass man nur mit dem Ansetzen bei der Ausbildung etwas lösen könne. Dauerthemen seien seit Jahren Arbeitsbedingungen, Arbeitsverdichtung, unzuverlässige Dienstpläne, zahllose Überstunden. „Jetzt steht das System vor dem Kollaps“, sagt Knüppel. „Der Staat setzt seit Jahren falsche Anreize, dadurch zählen Wirtschaftsinteressen mehr als die Bedürfnisse alter und kranker Menschen.“
Für diese Legislaturperiode verspricht das Bundesministerium verbesserte Arbeitsbedingungen und angemessene Bezahlung. Sebastian Gülde, Pressereferent des Bundesministeriums für Gesundheit, erklärt, dass bis Sommer Flächentarife durchgesetzt werden sollen, deren Höhe jedoch nicht definiert werden könne. Dies sei ein Teil der Konzertierten Aktion Pflege, die derzeit laufe. Daneben sehe das Pflege-Personalstärkungsgesetz vor, dass Krankenkassen den Krankenhäusern jede neue oder aufgestockte Stelle finanzieren, wie Sebastian Gülde mitteilt. Das Bundesministerium teilt mit, dass die jeweilige Einrichtung einen Nachweis erbringen müsse, eine halbe bis zwei Stellen mehr besetzt zu haben. Die Bedingungen, die an die finanzielle Unterstützung geknüpft sind, werden in den jeweiligen Verträgen festgehalten.
Ein weiterer Baustein sei der Einsatz ausländischer Pflegekräfte über die Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Verbandsreferentin Knüppel meint: „Betrachtet man die seit Jahren hohen Ausbildungszahlen, dann dürften wir keinen Fachkräftemangel haben. Im Gegenteil, wir könnten noch Pflegepersonal in andere Länder abgeben. Tatsache ist, dass die erfassten Ausbildungszahlen nur anzeigen, wer die Ausbildung in der Pflegeschule antritt.“Danach werde nicht mehr hingeschaut, wie viele die Probezeit nicht bestehen oder vorzeitig abbrechen. „Und von denen, die alle drei Ausbildungsjahre durchhalten und erfolgreich abschließen, münden viele anschließend nicht mehr oder nur in Teilzeit im Berufsleben ein“, ist ihre Beobachtung. Gründe dafür seien, dass häufig auch ungeeignete Bewerber zur Ausbildung zugelassen werden. Andererseits erleben viele Schüler den Notstand während ihrer Einsätze. „Ihre Anleitung fällt nahezu aus, stattdessen werden sie überall als Lückenfüller eingesetzt und können dabei nur wenig lernen“, sagt Knüppel. „Die Bundesregierung wäre besser beraten gewesen, diejenigen, die schon da sind, gut und nachhaltig auszubilden, sodass sie im Beruf bleiben wollen.“
Eine Ausbildung zum Altenpfleger hat Lucas Müller an der Marie-Elise-Kayser-Schule in Erfurt begonnen. Auch er kennt die Vor- und Nachteile der Ausbildung, Kritikpunkte und die lohnenswerten Seiten des Jobs. „Aus Personalmangel müssen wir auch mal am Wochenende arbeiten, obwohl wir gerade in der schulischen Phase sind, frei hätten oder lernen müssten“, ist seine Erfahrung. Die Dankbarkeit vieler Patienten sei das Gute am Job. Befürworten würde er flächendeckende Tarifverträge.